Partnerschaft trotz Demenz
Ihr Mann hatte alles vergessen – ausser die Liebe

Susi Streichenberg begleitete ihren demenzkranken Mann bis zum Ende. Sie schaffte es, ihn als Partner zu sehen, selbst als er nicht mehr wusste, wer sie war. Geholfen haben ihr Geduld, Humor und Glück.
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«Es gab so viele lustige Situationen, das half über vieles hinweg»: Susi Streichenberg
Foto: Thomas Baumann

Darum gehts

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Conny Schmid
Beobachter

Er will im Haushalt helfen – und steckt die frisch gewaschenen Taschentücher zum Trocknen in den Toaster. Er sucht im Kühlschrank nach seiner Frau. Das soeben gerüstete Gemüse erklärt er zur Kunst und will es nicht zum Kochen hergeben.

Bei aller Tragik der Krankheit: Ihr Mann Alex, der 2018 die Diagnose Demenz erhielt, brachte Susi Streichenberg auch immer wieder zum Lachen. «Es gab so viele lustige Situationen, das half über vieles hinweg», sagt sie zum Beobachter.

Tagebuch über ein Entschwinden

Susi Streichenberg pflegte ihren Alex zu Hause bis zu seinem Tod im März 2024. Er entglitt ihr Stück für Stück. Und doch schaffte sie es, nicht zu verzweifeln. Vermochte das zu sehen, was er noch konnte, statt das, was nicht mehr ging. Suchte in jeder Zumutung den Moment, der sie beide lachen liess.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Ihre Erlebnisse hielt sie in Tagebüchern fest, die sie 2023 überarbeitete und im Eigenverlag veröffentlichte. Sie schreibt darin:

«Als meine Mutter starb, schrieb mir eine Freundin, ich könne ihr nun nichts mehr zuliebe tun. Alex habe ich noch, und jemanden zu haben, den ich lieben darf, ist ein Privileg.»  

«Er war voller Dankbarkeit»

Aber wie liebt man einen Menschen, der früher tiefgründige Gespräche führte und nun fünfzig Mal dieselbe Frage stellt? Der ständig «nach Hause» will, obwohl er dort ist? «Er hat es mir leicht gemacht», sagt Susi Streichenberg. «Er war voller Dankbarkeit, die Krankheit hat seinen Charakter nicht verändert. Das war unser Glück.»

Alex: «Du bist schön. Ich bin gern mit dir zusammen, und es ist etwas ganz Gutes.» Er schaut auf meinen Ehering, hält den seinen dazu und sagt: «Dieselbe Firma».  

«Er war voller Dankbarkeit, die Krankheit hat seinen Charakter nicht verändert.»
Foto: Thomas Baumann

Sie stellte die Ernährung um, hielt ihn mit Turnübungen fit. Ein schmaler Grat zwischen Fürsorge und Bevormundung. Ihr Buch sei keine Anleitung. «Es kann auch viel schwieriger sein.»

Ämtli haben geholfen

Ihr Mann wusste um seinen Zustand und wollte sich nützlich machen. Sie gab ihm Aufgaben: den Balkon fegen, Gemüse rüsten.

Ich: «Alex, du bist mein Mann.» Er: «Ja, am Morgen schon.» Ich: «Und was bist du denn jetzt?» Er: «Das, was du aus mir machst.»  

Doch es gab auch Momente, in denen sie an ihre Grenzen kamen. Einmal sollte er die Papierkörbe leeren. Als sie ihn zum Essen rief, wusste er nicht mehr, wo der Abfallsack war. Sie hatte «einen kleinen Ausraster». Alex habe ihr einen Stuhl hingeschoben und trocken gesagt: «Hier kannst du dich erholen».

Alex: «Jetzt muss ich schauen, wo ich bin.» Blick in den Spiegel: «Das bin ich, und wer bist du?»  

Zweimal lief er weg, und die Polizei musste ihn suchen. Die Haus- und Veloschlüssel hat sie danach versteckt. Abends fragte er oft, wann sie nach Hause gingen. Sie versuchte, ihn abzulenken, liess ihn seine Kunstkartensammlung neu sortieren oder die Fotoalben betrachten. «Das gab ihm Sicherheit.»

Ein Leben voller Abenteuer: Blick ins Fotoalbum der Streichenbergs
Foto: Thomas Baumann

Nicht selten gingen sie nochmals raus, spazierten durch die Rebberge – bis sie «nach Hause» kamen.

Auf unserem Lieblingsbänklein ruhen wir uns aus und schauen über das abendliche Wettingen bis zur Gisliflue. Dann fragt er: «Bist du eigentlich glücklich mit mir, wie es jetzt ist?»  

Susi Streichenberg auf dem Bänkli, auf dem sie so oft mit ihrem Mann Rast machte.
Foto: Thomas Baumann

Flucht in den «Escape Room»

Nachts packte ihn oft die Unruhe und hielt auch sie wach. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch. «Das war mein Ventil. Da konnte ich meinen Frust loswerden.»

An der Zimmertür klebt noch immer ein Schild: «Escape Room». Ihr Rückzugsort.

Susi Streichenberg in ihrem Escape Room, in dem sie ihr Buch schrieb.
Foto: Thomas Baumann

Sie beschriftete auch das Schlafzimmer oder sein Büro – damit er stets wusste, wo er war. Auf eine Tischtafel schrieb sie, wer sie sind, wo sie leben und dass das ihr Zuhause sei.

