Darum gehts
Wer gut aussieht, hat in Beziehungen, im Beruf und im öffentlichen Leben bessere Chancen. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Doch was früher Schicksal war, ist heute gestaltbar. Laut der deutschen Psychotherapeutin und Schönheitsforscherin Ada Borkenhagen (59) hat die ästhetische Medizin das Aussehen käuflich gemacht – und zugleich neue Ungleichheiten geschaffen. Warum bei uns bei Beauty-OPs russische Verhältnisse drohen, sagt die Expertin im Interview mit Blick.
Frau Borkenhagen, gemäss Ihnen ist Schönheit der grösste soziale Ungleichheitsfaktor in modernen westlichen Gesellschaften. Warum?
Schönheit ist heute kein Schicksal mehr, sondern machbar. Die ästhetische Medizin hat enorme Fortschritte gemacht – vor allem bei den minimal- und non-invasiven Behandlungen. Damit lassen sich Alterserscheinungen deutlich mildern oder verzögern. Schönheit ist damit zu einem gestaltbaren und zugleich sozial ungleich verteilten Gut geworden.
Ungleich verteilt, weil sie viel Geld kostet?
Man muss sich das über Jahre leisten können. Und es braucht nicht nur Geld, sondern auch Zeit und Wissen. Wer schon früh auf Ernährung, Pflege und Fitness achtet, altert anders als jemand, der erst mit 55 anfängt, sich um sich selbst zu kümmern. Das alles macht ein schönes Gesicht und einen schönen Körper zu einem Luxusgut. Ich behaupte, Attraktivität ist das herausragende Charakteristikum der Ober- und Mittelschicht geworden. Sie markiert die Grenzen zwischen den Klassen. Das gilt auch für den deutschsprachigen Raum.
Behandlungen mit Botulinumtoxin sind heute so leicht zugänglich wie nie zuvor. Das können sich auch Menschen mit weniger Einkommen leisten.
Das ist korrekt. Wer sich jedoch zur Flatrate-Behandlung in der Beauty-Klinik an der Ecke begibt, sieht meist auch so aus – künstlich, mit diesen Sprungschanzen-Lippen, wie ich sie nenne. Manchmal auch mit einer hängenden Braue, wenn die Spritze nicht präzise gesetzt wurde. Auch am Hautton lässt sich das Teure gut vom Billigen unterscheiden. Braun ist eben nicht gleich Braun.
Wie meinen Sie das?
Der derzeit beliebte, das ganze Jahr über gepflegte, leicht sonnengeküsste Teint entsteht nicht durch stundenlanges Bräunen in der Sommerhitze – davon bekommt man nur Sonnenbrand und Falten. Ein natürlicher Glow verlangt vielmehr eine kontinuierliche, exakt dosierte Portion UV-Strahlung. Das Wissen um diese richtige Dosis – und die finanziellen wie zeitlichen Mittel, sie umzusetzen – macht den Unterschied. Es sind genau diese feinen Codes, mit denen sich die Mittel- und Oberschicht dezent, aber deutlich von der breiten Masse der Mallorca-Bräuner absetzt.
Welches Schönheitsideal ist heute angesagt?
Heute gilt das Ideal des «schönen Alterns». Man darf zwar ein paar Fältchen haben, aber nicht verlebt aussehen. Die Spuren des Lebens sollen positiv wirken. Eine plastische Chirurgin hat das mit einer gut erhaltenen Vintage-Tasche verglichen. Man sieht, dass sie getragen wurde, aber sie ist hochwertig und richtig gepflegt. Das gilt auch für Männer. George Clooney steht dazu, sich spritzen zu lassen. Lachfältchen um die Augen sind okay, doch die tiefen Krähenfüsse müssen weg.
Das klingt alles sehr zynisch. Ist diese Entwicklung in Ihren Augen gut oder schlecht?
Das sogenannte natürliche Aussehen ist für mich – wie alles andere auch – ein Label, mit dem die Beauty-Industrie Geld verdient. Es ist wie beim «Nude-Look», der alle paar Jahre wiederkehrt: Frauen tragen Lippenstift, den man nicht sieht – aber sie tragen trotzdem Lippenstift.
In mehr oder weniger gehobenen Kreisen Russlands gelten Frauen, die ab einem bestimmten Alter nichts an sich «machen lassen», als ungepflegt. Wann ist es bei uns so weit?
Meiner Meinung nach ist Deutschland schon jetzt so, dass man angeguckt wird mit diesem «Mensch, die sieht ja alt aus»-Blick. Man kriegt auch praktisch keine Schauspielerinnen mehr zu Gesicht, die fünfzig sind und wie fünfzig aussehen. Es sei denn, sie spielen eine Haushälterin.
Ada Borkenhagen (59) ist Professorin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und führt in Berlin eine eigene psychotherapeutische Praxis. Seit vielen Jahren erforscht sie, wie Schönheitsideale und ästhetische Medizin das Selbstbild prägen und zählt zu den profiliertesten Stimmen, wenn es um die psychischen und sozialen Folgen von Körperoptimierung geht. In ihrem neuen Buch «Bin ich schön genug?» (2025) untersucht Borkenhagen den Optimierungsdruck zwischen Schönheitswahn und Selbstliebe. Abgesehen von der Schliessung eines ausgeleierten Ohrringlochs hat sie nach eigenen Angaben bislang keine ästhetischen Eingriffe an sich vornehmen lassen.
Ada Borkenhagen (59) ist Professorin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und führt in Berlin eine eigene psychotherapeutische Praxis. Seit vielen Jahren erforscht sie, wie Schönheitsideale und ästhetische Medizin das Selbstbild prägen und zählt zu den profiliertesten Stimmen, wenn es um die psychischen und sozialen Folgen von Körperoptimierung geht. In ihrem neuen Buch «Bin ich schön genug?» (2025) untersucht Borkenhagen den Optimierungsdruck zwischen Schönheitswahn und Selbstliebe. Abgesehen von der Schliessung eines ausgeleierten Ohrringlochs hat sie nach eigenen Angaben bislang keine ästhetischen Eingriffe an sich vornehmen lassen.