Die USA stehen still. Seit Mittwoch befindet sich die Bundesregierung im Shutdown. Es geht um ein altbekanntes, aber nie gelöstes Problem: die Kosten für das Gesundheitssystem. Doch diesmal tobt der Kampf nicht nur um irgendwelche Zahlen im Haushaltsplan, sondern um die Zukunft von Obamacare – und um die Frage, ob Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner demnächst ohne Krankenversicherung dastehen.
Konkret umstritten ist die Verlängerung von Steuerzuschüssen für Krankenversicherungsprämien. Diese Hilfen – eingeführt zu Zeiten der Corona-Pandemie – ermöglichten vor allem Menschen ohne berufliche Vorsorge den Zugang zur Absicherung durch Obamacare, vor allem Selbständigen, Kleinunternehmern oder Farmern.
Ohne sie würden die Prämien für diese Gruppen im kommenden Jahr durchschnittlich mehr als 100 Prozent steigen. «Auf einmal müssten Millionen doppelt so viel bezahlen wie bisher», warnt die Gesundheitsexpertin Cynthia Cox vom Think Tank KFF. Die Folge: Rund vier Millionen Amerikaner könnten dann ihre Versicherung ganz verlieren. Für die Demokraten ist deshalb klar: Ein Budget-Deal ohne Verlängerung kommt nicht infrage.
Der Preis ist hoch
Die Republikaner sehen das anders. Zwar erkennen auch viele Trump-Anhänger, dass steigende Prämien ein massives soziales und politisches Problem darstellen würden. Doch der Preis der Abwehrmassnahmen ist hoch: 350 Milliarden Dollar über die nächsten zehn Jahre. Für den konservativen Flügel ist das nicht tragbar. Er spricht von ausufernden Staatsausgaben und wirft den Demokraten vor, «Sozialprogramme» auf Kosten der Steuerzahler zu finanzieren.
Dahinter steckt mehr als reine Haushaltsrechnung. Seit seiner Einführung 2010 ist Obamacare der zentrale Konfliktpunkt in der US-Gesundheitspolitik. Die Demokraten verteidigen das Bundesgesetz zum Patientenschutz als Garant für Millionen Familien. Die Republikaner kritisieren es als Symbol staatlicher Bevormundung. Dass dieser Streit so heftig tobt, hängt auch mit einer nationalen Besonderheit zusammen: Die USA sind der einzige Industriestaat ohne universelles Gesundheitssystem. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung hat gar keine Krankenversicherung – und trägt die Kosten für Arztbesuche oder Operationen komplett aus eigener Tasche.
Erste Folgen für Patientinnen und Patienten
Schon jetzt zeigt sich, dass der aktuelle Shutdown Folgen hat. Telemedizin-Angebote für ältere Menschen im Medicare-System sind ausgelaufen, Krankenhäuser warnen vor steigenden Rechnungen. Versicherer verschicken Briefe mit drastischen Prämienerhöhungen.
Hinter dem politischen Schlagabtausch stehen also ganz konkrete Lebensrealitäten von Millionen Amerikanern, die sich fragen: Kann ich mir nächstes Jahr noch eine Krankenversicherung leisten? Eine Frage, die sich auch manche Menschen in der Schweiz stellen – wo die steigenden Krankenkassenprämien seit Jahren ein Dauerbrennerthema sind.
Trump setzt auf Eskalation
Besonders explosiv wird der Streit durch die Präsidentschaft von Donald Trump (79). Denn der nutzt die Krise für seine eigene Agenda: Er wirft den Demokraten vor, mit den Zuschüssen «illegale Einwanderer» zu versorgen – ein Vorwurf, der nachweislich falsch ist. Zugleich verbreitet er Videos auf Social Media, von künstlicher Intelligenz generiert und mit Mariachi-Musik unterlegt, die führende Demokraten in Sombreros und mit falschen Schnauzbärten zeigen. Latino-Organisationen werfen dem Präsidenten Rassismus vor: Der Sombrero werde in den USA seit Jahrzehnten als abwertendes Klischee verwendet, um Mexikaner als «faul» oder «kriminell» darzustellen.
Mit solchen Bildern lenkt Trump nicht nur von den Sachfragen ab – er baut auch seine Macht aus. Der Shutdown dient ihm dazu, seine Kontrolle über die Partei zu festigen und den Staatshaushalt nach seinen Vorstellungen zusammenzustreichen. Politische Beobachter warnen bereits, er könnte die Krise dafür nutzen, einen weitergehenden Stellenabbau im öffentlichen Dienst durchzusetzen.
Republikaner im Dilemma
Ein Kurs, der für die Republikaner nicht ohne Risiken ist. Während Trump und die Hardliner auf Konfrontation setzen, drängen moderate Stimmen auf eine Lösung. Sie fürchten, dass die Wähler die Republikaner verantwortlich machen werden, wenn Millionen ihre Versicherung verlieren. «Gesundheitskosten sind kein Randthema», sagt die Gesundheitsexpertin Sabrina Corlette im National Public Radio. «Sie betreffen die Menschen unmittelbar – und genau deshalb sind sie politisch so gefährlich.»
Die Demokraten wiederum setzen auf Zeitdruck. Im November beginnt die nächste Anmelderunde für Obamacare. Solange es keine Klarheit über staatliche Zuschüsse gibt, müssten die Versicherer ihre Prämien schon jetzt massiv erhöhen – und Millionen Familien erhielten entsprechende Briefe ins Haus. Für die Demokraten ist das ein Grund, sofort zu handeln. Die Republikaner hingegen zeigen sich deshalb erst recht unbeweglich: Sie wollen keine Entscheidung unter Druck.
Ein Land im Stillstand
Wie lange der Shutdown anhält, weiss niemand. Klar ist: Für die einen ist es ein Kampf gegen unbezahlbare Versicherungsrechnungen und um den Zugang zu medizinischer Versorgung. Für die anderen eine Grundsatzentscheidung über Staatsausgaben und Migration. Für alle gemeinsam aber bedeutet die gegenwärtige Lage: Nichts bewegt sich mehr.