Verstecktes Bauchfett ist Schlüsselrisiko für Demenz
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«Wenn er immer wieder dieselben Fragen stellte und ich merkte, wie verloren er war, halfen ihm die Schilder», erzählt sie dem Beobachter. Er las den Text darauf laut vor, jedes Mal von Neuem so, als wären es Neuigkeiten.

Alex: «Ich vergesse alles, aber eines weiss ich: Hier ist Friede.»  

Kleine Zettel halfen Susi Streichenbergs Mann, sich zu orientieren.
Foto: Thomas Baumann

Kurz nach der Diagnose hatte sie an einem Bahnhof ein Plakat gesehen: «Stark ist, wer Hilfe annehmen kann.» Es wurde zu einem Leitgedanken. Susi Streichenberg hatte schon früher den Pflegehelferinnenkurs absolviert. Jetzt liess sie sich von einer Angehörigen-Spitex anstellen und zeigen, wie sie ihren Mann pflegen konnte.

Als zusätzliche Hilfe stellte sie ihre Tochter an, vom Roten Kreuz kam wöchentlich eine Entlastungskraft und von der Pro Senectute eine Reinigungsfrau. «Für mich war das wie ein neuer Beruf, ein neues Abenteuer.»

Abenteuer, davon gab es im Leben der Streichenbergs schon immer viele. Beim Heiratsantrag hatte Susi kurz gezögert. «Ich dachte, wenn ich Ja sage, ist meine Jugend vorbei. Dabei wollte ich noch so viel erleben.»

Doch ihre Angst war unbegründet. Alex, Bauingenieur, nahm Jobs an rund um den Globus. Sie lebten in Genf, den USA und Island, adoptierten zwei Kinder und liessen sich schliesslich in Wettingen im Kanton Aargau nieder.

«Unsere Ehe war abenteuerlich und lustig. Wir haben viel unternommen, das Leben ausgekostet», erinnert sich Susi Streichenberg. Zudem haben sich die beiden immer gegenseitig ihre Freiheit gelassen. «Gleichzeitig konnten wir uns immer aufeinander verlassen.»

«Unsere Ehe war abenteuerlich und lustig.»
Foto: Thomas Baumann

Liebeserklärungen

Im Januar 2024 stolperte Alex Streichenberg auf dem Balkon über eine Mauer und brach sich sechs Rippen. Er hat sich nicht mehr davon erholt.

Am Morgen braucht Alex viel Zeit, bis er bereit ist, mit ins Badezimmer zu kommen. Oft sitzen wir einfach nebeneinander auf der Bettkante und machen einander Liebeserklärungen, bis es so weit ist. Dabei sehe ich uns beide im Kleiderschrank gespiegelt. Dieses Bild werde ich nie vergessen. 

Mitfühlend statt konfrontativ: Umgang mit Demenzkranken

In der Schweiz leben rund 161 000 Menschen mit Demenz. Sie verlieren nach und nach ihre kognitiven Fähigkeiten, was den Umgang erschwert. Die Krankheit verläuft sehr individuell, doch gibt es einige allgemeingültige Tipps, die die Kommunikation erleichtern:

  • Blickkontakt aufnehmen, auf Augenhöhe gehen
  • Einfache, kurze Sätze verwenden
  • Ruhig sprechen, Aussagen mit Gestik und Mimik unterstreichen
  • Besser geschlossene Fragen stellen mit wenig Auswahlmöglichkeiten wie «Möchtest du Tee oder Kaffee?» statt «Was möchtest du trinken?»
  • Emotionen aufgreifen, statt zu widersprechen. Wenn jemand beispielsweise die längst verstorbene Mutter besuchen will, nicht wiederholt die schmerzhafte Wahrheit betonen, dass sie tot ist, sondern auf das innere Bedürfnis eingehen: «Sie ist gerade nicht hier, gell, du denkst gern an sie. Was würdest du am liebsten mit ihr machen?»
  • Bei schwierigen Themen wie etwa dem Heimeintritt nicht diskutieren oder lügen («Es ist nur für ein paar Tage»). Stattdessen Gefühle ansprechen: «Veränderungen sind schwierig, ich verstehe deine Angst. Ich bin für dich da.»
  • Grundsätzlich: Ehrlich, aber einfühlsam sein. Eine beruhigende Teilwahrheit («Sie ist gerade nicht da») ist meistens hilfreicher als eine harte Wahrheit.
  • Weitere Tipps, Hintergründe, Merkblätter, Beratungs- und Austauschangebote gibt es bei Alzheimer Schweiz: www.alzheimer-schweiz.ch

In der Schweiz leben rund 161 000 Menschen mit Demenz. Sie verlieren nach und nach ihre kognitiven Fähigkeiten, was den Umgang erschwert. Die Krankheit verläuft sehr individuell, doch gibt es einige allgemeingültige Tipps, die die Kommunikation erleichtern:

  • Blickkontakt aufnehmen, auf Augenhöhe gehen
  • Einfache, kurze Sätze verwenden
  • Ruhig sprechen, Aussagen mit Gestik und Mimik unterstreichen
  • Besser geschlossene Fragen stellen mit wenig Auswahlmöglichkeiten wie «Möchtest du Tee oder Kaffee?» statt «Was möchtest du trinken?»
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