Gemischtorientierte Beziehung
Schwul, aber mit einer Frau zusammen – kann das gut gehen?

Jacob ist schwul, aber verheiratet mit Samantha. Und zwar nicht nur pro forma, sondern aus Liebe. Und ja, sie haben auch Sex. Und leben nach eigenen Aussagen monogam. Sexologin Melina Dobroka über sogenannte gemischtorientierte Beziehungen.
Publiziert: 14:17 Uhr
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Aktualisiert: vor 23 Minuten
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Fabienne EichelbergerFreie Journalistin Service-Team

Es war ein Musical-Casting, das ihr Leben verändern sollte. Beim Vorsingen für «Fiddler on the Roof» trafen sich Samantha Greenstone (38) und Jacob Hoff (31) im Jahr 2015 zum ersten Mal. Schnell entwickelte sich zwischen ihnen eine tiefe Freundschaft, später gestanden sie sich gegenseitig ihre Liebe. Seit November 2024 sind die beiden verheiratet, sie leben in Los Angeles. Auf Tiktok und Instagram geben sie regelmässig Einblick in ihr Eheleben.

Hunderttausende Menschen folgen ihnen – weil sie eine besondere Partnerschaft leben: Jacob identifiziert sich als homosexuell, Samantha als heterosexuell. Ihre Beziehung bezeichnen die beiden als «mixed-orientation relationship» – also als gemischtorientierte Beziehung.

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Solche Verbindungen sind kein neues Phänomen. Früher – und bis heute in konservativeren Kreisen – dienten sie hauptsächlich der Tarnung der sexuellen Orientierung von einem oder beiden Partnern und als Schutz vor Stigmatisierung. Man bezeichnet dies als «Lavendel-Ehe». Mittlerweile wird dieser Begriff auch für moderne platonische Lebenspartnerschaften verwendet, die zwei Menschen eingehen, um unter anderem finanzielle Vorteile zu geniessen. Ein Modell, das gemäss psychologytoday.com bei der Generation Z immer beliebter wird.

Samantha und Jacob führen aber keine «Lavendel-Ehe». Ihre Verbindung ist auch nicht platonisch. Sie betonen, ein erfülltes Sexleben zu haben und eine monogame Beziehung zu führen. Zu Beginn hatten beide Zweifel. Gegenüber dem «Daily Mirror» sagte Jacob, er sei unsicher gewesen, ob er eine erfolgreiche Beziehung mit einer Frau führen kann. «Ich hatte Angst, die Beziehung zu ruinieren.» Samantha wiederum fragte sich: «Halte ich ihn davon ab, seine Sexualität zu leben?»

Herausforderungen für beide Seiten

Die Sexologin Melina Dobroka sagt: «Eine gemischtorientierte Beziehung bringt für beide Seiten Herausforderungen mit sich, und beide müssen sich an den jeweils anderen Part anpassen.» Eine offensichtliche Herausforderung ist, dass die homosexuelle Person in der Beziehung – wird sie wie bei Samantha und Jacob monogam gelebt – ihre Bedürfnisse nicht auslebt.

Melina Dobroka (39) ist Sexologin und Pädagogin mit eigener Praxis in Basel. Sie ist Vorstandsmitglied des Fachverbandes Sexologie Schweiz FSS. Der Verband setzt sich für gesellschaftliches und wissenschaftliches Ansehen der Sexologie als Berufsstand ein, und fördert die Verbreitung und Umsetzung von sexueller Gesundheit und Rechten.
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Ist es möglich, dennoch eine glückliche und befriedigende Partnerschaft zu führen? Dobroka findet: «Jein.» Gewisse Fantasien, die in der Beziehung keinen Platz haben, können bei der Selbstbefriedigung ausgelebt werden. Ausserdem habe die Sexualität nicht für jeden Menschen denselben Stellenwert, und die eigenen Vorlieben nicht auszuleben, müsse nicht automatisch als einschränkend empfunden werden.

Liebe und Begehren sind möglich

Dass sich ein homosexueller Mann in eine Frau verlieben kann, stellt Melina Dobroka nicht in Frage. Sie erklärt: «Verliebt sein verzerrt unsere Wahrnehmung, da wir die andere Person durch Projektionen und Idealisierungen sehen. Es sind dabei so viele Hormone im Spiel, die einen Ausnahmezustand kreieren.» Mit der Zeit werde der Blick aber wieder realistischer. Dann kann Liebe entstehen oder aber auch eine tiefe Freundschaft. Im Falle von Samantha und Jacob ist es anscheinend die Liebe des Lebens. Die Sexologin gibt jedoch zu bedenken: «Liebe allein bedeutet nicht, dass eine Partnerschaft erfüllt ist.»

Dass Jacob Samantha auch körperlich begehrt, ist gemäss Melina Dobroka durchaus möglich. Oft wird in solchen Fällen angenommen, die homosexuelle Person sei in Wahrheit bisexuell. Doch das greife zu kurz: «Ein homosexueller Mensch kann sich auch zu einem Menschen des anderen Geschlechts hingezogen fühlen.»

Wen wir anziehend finden, bestimmen vor allem sogenannte sexuelle Anziehungscodes. Sie umfassen Gesten, Handlungen, Worte, Rituale, Eigenschaften und körperliche Merkmale. Entstanden aus früheren Erlebnissen und geprägt durch unsere Umgebung, entwickeln und erweitern sich diese Codes im Laufe des Lebens. Das Geschlecht muss also gar nicht unbedingt das Mass aller Dinge sein, wenns ums Verlieben geht.

Noch immer Schuld und Scham im Spiel

Was aber, wenn jemand erst innerhalb einer heterosexuellen Beziehung erkennt, dass er oder sie sich stärker zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt? «Diese Erkenntnis ist oft mit Schuld und Scham verbunden», sagt Melina Dobroka. Beide Bezugspersonen müssen dann zuerst klären, ob sie einen gemeinsamen Weg gehen möchten und wenn ja, wie dieser aussehen soll.

Samantha und Jacob scheinen ein Modell gefunden zu haben, das für sie funktioniert. Sie sprechen offen über ihre Zweifel und Bedürfnisse. «Auf Dauer ist es sicherlich schwierig, eine glückliche gemischtorientierte Beziehung zu führen – doch keine Beziehung verläuft ohne Herausforderungen», sagt Dobroka. Das Zusammensein sei immer davon geprägt, Dinge auszuhandeln und sich neu zu finden. Ausserdem sei ein Beziehungsmodell nicht etwas Statisches: «Es kann und darf sich verändern.»

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