Darum gehts
- Fremde verbünden sich im Bus. Notgroschen hilft in unerwarteter Situation
- Einheimische helfen bei Fahrpreisermittlung und geben Reisetipps
- Zwölf Euro für vier Haltestellen zunächst verlangt, dann korrigiert
Sie fiel mir schon im ersten Bus auf, einfach weil sie genau wie ich und genauso eindeutig «nicht von hier» war. An diesem etwas trüben Novemberwochenende vor dem ersten Schneefall waren vor allem Einheimische unterwegs, die ich als solche erkannte. Weil sie sich kannten, weil sie sich auskannten, weil sie nicht nachschauen mussten, wann ihre Haltestelle kam. Der Bus war recht voll, ich hatte Mühe, meine unhandliche Reisetasche durch den engen Gang zu manövrieren. Und dann sah ich sie eben, mit ihrem Seesack, der fast so gross war wie sie. Unsere Blicke trafen sich, wir verstanden uns, in diesem Moment waren wir Verbündete, auch wenn das Fremdsein das Einzige war, das uns verband.
Das und das Als-Fremde-wahrgenommen-Werden. An der Endhaltestelle verlor ich sie aus den Augen. Ich wartete auf einer Holzbank auf meinen Anschluss, den Laptop auf den Knien, eine Reihe von Recyclingcontainern im Blickfeld. Die Fahrkarte für den nächsten Bus, der mich an mein Ziel bringen würde, hatte ich nicht online lösen können. Deshalb hatte mir die Freundin, bei der ich wohne, extra noch ein paar Euro mitgegeben. Oder eher, die paar Euro, um die ich sie gebeten hatte, und noch 200 extra. «Einfach für den Notfall», sagte sie.
Ein Notgroschen in der Fremde
«Was denn für ein Notfall?» Sie zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung! Aber das hat meine Mama immer so gemacht, wenn ich ins Skilager fuhr. Du kannst nie wissen!» Da hatte sie allerdings recht. Das bestätigte auch meine Erfahrung. Das altmodische Wort Notgroschen fiel mir ein. Und ich nahm das Geld.
Umständlich löste ich meine Fahrkarte bei der unter uns gesagt nicht sehr freundlichen Fahrerin und zwängte mich mit meiner Reisetasche nach hinten. Hinter mir ungeduldige Einheimische, von denen einer schliesslich meine Tasche aus dem Weg und zwischen zwei Sitzplätze kickte. Hilfreich, aber auch ein wenig grob. Die Tasche steckte jetzt fest, ohne in den Gang zu ragen. Wie würde ich sie ohne fremde Hilfe freikriegen?
Da sah ich sie wieder, die junge Frau mit den vielen Zöpfen und dem riesigen Seesack. Sie versuchte, mit der Busfahrerin zu verhandeln, doch diese sprach offenbar kein Englisch, und Kreditkarten akzeptierte sie auch nicht. Die junge Frau kam ins Schleudern. Da fiel mir mein Notgroschen ein, und ich stand auf. «Ich zahl für dich», sagte ich. Und zur Fahrerin: «Wie viel machts denn?»
Solidarität mit den Einheimischen
«Zwölf Euro.» «Das versteh ich nicht», sagte die junge Reisende. «Es sind doch noch nur vier Haltestellen!» Das Gesicht der Fahrerin verschloss sich trotzig, doch jetzt mischten sich unsere Mitreisenden ein, vielleicht einfach, weil sie die Abfahrt nicht länger hinauszögern wollten, vielleicht auch, weil sich ihr Lokalstolz meldete. Denn offenbar lagen gewisse Haltestellen an dieser Strecke bergwärts und talwärts an unterschiedlichen Strassen. Die Busfahrerin hatte nun einfach die Version talwärts gewählt, was einen ziemlich langen Umweg über die Endhaltestelle und dann wieder den Berg runter bedeutete. Das war, da waren sich die Einheimischen einig, «bullshit».
Mit ihrer Hilfe wurde jetzt schnell nicht nur der korrekte Fahrpreis ermittelt, sondern wir, die junge Frau und ich, bekamen auch allerhand Tipps und gute Ratschläge für unseren Aufenthalt. Plötzlich waren wir nicht mehr Fremde. Als ich aussteigen musste, befreite derselbe Mann, der sie unter den Sitz gekickt hatte, meine Reisetasche mit einem Ruck und trug sie für mich hinaus. «Gott vergelts», sagte er und legte einen Finger an seine imaginäre Hutkrempe. Notgroschen, dachte ich.