Verblüffender Grund:
Warum finden wir uns im Spiegel oft hübscher als auf Fotos?

Warum sehen wir auf Fotos oft «komisch» aus, während uns der Spiegel viel wohlgesonnener ist? Dahinter steckt ein psychologischer Effekt, der unser Gehirn komplett austrickst – und erklärt, warum andere uns ganz anders wahrnehmen als wir selbst.
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Unser Gehirn trickst uns mit den Spiegelbildern gehörig aus.
Foto: Pexels

Darum gehts

  • Spiegelbild gefällt oft besser als Fotos wegen Gewöhnung und Gehirntrick
  • Mere-Exposure-Effekt: Häufig Gesehenes wird positiver bewertet
  • Video-Call-Apps zeigen standardmässig gespiegeltes Bild für angenehmes Nutzererlebnis
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Gunda BosselSEO-Redaktorin

Wir mögen, was wir gewohnt sind: Mehrmals täglich begegnen wir unserem Spiegel-Ich – und zwar immer in der gleichen, seitenverkehrten Version. Genau dieses Bild hat sich eingebrannt: Die Haarsträhne liegt richtig, kleine Macken wirken vertraut, das Grübchen sitzt auf der richtigen Seite und der Gesichtsausdruck fühlt sich nach «dir» an.

Ein Foto wirft dieses gewohnte Bild plötzlich über den Haufen. Es zeigt dein Gesicht so, wie andere dich sehen – nämlich ungespiegelt. Und für dein Gehirn wirkt das erst einmal total fremd. Vielleicht wirkt dein Ausdruck härter, die Nase schiefer, die Mimik irgendwie anders, das Lachen verzogen. 

Wenn sich jedes Foto falsch anfühlt, könnte es am Mere-Exposure-Effekt liegen.
Foto: pixabay

Der psychologische Effekt dahinter

In der Forschung nennt sich das Ganze Mere-Exposure-Effekt. Dahinter steckt ein erstaunlich simples, aber wirkungsvolles Prinzip: Je häufiger wir einem Reiz begegnen, desto vertrauter wirkt er – und Vertrautheit nehmen wir automatisch als positiv wahr.

Unser Gehirn liebt Dinge, die es schon kennt, weil sie weniger «Aufwand» bedeuten und als sicherer eingeschätzt werden. Dieser Effekt funktioniert nicht nur bei Gesichtern, sondern auch bei Stimmen, Logos, Melodien oder sogar komplett erfundenen Wörtern. Wiederholung schafft also ein Gefühl von Nähe und Sympathie – ganz egal, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.

Darum fühlen sich Video Calls und Online-Meetings «richtig» an

Auch in Video-Calls oder in Online-Meetings zeigt sich der Effekt: Die meisten Apps zeigen dir standardmässig ein gespiegeltes Bild – du siehst dich also so, wie du dich aus dem Badezimmer kennst. Für alle anderen Teilnehmenden siehst du jedoch nicht gespiegelt aus. Schaltest du diese Funktion jedoch aus, fühlt sich dein eigenes Gesicht plötzlich «verdreht» an. Die Software schützt uns also im Online-Meeting vor genau diesem Irritationsmoment.

Im Onlinemeeting mal die Perspektive wechseln? Sehr verblüffend!
Foto: Pexels

Unser Gehirn liebt Wiederholungen – aber nicht unbegrenzt

Der Mere-Exposure-Effekt lässt sich überall beobachten:

  • Ein Song, der dich beim ersten Hören kaltlässt, wird nach ein paar Durchläufen plötzlich eingängig und beginnt, dir richtig gut zu gefallen.
  • Menschen, die dir regelmässig über den Weg laufen, auch wenn es nur jeden Morgen kurz vor dem Briefkasten ist, wirken automatisch vertrauter – selbst ohne lange Gespräche oder ein näheres Kennenlernen.
  • Logos, die ständig auftauchen, brennen sich ein und wirken mit der Zeit vertrauenswürdig – obwohl du kaum darüber nachdenkst, was sie präsentieren.
  • Forscher fanden sogar heraus, dass Menschen Fantasiewörter oder ihnen unbekannte Schriftzeichen positiver bewerten, wenn sie diese vorher einige Male gesehen haben. Verstehen müssen sie diese dafür nicht.

Doch es gibt eine Grenze

Endlos funktioniert der Effekt jedoch nicht denn wird etwas zu oft wiederholt, kippt es ins Gegenteil – wir langweilen uns! In der Psychologie nennt man das den «Neuigkeitseffekt»: Das Unbekannte kann plötzlich spannender wirken als das Vertraute.

Wenn man einen Song also zu oft hört, kann er einen plötzlich nerven. Jeden Morgen denselben Nachbarn zu grüssen, kommt einem mit der Zeit vielleicht auch etwas merkwürdig vor und gewisse Werbungen gehen einem ziemlich schnell auf den Geist, auch wenn man sie am Anfang noch recht witzig fand.

Hinzu kommt zum Mere-Exposure-Effekt noch die Perspektive

Nicht, dass wir auf Fotos von uns selber schon genug mit dem Effekt zu kämpfen hätten, hinzu kommt, dass wir unser Spiegelbild meist frontal sehen, unter unserer eigenen Kontrolle. Fotos, von anderen Menschen geschossen, dagegen entstehen aus Seitenperspektiven, in Bewegungen oder ungewohnten Momenten.
Kurz: Ein Foto zeigt uns in Aktionen, aus Blickwinkeln, Richtungen, Höhen oder Perspektiven, die wir von uns selbst eigentlich nie sehen. Denn der Blick in den Spiegel oder in die Kamera fürs Gruppenfoto oder Selfie geht meistens geradeaus und die Bilder werden frontal geknipst.

Auch Familienbilder und Selfies mit den Kindern zeigen uns meistens frontal und gerade in die Kamera blickend.
Foto: pixabay


Für andere Menschen sind die Versionen und Perspektiven von uns, die auf Fotos fremd wirken, also ganz normal, denn sie sehen uns schliesslich täglich «von aussen».

Was wir daraus lernen können

Schönheit ist nicht nur Formen, Symmetrie oder perfekte Lichtstimmung, sondern entsteht oft auch einfach aus Gewöhnung und Repetitionen.
Also: Wenn dich das nächste Selfie nervt – entspann dich. Du findest es nur komisch, weil du es nicht gewohnt bist. Für die Menschen um dich herum ist genau dieses Bild ganz selbstverständlich. Und ja: oft auch schön.

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