Pleiten und starke AfD bringen junge Regierung schon ins Trudeln
Der Katastrophen-Start des deutschen Kanzlers

Wie viele Pleiten in nur 100 Tagen möglich sind, zeigt der deutsche Kanzler Friedrich Merz mit seiner Regierung. Die grösste Schmach aber ist, dass in dieser kurzen Zeit die rechte AfD die Union überholt hat. Jetzt braucht es einen Tabubruch. Die Analyse.
Publiziert: 15:49 Uhr
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Aktualisiert: vor 43 Minuten
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Am Donnerstag ist Friedrich Merz 100 Tage im Amt. Er konnte nicht liefern, was von ihm erwartet worden war.
Foto: imago/Chris Emil Janßen

Darum gehts

  • Kanzler Friedrich Merz hat keinen guten Start hingelegt
  • Der Waffenstopp für Israel sorgt für Kontroversen
  • Die AfD hat in Umfragen die Union überholt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Guido FelderAusland-Redaktor

Der deutsche Kanzler Friedrich Merz (69) hat sein Amt mit grossen Vorschusslorbeeren angetreten. Erwartet wurden eine Neuaufstellung Deutschlands und klare aussenpolitische Signale. Doch nach 100 Tagen im Amt ist in Deutschland die Koalition bereits im Streit – und die Stimmung im Keller. Grossen Ärger hat ihm der Entscheid eingebracht, Israel für den Gaza-Sturm keine Waffen mehr zu liefern.

In der gleichen Zeit hat die AfD die Union laut Umfragen überholt und gilt nun als stärkste Partei Deutschlands. Der jungen Regierung von Union und SPD droht das gleiche Schicksal wie der viel kritisierten Ampel zuvor: der Absturz. Merz muss deshalb bald eine folgenreiche Entscheidung treffen. 

In der jüngsten Umfrage des Forsa-Instituts vom Dienstag erreicht die AfD 26 Prozentpunkte und verdrängt die Union aus CDU und CSU mit 24 Punkten auf Platz zwei. Es ist ein miserables Resultat für die Regierungspartei, das vor allem auf Kanzler Merz zurückzuführen ist. Auch seine eigenen Werte gehen bachab: Nur noch 29 Prozent der Befragten sind mit ihm zufrieden, bei der Wahl im Mai waren es noch 38 Prozent.

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Am 6. Mai zeigte die neue Regierung Einigkeit, inzwischen ist sie schon zerstritten.
Foto: IMAGO/NurPhoto

Merz’ innenpolitischer Leistungsausweis besteht nach nur 100 Tagen aus einer langen Liste von Pleiten:

  • Fehlstart: Schon Merz’ Start am 6. Mai stand wegen eines vorausgegangenen Techtelmechtels mit der AfD unter einem schlechten Stern. Erstmals wurde ein Kanzler erst im zweiten Wahlgang gewählt.

  • Wahl-Desaster: Die Kür von Verfassungsrichtern sorgte für rote Köpfe und musste verschoben werden, weil von Merz und der Unionsfraktion plötzlich Kritik an der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf (54) aufkam.

  • Grenz-Zoff: Die Grenzkontrollen sind rechtlich umstritten und führten zu Spannungen mit Nachbarstaaten, vor allem mit Polen.

  • Verschuldung: Zuerst lehnte er die Aufweichung der Schuldenbremse unter der Ampelregierung vehement ab. Selber Kanzler, machte er genau damit Milliarden für Aufrüstung und Infrastruktur locker.

  • Kommunikations-Misere: Sowohl Koalitionspartnerin SPD als auch die Schwesterpartei CSU beschweren sich über mangelnde Information.

  • Waffen-Stopp: Einerseits für Applaus, auf der anderen Seite aber auch für Entrüstung sorgte Merz’ Entscheid, Israel für den Gazakrieg keine Waffen mehr zu liefern. Berlin fühlte sich gegenüber Israel aus historischen Gründen bisher zur vollen Unterstützung verpflichtet.

Entsetzen bei der SPD

Gerade wegen dieser Rüstungseinschränkung gegenüber Israel kocht die Stimmung in der Union hoch. Der Bundesvorstand der CDU sei «null Komma null» konsultiert worden, sagt ein Mitglied des Gremiums gegenüber «Bild». In der SPD herrscht blankes Entsetzen. Ein Mitglied der Fraktion sagt gegenüber der Zeitung: «So eine Nummer mitten in der Sommerpause abzuziehen – Wahnsinn.»

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Schon nach der geplatzten Richterwahl sorgte sich SPD-Fraktionschef Matthias Miersch (56) in einem parteiinternen Schreiben um die Regierungsfähigkeit mit der Union: «Vielleicht fragen sich einige von euch, wie belastbar diese Koalition überhaupt noch ist.» Diese Frage sei «berechtigt», daher brauche es jetzt «Stabilität und Führung».

Erfolgreicher als Scholz

Zur Verteidigung von Merz muss man anfügen, dass die neue Regierung nach der zerbrochenen Ampel und der politischen Lage keine Schonfrist hatte und gleich voll liefern musste. Daher bekommt Merz von Wissenschaftlern gar nicht so schlechte Noten wie von deutschen Politikern.

So bezeichnet ihn Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel gegenüber Blick als «deutlich erfolgreicher» als seinen SPD-Vorgänger Olaf Scholz (67). Erfolgreicher deshalb, weil er «sichtbarer und kommunikativer ist und selbst auch die Initiative ergreift». Dies berge auch die Gefahr, «Fehler zu machen».

AfD in die Verantwortung nehmen

Merz hat Fehler gemacht. Aber er ist auch ein Gefangener seiner eigenen Ziele, der Gespaltenheit des Landes und vieler äusserer Einflüsse. Er muss gleichzeitig sein Land aus der Krise führen und als mächtigster Mann Europas auf die ausartende Weltpolitik einwirken.

Wie in Deutschland üblich, ziehen selbst in dieser schwierigen Situation die Parteien nicht am selben Strick, sondern üben sich in der gegenseitigen Zerfleischung. Kommt dazu, dass auf der anderen Seite des grossen Teiches ein Mann herrscht, der sich um demokratische Regeln und Freundschaften foutiert.

Nach einer zerbrochenen Ampelregierung und bei einer aktuellen, schon nach 100 Tagen taumelnden Regierung ist vielleicht ein Tabubruch nötig, der aus der Sackgasse führen könnte: In Deutschland müsste man sich überlegen, ob nicht eine gewisse Zusammenarbeit mit der AfD angestrebt werden sollte. Immerhin hat ihr die Brandmauer-Politik, kombiniert mit der unsicheren Weltlage, Rekordwerte beschert.

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