Darum gehts
- Open AI lancierte im September «Sora 2»: Die KI-App generiert Videos mit passender Tonspur
- Kontroverse um urheberrechtlich geschützte Charaktere und verstorbene Prominente
- «Sora 2» erreichte laut Schätzungen rund eine Million Downloads in nur fünf Tagen
Martin Luther King Jr. macht Affengeräusche während seiner berühmten «I Have a Dream»-Rede. Stephen Hawking wird von der Polizei mit gezogener Waffe gejagt. Bob Ross malt nicht friedlich Wölkchen, sondern besprayt eine Wand im Supermarkt. Und Spongebob Schwammkopf? Der trägt nun Nazi-Uniform: Willkommen bei «Sora 2», der neuesten Errungenschaft von Open AI.
Das Unternehmen, das mit Chat GPT die KI-Revolution losgetreten hat, lancierte Ende September seine überarbeitete Videogenerierungs-App: Es ist ein Tiktok-Klon, bei dem die User per Texteingabe hyperrealistische Videos inklusive dazugehöriger Tonspur erstellen können. CEO Sam Altman nannte es «das Spassigste, was ich seit langem mit einem neuen Produkt erlebt habe».
KI-Slop und tote Promis
Doch was Open AI als kreatives Werkzeug angepriesen hatte, wurde innerhalb von Stunden zur Schleuder für das, was im Internet «Slop» genannt wird: massenweise produzierter KI-Müll.
Das Versprechen von «Sora 2» klang verlockend: User können per Cameo-Funktion ihr eigenes Gesicht in Videos einbauen, quasi als digitalen KI-Doppelgänger. Open AI betonte, nur die Person selbst könne ihr Abbild freigeben, der Zugang sei jederzeit widerrufbar. Doch für «historische Figuren» galt diese Regel nicht: Verstorbene Prominente waren Freiwild. Resultat: User fluteten das Netz mit urheberrechtlich geschützten Figuren und toten Stars. Pikachu brutzelte auf dem Grill, Super Mario raste über die Strasse, die Kids von «South Park» tauchten in bizarren Szenen auf. Doch es wurde schnell düsterer: Adolf Hitler, Osama bin Laden, Wladimir Lenin und Saddam Hussein spielten als Metalband. Abraham Lincoln kämpfte als Wrestler. Und Malcolm X, Ikone der Bürgerrechtsbewegung, der bei einem öffentlichen Auftritt erschossen wurde, machte wegen der KI nun Fäkalwitze.
«Hört auf, Videos zu schicken»
«Es ist zutiefst respektlos und verletzend, das Bild meines Vaters so unsensibel zu missbrauchen», sagt Ilyasah Shabazz, Tochter von Malcolm X, der «Washington Post». Ihr Vater sei für die Wahrheit gestorben: «Warum handelt Open AI nicht mit derselben Moral und Gewissenhaftigkeit, die sie für ihre eigenen Familien wollen würde?», fragt sie. Und Zelda Williams, Tochter des 2014 verstorbenen Schauspielers Robin Williams, flehte auf Instagram: «Bitte hört auf, mir KI-Videos von Dad zu schicken.» Ihr Vater werde auf «grauenhaften Tiktok-Slop» reduziert, «das macht mich wahnsinnig».
Und die Empörung reicht über betroffene Familien hinaus. Der Youtuber Hank Green wetterte in einem Video: «Open AI hat einen Klagemagneten in die Welt geschossen.» Green scrollte durch die App und zeigte sich fassungslos: «Das ist pures Nichts. Wer das zum Spass macht, muss überdenken, wie er mit Medien umgeht.»
Open AI mit Kehrtwende
Auch die grossen Studios reagierten. Warner Bros. Discovery warnte Open AI in einem Treffen, die Firma müsse «sofort und entschieden handeln», um Copyright-Rechte zu schützen. Die Motion Picture Association, die Disney, Universal und Sony vertritt, forderte dasselbe. Die Talentagentur CAA erklärte, alle ihre Klienten würden «aussteigen» aus «Sora». Wenige Tage nach dem Launch vollzog Open-AI-Boss Sam Altman eine Kehrtwende: Statt dass Rechteinhaber ihre Inhalte aktiv sperren müssen (Opt-out), können sie nun kontrollieren, ob und wie ihre Figuren in Videos auftauchen (Opt-in). Open AI entfernte urheberrechtlich geschützte Charaktere aus dem öffentlichen Feed. Doch der Schaden ist angerichtet, die Videos sind online und einige auch bei «Sora» selbst weiterhin zu finden.
Trotz des Fehlstarts: «Sora 2» erreichte laut Schätzungen eine Million Downloads in fünf Tagen, schneller als Chat GPT. Doch die Konkurrenz lauert. Google lancierte seinen Videogenerator «Veo 3», Midjourney bietet ebenfalls Videofeatures. Und Elon Musk, einst Mitgründer von Open AI, bewirbt auf seiner Plattform X seinen eigenen KI-Generator «Grok Imagine», allerdings primär mit Anime-Figuren in knappen Outfits. Ob «Sora 2» sich durchsetzt, ist offen. Noch ist die App nur in den USA verfügbar, der Zugang erfolgt auf Einladung. In Europa und in der Schweiz ist «Sora» bisher gesperrt.