Darum gehts
Heftiger Gegenwind schlug Wolodimir Selenski (47) nach seiner Landung gestern Abend in Washington entgegen. Zum meteorologischen Ungemach könnte sich heute Abend im Weissen Haus auch noch ein politisches Gewitter gesellen.
US-Präsident Donald Trump (79) machte seinem ukrainischen Gast kurz vor dem zweiten Zweiertreffen der beiden nämlich einen fetten Strich durch die Rechnung. Selenskis Ziel, den amerikanischen Oberbefehlshaber zur Weitergabe seiner Tomahawk-Raketen an die Ukraine zu überreden, scheint in weite Ferne gerückt. Dafür steht der Ukraine eine Schmach von besonderer historischer Schwere bevor.
Zuletzt zeigte sich die Ukraine zuversichtlich, dass es mit der Beschaffung der bis zu 2500 Kilometer weit fliegenden Tomahawk-Marschflugkörper klappen könnte. Ja, die Systeme seien schwer zu bedienen, wie Sicherheitsexperte Joachim Krause (74) gegenüber Blick erklärt hat. Und ja, für ihren Einsatz seien monatelange Ausbildungstouren ukrainischer Spezialisten im Ausland nötig.
Dann aber würden die gewaltigen Geschosse der Ukraine einen entscheidenden Vorteil verschaffen können. Jetzt schon setzt Selenski erfolgreich darauf, mit seinen Drohnen und eigenen Raketen Ziele der russischen Ölindustrie weit hinter der Front zu treffen.
Selenskis Putin-Hamas-Vergleich
Zuletzt meldeten nicht weniger als 57 russische Regionen eine Benzinknappheit. Vergangene Woche gelang der Ukraine dann ein Treffer auf eine der grössten russischen Raffinerien in Saratow, die auch die russischen Streitkräfte mit Benzin versorgt. Eine entscheidende Schwächung des Putin-Regimes. Seinen Soldaten geht grad regelrecht der Sprit aus. Putin kommt unter ungewohnten Druck.
Genau für solche Angriffe in der Tiefe wären die Tomahawks (natürlich bezahlt von der Nato, die die Waffen den USA abkaufen und an Kiew weiterliefern würden) extrem hilfreich. Zudem wären die Marschflugkörper in der Lage, selbst gut gesicherte russische Militärziele zu zerstören.
Doch Trump hat Selenski vorzeitig aus seinen Tomahawk-Träumen gerissen. In einem zweieinhalbstündigen Telefonat mit Putin (von dem Selenski offenbar erst nach seiner Ankunft in Washington erfahren hat) habe er den russischen Machthaber zwar geneckt und ihn gefragt: «Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich deinem Gegner ein paar Tausend Tomahawks geben würde?» Putin habe sich wenig begeistert gezeigt von der Idee. Und: Die USA hätten sowieso zu wenige der Raketen an Lager, um sie einfach so der Ukraine auszuhändigen, betonte Trump.
Selenski versucht, kurz vor dem Gipfeltreffen mit dem US-Präsidenten gute Miene zum einmal mehr sehr heiklen Spiel zu machen. «Wir sehen bereits, dass Moskau sich beeilt, den Dialog wieder aufzunehmen, nur weil es von Tomahawks gehört hat», schrieb er auf Telegram. Putin sei nicht mutiger als die Hamas oder irgendein anderer Terrorist. «Die Sprache der Stärke wird sicherlich auch gegenüber ihm wirken.»
Budapest-Treffen ist reine Provokation für die Ukraine
Trump könnte tatsächlich versucht sein, sich auf seiner Friedenserfolgswelle gleich weiter tragen zu lassen und nach dem Nahen Osten auch in Osteuropa für den Durchbruch zu sorgen. Vielleicht kann er das Treffen mit Selenski heute Abend (19 Uhr Schweizer Zeit) und das mit Putin anberaumte Treffen in Budapest in zwei Wochen auch dazu nutzen, vom stecken gebliebenen Friedensprozess zwischen Israel und der Hamas abzulenken.
In vielerlei Hinsicht steht die Welt vor dem heutigen Gipfel im Weissen Haus wieder da, wo sie schon so oft stand: Putin droht, Tomahawks wären eine Eskalation. Selenski pocht auf weitere Waffen. Und Trump hält selbstbewusst alle Fäden in der Hand, scheinbar jederzeit bereit, nach Gutdünken alle Figuren im Feld gegeneinander auszuspielen.
Und Europa? Allein die Wahl von Budapest ist eine Provokation. Ungarn ist das Putin-freundlichste Land der gesamten EU. Und Budapest ist jener Ort, an dem die Ukraine 1994 das «Budapester Memorandum» unterzeichnet hat. Im Gegenzug zu Sicherheitsgarantien der USA und von Russland gab die Ukraine ihr gesamtes Atomwaffenarsenal – damals das drittgrösste der Welt – an Moskau ab. Im Rückblick ein krasser Fehler!
Trumps Budapest-Plan also zeigt: Sein Verständnis für historische Bedeutung ist genauso klein wie sein Respekt für Europa. Der alte Kontinent spielt in seinem Kalkül keine Rolle mehr. In seiner «Frieden durch Stärke»-Welt ist kein Platz für Zauderer.