Darum gehts
- Locarno Film Festival ehrt viele Stars und zeigt 221 Filme
- Festival strebt nach künstlerischer Kühnheit und internationaler Positionierung
- Budget bleibt bei 17 bis 18 Millionen, der Anteil der öffentlichen Gelder ging zurück
In den letzten Wochen kommunizierte das Locarno Film Festival mehrere schillernde Namen, die an der diesjährigen Ausgabe vom 6. bis zum 16. August mit einem Preis geehrt werden und ihre Filme vorstellen: Emma Thompson (66), Jackie Chan (71), Lucy Liu (56), Alexander Payne (64), Willem Dafoe (70) und Golshifteh Farahani (42).
Seit dem Einstieg der Basler Kunstmäzenin Maja Hoffmann (69) als Festivalpräsidentin 2024 ist das Festival noch etwas weltläufiger geworden als in der langen Ära von Marco Solari (81).
Das letztjährige Plakat deutete den hohen Anspruch und die Möglichkeiten des Beziehungsnetzes von Hoffmann bereits an. Das Leopardenbild stammte von US-Starfotografin Annie Leibovitz (75). Und auch heuer ist mit Wolfgang Tillmans (56) einer der ganz Grossen für das Sujet verantwortlich.
Globale Strahlkraft hat noch zugenommen
Auf die Frage, ob sich Locarno wieder mehr um Stars bemühe, sagt der künstlerische Leiter Giona A. Nazzaro (60) gegenüber Blick: «Es geht nicht um grosse Namen, sondern um kreative Köpfe, um Leute, die etwas Spezielles geschaffen haben. Jede Persönlichkeit, die wir einladen und mit einem Preis ehren, hat etwas Wesentliches für die Filmwelt erreicht.» Doch der Unterschied zu früheren, glanzloseren Ausgaben ist augenfällig.
Anhaltend ist die Popularität von Locarno in der globalen Filmszene. 6373 Einreichungen gingen für 2025 ein – 12 Prozent mehr als 2024. Nazzaro, der seinen Vertrag kürzlich bis 2027 verlängert hat, sagt dazu: «Wir sind für die Filmemacher weltweit ein Hafen für künstlerische Kühnheit.»
223 Filme haben es in die aktuelle Auswahl geschafft, darunter 100 Weltpremieren. Im internationalen Wettbewerb stehen achtzehn Filme. Sieben davon stammen von Regisseurinnen, für ein A-Festival ein starker Wert. «Und Locarno ist nicht immer todernst, wie immer behauptet wird. Wir haben dieses Jahr gleich vier Komödien im Wettbewerb», so Nazzaro.
Gerade das Piazza-Programm zeigt, dass der eher introvertierte Nazzaro im Geist ein kleiner Bub geblieben ist. So mit «Police Story» des bereits erwähnten Jackie Chan (9. August) oder tags darauf mit «The Shining». Mit der Vorführung des Horrorklassikers wird die vierfach oscarprämierte Kostümdesignerin Milena Canonero (79) – noch ein grosser Name – geehrt.
Als der Film 1980 erstmals lief, schlich sich Nazzaro als 15-Jähriger ins Kino. «Ich möchte auf meine Kino-Traumata nicht verzichten. Ich habe nie so viel gelernt über den Film wie von Filmen, die ich eigentlich noch nicht hätte sehen sollen. ‹Shining› warf mich zu Boden. Aber das tat mir gut. Für mich gab es immer einen intellektuellen Genuss, Dinge zu entdecken, die ich nicht kannte.»
«Kein grosses Wachstumspotenzial mehr in der Schweiz»
Nazzaro ist der intellektuelle Cineast, CEO Raphaël Brunschwig (41) der Diplomat und «Verkäufer» des Festivals – ein stimmiges Tandem. Seit 2013 ist er dabei, seit 2017 in der jetzigen Position. Gross gewachsen und für einen Mann stets auffällig gut angezogen. Kleider machen (auch) Leute.
Das Budget sei in den letzten Jahren unverändert bei 17 bis 18 Millionen geblieben, sagt Brunschwig. Und das strukturelle Defizit werde nun mehr und mehr ausgeebnet. «In Prozent ist der Teil der öffentlichen Gelder in der letzten Dekade gesunken, von 44 auf etwa 38 Prozent. Ausgleichen konnten wir es, weil wir bei den privaten Partnern zulegten. In den letzten acht Jahren ist das Budget des Festivals um 5 Millionen gewachsen.»
Brunschwig unterstreicht aber auch: «Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir in der Schweiz kein grosses Wachstumspotenzial mehr haben. Mit dem international ausgerichteten Präsidium haben wir nun vermehrt das Ausland im Fokus.»
Nicht nur über Maja Hoffmann, sondern auch über den früheren Biennale-Venedig-Direktor Roberto Cicutto (77). Neu dabei ist zudem Ex-SRG-Direktor Gilles Marchand (63). «Es geht um viel mehr als Kultur und Film. Es geht um Public Value, darum, die Gesellschaft zu stärken, eine Dialogplattform zu schaffen und alle Sprachregionen zu vereinen.» Hoffmann nennt das Festival «einen Leuchtturm für unabhängiges Denken und filmisches Experimentieren».
Verschiebung wird diskutiert
Letztes Jahr brachte sie die Idee einer Vorverschiebung ins Spiel, um die Attraktivität weiter zu steigern. Dazu sagt Brunschwig: «Der Dialog dazu ist im Gang, vor allem mit den lokalen Verantwortlichen. Wir sind überzeugt, dass ein Wochenende des Festivals im Juli der internationalen Positionierung sehr dienen würde. Noch dieses Jahr fällen wir einen Entscheid, was die Jubiläumsausgabe 2027 anbelangt.»
Extremere Verschiebungen – auch der Vorsommer und der Herbst geisterten zuerst als mögliche neue Zeitfenster herum – sind allerdings kein Thema. «Wenn wir verschieben, dann um eine Woche», stellt Brunschwig klar.
Das Management-Buy-out beim Zurich Film Festival hat er aus der Ferne beobachtet. «Wir wünschen Christian Jungen und seinem Team viel Erfolg. Es ist wichtig, dass in der Schweiz eine starke Festivallandschaft existiert. Aber wir konzentrieren uns weiterhin auf unsere Arbeit. Und die ist es, eines der zehn relevantesten Filmfestivals der Welt zu bleiben und diese Position noch zu stärken, in der Schweiz und gegen aussen.»