100 Tage im Amt
Merz versprach Politikwechsel – hat er das geschafft?

Bundeskanzler Friedrich Merz zieht nach 100 Tagen im Amt eine gemischte Bilanz. Während er in der Aussenpolitik Erfolge verzeichnet, gibt es in der Koalition Spannungen bei Wirtschaft, Migration und Sozialpolitik.
Publiziert: 11:19 Uhr
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Aktualisiert: 11:47 Uhr
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Friedrich Merz kündigte einen «Politikwechsel» in der Wirtschafts-, Migrations- und Aussenpolitik an. Hat er das in den ersten 100 Tagen geschafft?
Foto: AFP

Darum gehts

  • Friedrich Merz löste Olaf Scholz als Bundeskanzler ab. Erste Bilanz nach 100 Tagen
  • Merz verspricht Politikwechsel in Wirtschaft, Migration und Aussenpolitik
  • Differenzen in der Koalition zeigen sich vor allem in der Sozialpolitik
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Nach dem Ampel-Aus gab es Neuwahlen in Deutschland. Und so löste Friedrich Merz (69) Olaf Scholz (67) als Bundeskanzler ab. Nächsten Donnerstag ist Merz schon 100 Tage im Amt. Grund genug, um Bilanz zu ziehen. Der Kanzler weilt derweil in den Ferien. 

Was hat Merz versprochen?

Vor seinem Amtsantritt versprach Merz eine Regierung, «die entschlossen ist, Deutschland mit Reformen und Investitionen nach vorne zu bringen». Er kündigte einen «Politikwechsel» in der Wirtschafts-, Migrations- und Aussenpolitik an. Die Bürgerinnen und Bürger sollten «schon im Sommer spüren: Hier verändert sich etwas zum Besseren.»

Wie ist Merz' Bilanz in der Aussenpolitik?

Merz sei in der Aussenpolitik im Vergleich zu seinem SPD-Vorgänger Olaf Scholz «deutlich erfolgreicher, weil er sichtbarer ist, weil er kommunikativer ist, weil er selbst auch die Initiative ergreift», sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel. Dies berge aber auch Gefahr, «Fehler zu machen». Schroeder verweist auf das letztlich folgenlose «Ultimatum» an Präsident Wladimir Putin (72) im Ukraine-Konflikt zu Beginn von Merz' Amtszeit.

Ursula Münch von der Akademie für politische Bildung in Tutzing findet, Merz habe auf internationaler Bühne «einen sehr guten Eindruck gemacht». Ein «entschieden wirkendes Auftreten» sei ihm «mit Blick auf US-Präsident Donald Trump ganz gut gelungen». Auch das Verhältnis zu Frankreich sei «anscheinend wieder ein bisschen besser». Um Polen habe Merz sich gleichfalls bemüht, dort sei es wegen der innenpolitischen Lage aber gerade schwierig.

Wie sieht es bei Wirtschaft und Migration aus?

Es sei sichtbar, dass die Regierung versuche, die Probleme bei Wirtschaft und Migration «in den Griff zu bekommen», sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. «Aber die grossen Wenden sind ausgeblieben in beiden Bereichen.» Ergebnisse könnten sich jedoch «auch noch nicht in grossem Ausmass nach 100 Tagen zeigen». Das brauche Zeit.

Ähnlich zieht Schroeder Bilanz: «Den Stimmungsumschwung, den er anstrebte, hat er nicht erreicht.» Bei Wirtschaft und Migration gebe es in wesentlichen Parametern erste Fortschritte. «Insofern hat man jenseits der grossen Wahrnehmung von Stimmungsveränderungen durchaus Hinweise, dass sich etwas zum Besseren verändert.»

Wo gab es in der Koalition Probleme?

Differenzen hätten sich vor allem in der Sozialpolitik gezeigt, meint Jun. In Bereichen wie Rente oder Bürgergeld gebe es «immer wieder Spannungen, weil die Parteien unterschiedliche Vorstellungen haben». Schroeder spricht vom «Sprengfass der Sozialpolitik». Hier sei durch den Koalitionsvertrag lediglich «ein äusserer Friede gewährleistet» worden. Der Druck sei aber, so gross, «dass man nicht darauf verzichten möchte, die eigenen Positionen jenseits des Koalitionsvertrages offensiv öffentlich zu machen».

«Ausgesprochen ärgerlich» sei für die Koalition die gescheiterte Neubesetzung von drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht, sagt Münch. Hier sei in der Koalition «ein gewisses Zerwürfnis entstanden». Die in der Union umstrittene SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf (54) zog sich zwar inzwischen zurück, in der SPD blieben aber offene Zweifel an der Verlässlichkeit des Koalitionspartners.

Hat sich Merz zu sehr auf die Aussenpolitik konzentriert?

«Ja, den Eindruck hat man», sagt Schroeder. «Problematisch ist die Attitüde des Kanzlers: ‹Ich denke ganz gross, ich denke in langen Linien, ich denke in grossen Bildern, und das Kleingedruckte lösen andere.›» Doch die Konflikte steckten «im Kleingedruckten: bei der Richterwahl, beim Bürgergeld, beim Umgang mit den Ukrainern».

«Andere Staatsmänner und Regierungschefs zu treffen, ist natürlich schöner, als sich mit dem Klein-Klein beim Bürgergeld zu beschäftigen», sagt auch Münch. Sie findet aber, die Konzentration auf die Aussenpolitik sei für Merz «schon die richtige Prioritätensetzung für den Anfang» gewesen. Künftig werde er «die Kunst beherrschen müssen, sowohl in der Aussenpolitik präsent zu sein als auch stärker in der Innenpolitik».

Was kann Merz dazu beitragen, Konflikte zu entschärfen?

«Sicherlich muss der Bundeskanzler vielleicht noch mehr mit den jeweiligen Partnern reden», sagt Münch. Allerdings scheine es zwischen Merz und den Parteispitzen von SPD und CSU auch gut zu funktionieren. Problem sei eher, dass Union und SPD die Fähigkeit fehle, «die eigene Gefolgschaft überhaupt an die Parteilinie zu binden». Im Parlament sei das Aufgabe der jeweiligen Fraktionsführung. Da gebe es noch sicher «Luft nach oben».

Letztlich habe der Kanzler bei der Vermeidung von Konflikten in der Koalition «nur begrenzte Möglichkeiten», sagt Jun. «Er muss sich darauf verlassen, dass auch andere ihn dabei wesentlich unterstützen.» Auf Unionsseite sieht Jun hier neben Unions-Fraktionschef Jens Spahn auch Kanzleramtsminister Thorsten Frei (beide CDU) in der Pflicht.

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