Darum gehts
Was Neu-Eltern Lust und Nähe abseits des Babyzimmers bringen sollte, endet oft in Frust. Studien zeigen: Jede dritte Frau hat im ersten Jahr nach der Entbindung Schmerzen beim Sex – teils über Monate, manchmal sogar über Jahre. In der Regel nehmen die Beschwerden nach sechs bis zwölf Monaten ab, im Einzelfall können Frauen aber auch jahrelang leiden.
Die sogenannte Dyspareunie ist ein Tabuthema, das viele Paare belastet und aus Scham kaum thematisiert wird. Im Interview erklärt die Psychologin und Sexologin Dania Schiftan, warum so viele junge Mütter beim Geschlechtsverkehr leiden – und wie sie den Weg zurück zu einer erfüllten Sexualität finden können.
Blick: Warum ist die sogenannte Dyspareunie so ein Tabuthema?
Dania Schiftan: Alles, was mit dem Genital zu tun hat, vor allem mit dem weiblichen, ist ein Tabuthema. Oft denken Frauen, dass es an ihnen liegt, dass sie etwas falsch machen oder dass mit ihnen etwas nicht okay ist. Dazu kommt, dass sie glauben, dass es keinen Weg aus dem Leiden gibt.
Wo liegen denn die Ursachen für Schmerzen beim Geschlechtsverkehr?
Meist spielen sowohl körperliche als auch psychische Aspekte eine Rolle. Nach einer Geburt, vor allem nach einer vaginalen, kann es zu Verletzungen und Reizungen am Genital kommen. Für viele Frauen fühlt sich dann die eigene Vulva fremd und ungewohnt an. Dieser Fakt, gepaart mit einem Neugeborenen, mit der neuen Rolle als Mutter und der Beziehung, die sich durch die Elternschaft verändert, kann dazu führen, dass die Frau die Verbindung zu ihrer Sexualität und zu ihrem Geschlecht verliert.
Was raten Sie in Ihrer Praxis den Betroffenen?
In der Praxis stelle ich oft fest, dass es für viele Frauen bereits befreiend ist, wenn man über die Schmerzen spricht. Im Gespräch bestärke ich sie, unbedingt aufzuhören, wenn der Sex schmerzt. Nur schon dieser Schritt ist für viele Betroffene schwierig und mit einer grossen Hürde verbunden.
Wie lässt sich Dyspareunie behandeln?
Es gibt viele Mittel und Wege. Das Wichtigste ist, dass man zuerst den Grund für die Schmerzen findet und die passende Behandlung definiert. Diese kann medizinisch oder psychotherapeutisch sein – oder beides.
Wie können Männer ihre betroffenen Frauen unterstützen?
Liebevolle Partner können in eine Paralyse verfallen, wo sie in ständiger Angst davor leben, ihren Partnerinnen wehzutun. Das kann dazu führen, dass sie sich völlig zurückziehen. Es kommt aber auch vor, dass Männer gar nichts vom Leiden ihrer Partnerinnen merken oder das Gefühl haben, dass es sich nicht um ihr Problem handelt. Männer müssen lernen, Rücksicht zu nehmen. Zeitgleich dürfen sie auch Teil der Heilung und des Prozesses zurück in eine erfüllte Sexualität sein. Und natürlich auch eigene Bedürfnisse haben. Da die Balance als Paar zu finden, ist anspruchsvoll.
Wie kann ein Paar seine Sexualität trotz Dyspareunie aufrechterhalten?
Hilfreich ist, wenn ein Paar eine Sexualität aufbaut, die nicht im Geschlechtsverkehr münden muss. Sexualität besteht aus viel mehr als Penetration. In gemeinsamen Gesprächen und Begegnungen kann das Paar eine neue Form finden, die für beide passt. In einem weiteren Schritt kann die Frau zunächst selber kleine Schritte weitergehen und ausprobieren: vielleicht mal einen Finger einführen, Gleitmittel nutzen, ganz langsam und vorsichtig sein.
Kann man Dyspareunie vorbeugen?
Ja. Wenn die Frau sich und ihre Sexualität gut kennt und weiss, was ihr gut gefällt und was nicht, ist schon viel getan. Und auch wenn sie beim geringsten Widerstand und Schmerz den Akt abbricht – auch wenn sie noch nicht Mutter ist. In jedem Fall soll frau über ihr Leiden sprechen, sich helfen lassen und sich vor allem bewusst sein, dass sie nie schuld ist, wenn ihr etwas weh tut.