Darum gehts
- Milena Canonero wird am 10. August beim Locarno Film Festival für ihr Lebenswerk geehrt
- Ihre Kostümdesigns verbinden historische Eleganz mit modernem Flair und Innovation
- Canonero hat vier Oscars für ihre Kostümarbeiten in Filmklassikern gewonnen
Während Regiegrössen wie Stanley Kubrick (1928–1999), Wes Anderson (56) und Sofia Coppola (54) auch ausserhalb der Filmbranche vielen ein Begriff sind, sind Make-up-Artists, Cutter oder Kostümdesigner grosser Filmklassiker den wenigsten bekannt – dabei sind viele von ihnen Stars in ihrem Gebiet.
Zu ihnen gehört auch die italienische Kostümdesignerin Milena Canonero (79). Das Locarno Film Festival ehrt Canonero am 10. August mit dem Vision Award. Die erfolgreiche Karriere Canoneros in Film, Theater und Oper begann bereits 1970 mit dem Kostümdesign in Kubricks Film «A Clockwork Orange» – mittlerweile hat sie vier Oscars gewonnen.
Zeit, einen Blick auf die vier Meisterwerke zu werfen, deren preisgekrönte Kostümdesigns die Filmgeschichte durch ihre künstlerische Tiefe, präzise historische Umsetzung und stilistische Innovation nachhaltig geprägt haben:
«Marie Antoinette» (2006) von Sofia Coppola
Die Kostüme in diesem Historiendrama über das Leben der einstigen französischen Königin am Hof von Versailles verbinden historische Eleganz mit modernem Flair. Canonero orientierte sich an der Mode des 18. Jahrhunderts – speziell der Rokoko-Zeit –, verzichtete aber auf strenge historische Korrektheit und interpretierte die Mode farbenfroh, verspielt und poppig. Wie in einem Cupcake-Laden dominieren Pastelltöne in Rosa, Hellblau, Mintgrün und Lavendel, bei den Stoffen setzte die Designerin auf Seide, Brokat und Spitze.
Marie Antoinettes Kostüme spiegeln ihre Entwicklung vom naiven Teenager zur resignierten Königin: Trägt sie anfangs noch einengende, formelle Kleider, zeichnet sich ihr Modestil während ihrer Blütezeit durch Extravaganz und Farbenvielfalt aus. Als der Untergang naht, trägt die Königin gedeckte Farben und wenig Schmuck.
«The Grand Budapest Hotel» (2014) von Wes Anderson
Ein Paradebeispiel für visuelle Erzählkunst durch Kleidung ist auch der Film «The Grand Budapest Hotel», der vier Oscars gewann. Canonero arbeitete mit Stilmitteln wie Überzeichnung und Nostalgie; jedes Detail ist durchdacht und symbolträchtig. Ihre Entwürfe mussten farblich mit dem Szenenbild harmonieren und leuchteten deshalb in Rosa, Violett, Türkis und Pastelltönen.
Inspiration fand die Designerin in der Mode der 1930er-Jahre, osteuropäischen Uniformen und der Grandhotel-Kultur der Jahrhundertwende. Die Hauptfigur trägt eine violett-lila Uniform mit roten Paspeln. Damit wirkt der Concierge extravagant und surreal. Die freudlose schwarze Kleidung aus Leder des Schurken macht diesen zum Schattenwesen in dieser pastelligen Welt.
«Chariots of Fire» (1981) von Hugh Hudson
Im Klassiker «Chariots of Fire» überzeugte Canonero durch ihre historisch authentische Interpretation der Mode der 1920er-Jahre. Der Film erzählt die wahre Geschichte zweier britischer Athleten, die bei den Olympischen Spielen 1924 aus unterschiedlichen Überzeugungen heraus um den Sieg kämpften.
Ihre Kleidung ist schlicht, funktional und weiss, was die Reinheit und den Idealismus der Athleten symbolisiert. Dagegen betonen die Kostüme der Figuren aus wohlhabenden und akademischen Milieus deren gesellschaftliche Stellung durch klassische Schnitte und zeittypische Details, die an die Universitätsmode jener Zeit erinnern. Auch «Chariots of Fire» gewann insgesamt vier Oscars.
«Barry Lyndon» (1975) von Stanley Kubrick
Vier Oscars gewann Mitte der 1970er-Jahre bereits das Historiendrama «Barry Lyndon», dessen gleichnamiger Protagonist – ein mittelloser irischer Abenteurer im 18. Jahrhundert – durch Zufall und Intrigen in den Adel aufsteigt und ebenso tief wieder fällt. Den Oscar für das beste Kostümdesign teilte sich Milena Canonero mit der schwedischen Kostümbildnerin Ulla-Britt Söderlund (1943–1985). Die opulenten Kostüme orientieren sich streng an Gemälden und der Mode des 18. Jahrhunderts: prächtige Adelsgewänder, kunstvolle Rokoko-Kleider, fein gearbeitete Uniformen und authentische Alltagskleidung. Kubrick drehte viele Szenen bei natürlichem Licht oder Kerzenschein, sodass die Kleidung auch unter diesen Bedingungen wirken musste.
An der aktuellen 78. Ausgabe des Locarno Film Festivals stellt Canonero ihre jüngste Zusammenarbeit mit Regisseur Francis Ford Coppola vor: das Science-Fiction-Drama «Megalopolis» (2024), in dem ein visionärer Architekt das zerstörte New York der Zukunft in eine utopische Stadt verwandeln will. Canonero hat extravagante, zeitlose Kostüme geschaffen und unterstreicht damit visuell den utopisch-dystopischen Tenor des Films.