Milena Moser über Verbundenheit
Die Solidarität der Vogelbeobachterinnen

In Victors Lieblingsrestaurant in San Francisco kam es neulich zu einem ebenso unerwarteten wie berührenden Ausdruck der Solidarität.
Publiziert: 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 08.11.2025 um 10:25 Uhr
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Der historische Mission District in San Francisco – ein Ort, den Milena Moser und ihr Mann häufig und gerne besuchen.
Foto: Getty Images

Darum gehts

  • Victor findet Heimat und Trost in Restaurant im Mission District
  • Auch dort sind Veränderungen der aktuellen Zeit deutlich spürbar
  • Solidarität durch lesbische Vogelbeobachterinnen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Die 24. Strasse liegt im Herzen des historischen Mission District, der vor allem von Einwanderern aus lateinamerikanischen Ländern geprägt ist. Wobei man auch nicht vergessen darf, dass Kalifornien bis 1848 noch zu Mexiko gehörte. Hier ist alles zweisprachig angeschrieben, bunte Scherenschnittfähnchen flattern von einer Strassenseite zur anderen, hier findet man die Lebensmittelläden, die Kaktusblätter anbieten und zehn verschiedene Chilisorten. Hier steht die Panaderia neben dem jüdischen Deli, die Hipsterbrewery neben der Taqueria, hier verliert man sich in Nebengassen, in denen die Hauswände von berühmten Künstlern bemalt wurden.

Hier ist auch Victors Lieblingsrestaurant, das, so behauptet er wenigstens, das beste Machacado serviert, ein Frühstücksgericht aus Rührei und Machaca, kleingehacktem Trockenfleisch. Er bestellt das Gericht zu jeder Tageszeit und wird deshalb von der Besitzerin immer mit «Hola, Señor Machaca!» begrüsst. Ein Stammlokal, ein Ort, an dem man dich kennt und weiss, was du isst, ist auch eine Art Heimat.

Essen ist Heimat

Als vor ein paar Jahren bei Victor zusätzlich zu all seinen anderen Krankheiten auch noch ein seltener Krebs festgestellt wurde, nahm er die Nachricht so stoisch auf, dass die Ärztin glaubte, er habe sie nicht verstanden. Doch auf dem Heimweg bat er mich, an der 24. Strasse anzuhalten. Er wolle ein Machacado essen. Sein Trostessen, mitten im Nachmittag. Da wusste ich, dass ihn die Nachricht durchaus getroffen hatte. Und als wir auf unseren Tisch warteten, machte er mich auf die Hintergrundmusik aufmerksam. Ich musste mich anstrengen, sie durch das Stimmengewirr zu hören.

«Solche Musik möchte ich an meiner Beerdigung gespielt haben», sagte er. Ich schluckte die Tränen hinunter. Doch nach einer grosszügigen Portion Machacado hatte er sich wieder gefasst. Dieses Restaurant wurde neulich in den Lokalnachrichten erwähnt, weil es wie so viele Kleinbetriebe im Quartier unter den Veränderungen der letzten Zeit leidet. Viele Angestellte trauen sich nicht mehr zur Arbeit, den Kunden und Gästen geht es nicht besser. Es herrscht ein Klima der Angst, das unabhängig von der Staatszugehörigkeit jeden bedroht, der nicht aussieht wie Ken oder Barbie. Also auch meinen Mann.

Lust ist stärker als die Angst

Aber neulich war die Lust auf Machacado stärker als die Angst, und so betrat er das tatsächlich fast leere Lokal. Er müsse sich trotzdem gedulden, sagte die Besitzerin. Sie habe nur einen Koch. Bevor er sich setzen konnte, stürmte eine Gruppe von zehn oder zwölf Frauen aller Altersstufen und Hautfarben das Lokal. Sie trugen Wanderkleidung, praktische Gürteltaschen, und manche hatten auch einen Feldstecher umgehängt.

Wie die meisten Amerikanerinnen redeten sie sehr laut, das kleine Restaurant fühlte sich sofort voll an, wie zu seinen besten Zeiten. «Wir haben Sie im Fernsehen gesehen», sagte eine der Frauen zur Besitzerin. «Wir sind hier, um Sie zu unterstützen. Aber wir wissen nicht, was wir bestellen sollen!»

Die Besitzerin schaute Victor an, Victor nickte fast unmerklich, und Sekunden später sass er an dem langen Tisch, umringt von Frauen, die ihm atemlos zuhörten, während er ihnen die gesamte Speisekarte übersetzte und erklärte. Stellte sich heraus, sie gehörten zum Verein lesbischer Vogelbeobachterinnen. Beim Essen erzählten sie Victor von ihren eigenen Erfahrungen. Diese Frauen hatten alle Diskriminierung erlebt, auf die eine oder andere Art. Sie wussten, was ein Zeichen der Solidarität bedeutet. «Da wusste ich wieder, warum ich hier lebe», sagt Victor.

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