Darum gehts
Die TV-Nation hält den Atem an, als es bei TV-Bäuerin Gabi vergangene Woche zum langersehnten Kuss mit ihrem Hofherren Röbi kommt. 46 Jahre lang sei sie nicht mehr geküsst worden, erzählt die 65-Jährige zuvor. Sie habe im Vorfeld des Hoffestes, an dem es zum Kuss kam, gar gegoogelt, wie man das richtig mache. Dabei war Gabi vierzig Jahre lang verheiratet.
Viele glauben, Küssen müsse automatisch zu Sex führen
«Ich habe das Gefühl, das kommt öfter vor, als wir denken», sagt Paartherapeutin Anne Ehret. Im gleichen Mass, wie die Häufigkeit von Sex in einer Langzeitbeziehung abnimmt, tut das auch die des Küssens. «Am Anfang einer Beziehung ist Küssen sehr spielerisch, dient dazu, einander gegenseitig zu erkunden, Intimität zu schaffen. Je länger die Beziehung andauert, desto seltener küsst man sich unabhängig vom Sex.» Denn bei vielen Langzeitpaaren führt ein inniger Kuss automatisch zu Sex.
Nicht, dass das falsch wäre. Aber schade. Denn Küssen setzt Hormone wie Dopamin, Serotonin und Oxytocin frei, die Glücksgefühle auslösen und Stress reduzieren. Und es schafft die wohl grösstmögliche Nähe zwischen Paaren. «Küssen ist intimer als Sex», sagt Anne Ehret. «Es ist sehr sinnlich, man riecht und schmeckt den Partner oder die Partnerin in einer Art und Weise, wie das sonst kaum der Fall ist. In einem Kuss steckt sehr viel Nähe und Zärtlichkeit.» Dass Sexarbeitende bei der Ausübung ihres Jobs nicht küssen, ist wohl mehr als ein Gerücht und nicht zufällig.
Nähe macht verletzlich
Ihr Mann habe einfach nicht gern geküsst, sagt Bäuerin Gabi über ihre kusslose Ehe. Damit ist er nicht allein: In der Schweiz gibt es keine entsprechenden Studien, aber in einer deutschen Umfrage geben ein Viertel der Befragten (Männer und Frauen) an, nicht so gern zu küssen. Woran das liegen könnte? Nähe mache verletzlich, sagt die Paartherapeutin. Gerade in einer Langzeitbeziehung können sich gewisse Muster einspielen – auch beim Sex. Dieser wird dann oft zur Routineübung. «Beim innigen Küssen ist das anders. Da muss man echte Nähe und Emotionen zulassen.» In unserer Gesellschaft sei es einfacher, miteinander ins Bett zu gehen als Intimität zu leben. Und: «Einander lange in die Augen zu schauen, fällt vielen Paaren schwerer, als miteinander Sex zu haben.»
Und was nun, wenn man gern mehr küssen würde als der Partner oder die Partnerin? «Nach den Gründen fragen, warum jemand nicht so gern küsst», rät Anne Ehret. Vielleicht sei jemand unsicher, weil er oder sie nie ein Feedback bekommen hat, hält sich eventuell für einen schlechten Küsser oder eine schlechte Küsserin. «Dabei gibt es dafür keine objektiven Kriterien. Gut ist, was beiden gefällt. Wichtig ist, dass man sich auf die andere Person einlassen kann.» Schlussendlich gehe es darum, bewusste Nähe geniessen zu können. «Das geht nur, wenn man sowohl Zeit miteinander als auch ohne einander verbringt. Nur so entsteht die für Intimität – und für eine gesunde Sexualität – nötige Spannung.»