Darum gehts
«Partnerinnen sind zu inoffiziellen Therapeutinnen geworden, die die emotionale Arbeit der Männer übernehmen», sagt ein Sozialarbeiter aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn gegenüber der «New York Times». Seine Aussage basiert auf unzähligen Gesprächen, die er mit Männern geführt hat. Auf die Frage, mit wem sie über ihre Probleme sprechen können, gaben die Männer fast ausschliesslich die eigene Partnerin an.
Das Phänomen, das aktuell in vielen Medien diskutiert wird, nennt sich «Mankeeping». Es beschreibt, dass Männer im Vergleich zu früher weniger Freunde haben, denen sie sich anvertrauen können. In heterosexuellen Beziehungen sind deshalb die Frauen dafür zuständig, die psychische Gesundheit ihrer Partner aufrechtzuerhalten: Sie hören zu, wenn es ihnen schlecht geht, und erinnern sie daran, soziale Kontakte zu pflegen. Steve Stiehler ist Dozent an der Ostschweizer Fachhochschule und forscht seit über 20 Jahren zu Männerfreundschaften. Er sieht im «Mankeeping» sowohl Risiken als auch Chancen.
Gefahr der Überforderung
«Es ist keineswegs neu, dass in Partnerschaften vor allem Lebenspartnerinnen das soziale Beziehungsmanagement übernehmen», sagt er. Vor 30 oder 40 Jahren habe die Verantwortung für soziale Kontakte innerhalb der Familie fast ausschliesslich bei den Frauen gelegen. Hier habe aber eine Veränderung stattgefunden: «Männer sind heute eher bereit, über sich selbst zu sprechen. Das ist ein vergleichsweise neues, durchaus positives Signal.»
Die Dynamik von «Mankeeping» trifft natürlich nicht auf alle heterosexuellen Paare zu, wie auch die beiden Forschenden der Stanford University betonen, die den Begriff geprägt haben. Dennoch gebe es viele Menschen, die ausserhalb ihrer Beziehung nur wenig soziale Unterstützung hätten, sagt der Experte «Das ist problematisch, weil die emotionale Last dann nur bei der Partnerin oder dem Partner hängenbleibt, was schnell zu Überforderung führt.»
Prof. Dr. Steve Stiehler ist seit 2007 Dozent am Departement Soziale Arbeit der OST – Ostschweizer Fachhochschule und heute am Institut für Soziale Arbeit und Räume tätig. Seit über zwei Jahrzehnten befasst er sich wissenschaftlich mit Themen wie Männerfreundschaften, sozialen Beziehungen und Lebensbewältigung. Stiehler hat dazu mehrere Bücher veröffentlicht. «Männerfreundschaften: Grundlagen und Dynamiken einer vernachlässigten Ressource» (2009, Beltz Fachbuch), «Zur Zukunft der Freundschaft - Freundschaft zwischen Idealisierung und Auflösung» (2018, Frank & Timme) und «Einsamkeit heute: Individuelles Schicksal oder gesellschaftliches Versagen?» (2025, Campus Verlag).
Prof. Dr. Steve Stiehler ist seit 2007 Dozent am Departement Soziale Arbeit der OST – Ostschweizer Fachhochschule und heute am Institut für Soziale Arbeit und Räume tätig. Seit über zwei Jahrzehnten befasst er sich wissenschaftlich mit Themen wie Männerfreundschaften, sozialen Beziehungen und Lebensbewältigung. Stiehler hat dazu mehrere Bücher veröffentlicht. «Männerfreundschaften: Grundlagen und Dynamiken einer vernachlässigten Ressource» (2009, Beltz Fachbuch), «Zur Zukunft der Freundschaft - Freundschaft zwischen Idealisierung und Auflösung» (2018, Frank & Timme) und «Einsamkeit heute: Individuelles Schicksal oder gesellschaftliches Versagen?» (2025, Campus Verlag).
Frauen dürfen Grenzen setzen
Wenn eine Frau das Gefühl hat, sich ständig emotional um ihren Partner kümmern zu müssen, ist es laut Stiehler wichtig, dass sie sich abgrenzt. «Frauen sind nicht dafür verantwortlich, alle Sorgen und Probleme ihres Partners aufzufangen. Diese Grenze zu setzen, ist legitim und notwendig, damit die Beziehung nicht darunter leidet.» Allerdings könne es schwierig sein, Männer dazu zu bringen, sich aktiv mit Freunden zu treffen. «Oft reagieren sie auf solche Aufforderungen eher ablehnend, weil sie sich nicht vorschreiben lassen wollen, wann und wie sie Freundschaften pflegen.»
Deshalb sei es sinnvoller, wenn die Partnerin Zeit mit Freunden als etwas Selbstverständliches und Positives unterstützt, ohne Druck. Mit einem Satz wie: «Du kannst ruhig ausgehen, ich komme hier klar» nehme sie ihrem Partner die Ausrede, keine Zeit zu haben. Der Experte rät Frauen auch, anzuerkennen, dass Männer nicht-sexuelle Freundschaften zu Frauen pflegen können und dass diese wichtig für ihr emotionales Gleichgewicht sind.
Merken, dass Verletzlichkeit nicht schadet
Gemischtgeschlechtliche Freundschaften seien heute viel verbreiteter als früher, fügt er an. «Diese Entwicklung schafft neue Räume für emotionalen Austausch. Männer erleben dabei oft erstmals, dass sie sich einer Kollegin gegenüber gefahrlos öffnen können und dass Verletzlichkeit nicht schadet, sondern guttut.» Solche Erfahrungen könnten auch helfen, emotional offenere Beziehungen zu männlichen Freunden zu entwickeln.
Doch das brauche Zeit, denn viele Männer hätten nie gelernt, ihre Emotionen differenziert zu beschreiben. «Gefühle werden häufig rationalisiert, indem man von Wut oder Ärger spricht, aber nicht darüber, wie sich diese Zustände im Körper anfühlen.» Ausserdem bestünden in langjährigen Männerfreundschaften oft unausgesprochene Tabus, wie Sexualität oder emotionale Themen. «Kommt dann doch ein persönliches Gespräch auf, kann sich das Gegenüber zunächst verunsichert fühlen.»
Oberflächliche Männerfreundschaften?
Obwohl es wichtig ist, mit Freunden über Gefühle zu sprechen, sollten wir uns laut Stiehler nicht zu sehr von einem einseitigen Ideal leiten lassen, was eine «gute» oder «tiefe» Freundschaft ausmacht. «Während Freundschaften unter Frauen oft durch emotionalen Austausch geprägt sind, entsteht Nähe unter Männern häufig durch gemeinsame Aktivitäten, Verlässlichkeit und ein stilles gegenseitiges Verständnis.»
Auch in scheinbar einfachen Ritualen wie dem gemeinsamen Tennisspielen oder Biertrinken stecke emotionale Bedeutung. «Allein zu wissen, dass im Ernstfall jemand da wäre, stärkt das Wohlbefinden», sagt Stiehler. Genau hier könne «Mankeeping» ansetzen: «Wenn Männer ihre eigene Art, Nähe zu erleben, als ebenso wertvoll erkennen und zugleich mehr emotionale Offenheit zulassen, kann das viel bewirken.»