Darum gehts
- Putins Wirtschaftskrise: Russland vor schwierigem politischem Entscheid wegen Ukraine-Krieg
- Russische Regionen kämpfen mit Geldmangel und Benzin-Lieferengpässen
- 58 Prozent der Russen besorgt über steigende Preise, Mehrwertsteuer steigt auf 22 Prozent
Wladimir Putin (72) kommt zum ersten Mal seit Beginn seines Angriffskriegs gegen die Ukraine richtig unter Druck. Nicht von Donald Trump (79). Der ist erneut auf die Schmeichelkünste des Kreml-Herrschers hereingefallen und will lieber noch einmal mit Putin sprechen, statt der Ukraine die gewünschten Waffen zu verkaufen.
Die Zeit aber, die rennt dem russischen Präsidenten davon. Die Wirtschaft stagniert. Die Lage in Russland ist so dramatisch wie seit Jahren nicht mehr. 2026 droht Russland ein Haushaltsloch von 100 Milliarden Dollar. Die kleinen Leute im Riesenreich bekommen das erstmals in voller Härte zu spüren. Und Putin steht vor dem schwierigsten politischen Entscheid seit Kriegsausbruch.
Anfang September bereits blank
Mehreren russischen Regionen geht sprichwörtlich das Geld aus. Die Region Kalmückien im Süden Russlands hatte am 1. September noch 496'000 Dollar oder 0,1 Prozent ihres Jahresbudgets auf dem Konto, die Stadt Archangelsk sogar nur noch 0,03 Prozent – und selbst das Wirtschaftszentrum Belgorod war Anfang September bereits blank, wie die russische Ratingagentur Expert RA festhält.
In 53 der 89 russischen oder russisch kontrollierten Regionen sank das Einkommen im vergangenen Jahr. In zwölf Regionen wurden die Lehrerlöhne gekürzt. Mehr als drei Viertel des Landes haben mit Benzin-Lieferengpässen zu kämpfen. Dies als Folge der gezielten ukrainischen Angriffe auf die russische Öl-Industrie. In den russischen Regionen stauen sich die Autos teils stundenlang vor den wenigen noch offenen Tankstellen.
Sparen bei Schulen, mehr Geld für Polizei
Ulrich Schmid (60), Russland-Experte und Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen, sagt mit Blick auf die sich zuspitzende Lage: «Putin versucht nach wie vor, sein ‹Normalitätsversprechen› aufrechtzuerhalten. Er hat der Ukraine nicht den Krieg erklärt, sondern gaukelt der Bevölkerung vor, er führe in der Ukraine eine ‹Spezialoperation› durch, die keine Auswirkungen auf den russischen Alltag habe.»
Genau das kaufen ihm die Russen allerdings nicht mehr ab. Laut dem Levada Center, einem unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstitut, sind 58 Prozent der Menschen im Land besorgt über die steigenden Preise.
Dazu kommen die immer höheren Steuern. «Im Moment scheint der Kreml nicht auf Einsparungen, sondern auf Erhöhung der Staatseinnahmen zu setzen, vor allem durch Steuererhöhungen», erklärt Schmid. Während etwa beim Schulsystem der Rotstift angesetzt wird, bittet man die Menschen zur Kasse, um den Krieg zu finanzieren, der weiterhin rund ein Drittel der Staatskasse leerfrisst.
Moskau will am 1. Januar die Mehrwertsteuer von 20 auf 22 Prozent erhöhen. Zudem steigen die Steuern auf Einkommen und für KMU. Diese Gelder fliessen ab nächstem Jahr vermehrt in die Polizei und die innere Sicherheit. Dafür will Putin 47 Milliarden Dollar ausgeben: so viel wie für Bildung und Gesundheit zusammen.
Gekürzte Soldaten-Boni
Ein Anzeichen dafür, dass er sich vor dem aufkommenden Volkszorn fürchtet? Putin habe 25 Jahre lang konsequent auf die Entpolitisierung der Gesellschaft hingearbeitet, erklärt Ulrich Schmid. Erstmals aber könnte der Ukraine-Krieg, der für das Loch in der Staatskasse sorgt, die Stimmung zum Kippen bringen.
«Der Kreml schielt immer auf die Stimmung in der russischen Bevölkerung. Es scheint auch Putin klar zu sein, dass sich das Zeitfenster für den Ukraine-Krieg schliesst», sagt Schmid. Kurz: Putin muss die schwierigste Entscheidung seit Kriegsbeginn fällen. Will er weiter Krieg führen oder sich doch wieder mehr um die wirklichen Probleme in seinem Land kümmern?
Die internationalen Strafmassnahmen (etwa der Ausschluss der russischen Banken von globalen Zahlungssystemen) und die ukrainischen Angriffe auf die Öl-Industrie zeigen mit Verzögerung also doch noch ihre Wirkung.
Aus Sicht der russischen Kriegsplaner besonders besorgniserregend ist die Kürzung der lukrativen finanziellen Zuschüsse, die Soldaten nach der Unterzeichnung ihrer Armeeverträge erhalten. In mindestens drei Regionen (Belgorod, Tschuwaschien und Tatarstan) wurden die Kriegsboni um 75 Prozent gekürzt. Putin dürfte es so immer schwerer fallen, motivierte Kämpfer für seinen sündhaft teuren Wahnsinn zu finden.