Darum gehts
Zwölf Tage Krieg zwischen Israel und Iran – und jetzt: Waffenruhe. Zumindest offiziell. Während der Israeli Benjamin Netanyahu einen grossen Gegenschlag plante, war es letztlich US-Präsident Donald Trump, der sein engstes Partnerland im letzten Moment zurückpfiff. «Israel, do not drop those bombs!», schrieb er öffentlich – eine diplomatische Ohrfeige. Doch wie tragfähig ist die Feuerpause wirklich?
«Niemand weiss, ob die Voraussetzungen für eine dauerhafte Waffenruhe gegeben sind», warnt Reinhard Schulze, langjähriger Nahost-Professor an der Uni Bern. Die Region stehe an einem Kipppunkt – mit mehreren möglichen Entwicklungen, und jede hat ordentlich Risikopotenzial.
Schattenkrieg statt Flächenbrand
Am wahrscheinlichsten bleibt der Konflikt auf indirekter Ebene aktiv. Heisst: Formal ruht das Feuer, faktisch behält sich Israel jedoch das Recht vor, jederzeit präventiv zuzuschlagen – etwa bei mutmasslichen Bedrohungen aus Syrien, dem Irak oder aus dem Libanon. «Die Entscheidungsträger in Israel überlegen sich, wann sie wieder loslegen können», vermutet Nahost-Experte Erich Gysling. Auf iranischer Seite fehlen nach den US-Luftschlägen entscheidende Luftabwehrreserven. «Die Iraner haben kein Interesse daran, dass der Krieg weitergeht – ihre offensiven Fähigkeiten sind ausgelaugt», so Gysling.
Laut Nahost-Professor Schulze werden beide Seiten «durch einzelne Militärschläge die Bedingungen der Waffenruhe ihren Interessen anpassen» – ein Nadelstich-Szenario, das jederzeit wieder in einen Flächenbrand umschlagen kann.
Ein diplomatisches Fenster – vielleicht
Trotz aller Skepsis eröffnet der aktuelle Stillstand aber auch ein mögliches Zeitfenster für Verhandlungen. Trump hat gezeigt, dass er bereit ist, Israel zurückzuhalten, wenn er eine Ausweitung des Krieges befürchtet. Teheran wiederum signalisiert zaghaft Gesprächsbereitschaft: «Der Iran möchte mit den Amerikanern verhandeln», erklärt Erich Gysling.
Für Trump wären solche Verhandlungen optimal. Denn er träumt vom Nahost-«Mega-Deal» – also einem Frieden zwischen Iran und Israel. Nahost-Professor Schulze ist skeptisch: «Den USA wird es nicht gelingen, in kurzer Zeit eine friedensfähige Nachkriegsordnung im Nahen Osten durchzusetzen.» Frieden bedeute Verzicht auf Feindschaft – dafür bräuchte es einen Politikwechsel in Jerusalem und einen Kollaps der Islamischen Republik. Maximal realistisch sei ein begrenzter Pakt, in dem der Iran sein Atomprogramm offenlegt und im Gegenzug international überwachte Garantien erhält, so Schulze.
Derweil aber bleibt das Hauptziel Israels – die nachhaltige Schwächung des Nuklearprogramms – unerreicht: «Die Israelis haben auch mit amerikanischer Hilfe nicht erreicht, was sie schaffen wollten – den Iran schwach zu bomben», bilanziert Gysling.
Zurück zur Eskalation?
Das gefährlichste Szenario würde eine schleichende Rückkehr zur offenen Gewalt bedeuten. Kleine Zwischenfälle – ein Mossad-Schlag in Teheran, eine iranische Rakete auf Tel Aviv oder ein Angriffsversuch der Hisbollah – könnten schnell in einer Kettenreaktion münden. Beide Seiten werfen sich bereits Verstösse gegen die Waffenruhe vor, und Gysling erinnert: «Netanyahu wollte den Krieg weiterführen.»
Reinhard Schulze zieht denn auch ein ernüchterndes Fazit: «Realistisch gesehen pendeln wir zwischen kaltem und heissem Krieg.» Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten existiert eine schriftliche Verabredung zwischen Iran und Israel – ein Signal dafür, dass Verhandlungen prinzipiell möglich sind. Doch Schulze dämpft sofort: «Frieden setzt Verzicht auf Feindschaft voraus – davon sind wir weit entfernt.»