Darum gehts
«Liefere oder lafere»: Vor dieser Wahl stand Donald Trump (79) am Freitagabend, als er Wolodimir Selenski (47) zum zweiten bilateralen Treffen im Weissen Haus empfing. «Liefere» hätte geheissen, der Bitte des ukrainischen Präsidenten nachzukommen und Tomahawk-Marschflugkörper an Kiew zu liefern.
Doch Trump entschied sich fürs «Lafere»: über seinen Freund Wladimir Putin (72), der ihm zugesichert habe, dass er zu Gesprächen bereit sei; über Selenskis Garderobe («Er sieht wunderschön aus in diesem Anzug»); über seine «starken, schnellen Kampfjets», die alles andere plattmachen würden. Statt das strategisch einzig Richtige zu tun, machte Trump beim Treffen mit Selenski einen entscheidenden Kalkulationsfehler.
Doch beginnen wir mit den Oberflächlichkeiten. Seit dem Eklat im Weissen Haus zwischen Trump und dem in seinen Augen unpässlich gekleideten Selenski am 28. Februar dieses Jahres verkommt jeder Besuch des ukrainischen Präsidenten in Washington automatisch zur Stilkritik. Diesmal überzeugte Selenski die diesbezüglich tatsächlich kundigen Augen des ehemaligen Reality-TV-Stars und Schönheitswettbewerb-Investors Trump.
Dumm nur, dass sich geopolitische Hürden nicht mit reinem Geplänkel über hübsche Anzüge nehmen lassen, sondern mutige Entscheidungen erfordern. Doch wenn wir schon dabei sind: Den grössten modischen Eklat leistete sich (garantiert ganz bewusst) Trumps selbst ernannter «Kriegsminister» Pete Hegseth (45), der mit einer Krawatte in den Farben der russischen Nationalflagge vis-à-vis von Selenski Platz nahm. Eine Provokation so erbärmlich wie gefährlich.
Trumps Telefon-Affront
Aber genug der modischen Betrachtungen. Schauen wir aufs Wesentliche: Selenski kriegt die ersehnten Tomahawk-Marschflugkörper vorerst nicht. Der ukrainische Präsident machte am Freitagabend noch einmal klar, dass sein Land die Top-Geschosse mit einer Reichweite von an die 2500 Kilometer bräuchte, um im Zusammenspiel mit ukrainischen Drohnenschwärmen nicht nur die russische Öl-Industrie auszuschalten, sondern auch zentrale militärische Ziele zu treffen.
Für die USA sind Waffenlieferungen jeglicher Art seit Trumps Amtsantritt ein gutes Geschäft. Die USA verschenken nichts mehr. Sie verkaufen ihre Ware an die Nato, die das Zeug dann an die Ukraine weiterreicht. Ein guter Deal also. Hätte auch für die Tomahawk-Raketen (à 2,5 Millionen Dollar pro Stück für die neueste Variante) gepasst. Aber Trump machte deutlich: «Mir wäre es lieber, die Ukraine bräuchte die Tomahawks gar nicht.»
Am Donnerstag noch unterstrich Trump, wie «gefährlich» die «extrem zerstörerische Waffe» wäre – und dass Russland nicht damit beschossen werden wolle. Das hatte ihm Putin bei ihrem Telefonat am Donnerstagabend mitgeteilt. Alleine, dass Trump – ohne Absprache mit Selenski – mit dem Russen telefoniert hat, während sich der Ukrainer auf den Weg in die USA machte, spricht Bände.
Der entscheidende Fehler der Ukraine
Offenbar liess sich Trump bei dem Telefonat mit dem Moskauer Ex-Geheimagenten erneut kräftig einseifen. Statt den Sack zuzumachen und der Ukraine uneingeschränkt jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie für den möglicherweise entscheidenden Schlag gegen die einst als übermächtig erachteten Russen bräuchte, verfällt Trump erneut in Träumereien über einen verhandelten Frieden am Gesprächstisch mit Putin.
In zwei Wochen will er sich mit dem Kreml-Chef treffen – ausgerechnet in Budapest. Jener Stadt, in der die Ukraine 1994 ihren grössten Fehler als noch junge Nation begangen hatte und das «Budapester Memorandum» unterzeichnete, mit dem sie – im Gegenzug zu heute lächerlich wirkenden Sicherheitsgarantien der Russen und der Amerikaner – ihr gesamtes Atomwaffenarsenal an Moskau abgegeben hat.
Und ausgerechnet in jener Stadt, in der der Putin-freundlichste aller Europäer seinen Regierungspalast hat und Woche für Woche seine demokratiegefährdenden Tiraden Richtung Brüssel, Berlin, Paris und Rom schmettert. Für Viktor Orban (62) und Wladimir Putin wird der Budapester Gipfel zum Triumph. Für Selenski garantiert nicht.
Wie der Israel-Erfolg Trump blind macht
Trump begeht mit der Waffenverweigerung gegenüber der Ukraine und der gleichzeitigen Gesprächsoffensive gegenüber Russland einen entscheidenden Fehler, offenkundig provoziert durch seinen jüngsten Verhandlungserfolg im Nahen Osten. Da war die Lage klar: Die Terrororganisation Hamas musste nach zwei Jahren des durch die USA aus- und aufgerüsteten übermächtigen Gegners Israel anerkennen, dass es keine militärischen Wege mehr zum Ziel gibt. Verhandlung war die einzige Überlebensstrategie der verblendeten Islamisten.
Im Ukraine-Krieg aber ist die Ausgangslage entschieden anders. Die beiden Gegner sind beide weit davon entfernt, mit ihren militärischen Mitteln an Grenzen zu stossen. Der «Schnauf» geht keinem von beiden bald aus. Der Druck, zu verhandeln, ist inexistent, solange man auf dem Schlachtfeld militärisch noch Tatsachen schaffen kann.
Selenski weiss das. In Washington fasste er die Situation am Freitagabend treffend zusammen: «Wir wollen Frieden, Putin nicht. Deshalb müssen wir ihn unter Druck setzen.» Genau das tut Trump mit seiner Plauder-Diplomatie nicht. Das kleine Wunder, das er im Nahen Osten geschafft hat, wird sich in Osteuropa auf diese Weise nicht wiederholen.