Darum gehts
- Junge Erwachsene wohnen heute länger im Elternhaus als vor zwanzig Jahren
- Drei junge Frauen berichten von ihrem Schritt in die Selbständigkeit
- Selbstbestimmung und Freiheit sind wichtige Gründe für den Auszug
Kartons stehen in der Wohnung, Schlüssel klimpern in der Hand, und zum ersten Mal gehört ein Ort ganz einem selbst. Es ist ein grosser Schritt in ein selbstbestimmtes Leben. Einen, den junge Menschen immer später machen.
Laut den neuesten Zahlen des Bundesamts für Statistik bleiben junge Erwachsene heute länger bei den Eltern wohnen als noch vor zwanzig Jahren. Menschen, die zwischen 1988 und 2007 geboren wurden, ziehen im Schnitt erst mit 23,7 Jahren aus. Bei den Jahrgängen 1968 bis 1987 ging es noch schneller: Schon mit 21,9 Jahren wohnte die Hälfte von ihnen nicht mehr bei den Eltern.
Der Auszugszeitpunkt hängt aber nicht nur vom Jahrgang ab. Männer ziehen im Schnitt anderthalb Jahre später aus als Frauen. Auch Bildung, Sprachregion und Staatsangehörigkeit wirken sich aus.
Wie sich dieser Schritt anfühlt, welche Hürden es gibt und was sich verändert, erzählen drei junge Frauen, die den Auszug gerade erlebt haben oder kurz davorstehen.
Antonia Weber (21) aus Regensdorf ZH
Antonia Weber ist im Moment noch auf Wohnungssuche. Eigentlich wollte sie zum fünften Semester ihres Studiums, das gerade läuft, eine eigene Wohnung beziehen. «Bei den Eltern ist das Leben zwar billiger, aber ich habe meine Freiheit nicht vollständig», sagt sie. Selbstbestimmung ist ihr wichtig. Sie möchte ihr Leben nach ihrem eigenen Rhythmus gestalten.
Weber hat die Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit abgeschlossen und studiert nun am Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen in Winterthur. Neben dem Studium arbeitet sie weiter im Pflegebereich und verdient ihr eigenes Geld. «Ich bin jetzt an einem Punkt, da ich das Gefühl habe, bereit zu sein. Ich will ins Leben starten», sagt sie.
Die Wohnungssuche gestaltet sich jedoch schwierig. In Zürich, Winterthur und Umgebung sind viele Wohnungen teuer oder gehen an ältere Bewerbende und Familien. «Mein Alter ist eine grosse Einschränkung. Vermieter bevorzugen Menschen mit mehr finanzieller Sicherheit», sagt sie. Deshalb sucht sie auch in den Kantonen Aargau und Thurgau, wo die Chancen besser stehen.
Sie möchte allein leben. «Ich habe mir lange überlegt, mit meinem besten Freund zusammenzuziehen, aber das hat leider nicht geklappt. Jetzt suche ich eine kleine Wohnung nur für mich», sagt sie. Einsamkeit macht ihr keine Sorgen. «Ich arbeite viel, und zu Hause soll es ruhig sein. Wenn ich jemanden zum Reden brauche, kann ich immer zum Hörer greifen.» In ihrem Freundeskreis ist sie die Erste, die sich aktiv auf Wohnungssuche macht, doch im Studium kennt sie viele, die schon ausgezogen sind.
Tanja Schlenz (21) aus Birmenstorf AG
Für das Studium ist Tanja Schlenz Mitte September nach Muttenz BL gezogen, weil ihr der Weg vom Elternhaus im Aargau zu weit gewesen wäre. Sie studiert im ersten Semester Medizintechnik an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie wohnt mit einer Mitstudentin in einer Wohngemeinschaft. «Für das erste Mal wollte ich nicht allein wohnen. Es ist einfacher, die Erfahrung der ersten eigenen Wohnung zu teilen», sagt sie.
Der Umzug fiel der Studentin leicht, auch weil sie auf die Erfahrung ihrer älteren Schwester und die Hilfe der Eltern zählen konnte. Schon während ihrer ersten Ausbildung lernte sie vieles über das selbständige Leben. Für die Semesterferien planen beide Mitbewohnerinnen, zu arbeiten, um Geld zu verdienen. «Wir haben das grosse Glück, dass uns unsere Eltern zusätzlich finanziell unterstützen. Das ist hilfreich, aber es fühlt sich etwas komisch an, wieder abhängig zu sein, nachdem wir in und nach der Lehre unser eigenes Geld verdient haben», sagt sie.
Die Wohnungssuche verlief unkompliziert. Nach nur drei Besichtigungen erhielten sie die Zusage. Und auch der Einzug verlief problemlos. «Wir waren gut vorbereitet, weshalb es keine allzu grossen Überraschungen gab.» In ihrem Umfeld liegt sie im Mittelfeld: Einige Freundinnen wohnen noch zu Hause, andere schon länger in eigenen Wohnungen.
Tamara Grätzer (23) aus Einsiedeln SZ
Erst vor drei Wochen ist Tamara Grätzer in ihre erste eigene Wohnung gezogen. Zuvor lebte sie abwechselnd bei ihren getrennten Eltern in Einsiedeln SZ. «Endlich sind alle meine Sachen an einem Ort. Vorher musste ich immer überlegen, bei welchem Elternteil ich welche Kleider und Gegenstände aufbewahre», sagt sie.
Der Auszug war schon länger ein Thema. «Mit dem Gedanken, auszuziehen, habe ich schon seit ein paar Jahren gespielt. Jetzt hat sich die perfekte Gelegenheit ergeben», sagt sie. Ihre Mutter hat eine Neubauwohnung in Willerzell SZ gekauft, einem Dorf im Bezirk Einsiedeln. Grätzers Mutter ist ihre Vermieterin und konnte ihr so bei der Miete entgegenkommen. Trotzdem musste Grätzer sicherstellen, dass sie sich das leisten kann. Sie arbeitet als Fachfrau Gesundheit und ist in ihrem Betrieb auch Berufsbildnerin. «Ich habe mein Pensum von 90 auf 100 Prozent erhöht, um alle Fixkosten decken zu können», sagt sie.
Die ersten Tage in der neuen Wohnung waren ungewohnt. «Am Anfang fühlte es sich an, als wäre ich in einer Ferienwohnung. Erst nach ein paar Tagen wurde mir klar, dass das wirklich mein Zuhause ist», sagt sie. Bei vielen Aufgaben war sie froh um die Hilfe von Familie und Freunden. «Ich wusste gar nicht, was man alles regeln muss, wenn man auszieht. Mein Bruder hat mir zum Beispiel beim Glasfaseranschluss geholfen, ein Versicherungsberater bei all den vielen Versicherungen.»
Sie geniesst die Ruhe, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kommt. «Ich kann machen, was ich will, wann ich will. Das ist ein schönes Gefühl», sagt sie. Auch wenn das Leben allein teurer ist, überwiegt die Zufriedenheit. «Ich fühle mich erwachsener. Neulich habe ich mich sogar dabei ertappt, wie ich im Laden die Preise von Spülmittel vergleiche», sagt sie.