Darum gehts
- Boeing 787-8 stürzt in Indien ab, fast alle Insassen sterben
- Pilot vermutet Verwechslung der Klappen-Hebel im Cockpit als Absturzursache
- Kapitän hatte über 8000 Flugstunden, Co-Pilot rund 1000 Flugstunden
242 Menschen setzten sich am Donnerstag in Ahmedabad in ein Flugzeug in Richtung London. Alle Insassen hatten unterschiedliche Träume. Einige wollten ihre Familien besuchen, andere reisten in die Heimat und wieder andere machten nur ihren Job. Die Boeing 787-8 der Air India rollte um die Mittagszeit auf die Startpiste, doch an ihrem Ziel kam sie nie an.
Kaum 40 Sekunden nach dem Start zerschellte die Maschine im leichten Sinkflug an den Häusern eines Wohngebietes. Alle Insassen bis auf ein Passagier kamen ums Leben. Seit diesem Zeitpunkt dreht sich alles um eine Frage. Was ist passiert? Klar ist: Es gibt viele Theorien dazu, was die Absturzursache gewesen sein könnte. Ein Pilot, der lange in Indien gearbeitet hat, ordnet die Geschehnisse ein.
«Es ist etwas schiefgelaufen»
«Aus meiner Sicht ist im Cockpit etwas schiefgelaufen», sagt Pilot Alwin Machold (51) zu Blick. Der Deutsche ist seit über 30 Jahren Pilot, war für Airlines auf der ganzen Welt tätig. Der Air-India-Absturz hat ihn tief bewegt. «Wir haben mit mehreren Kollegen und Flugprüfern die Videos des Absturzes analysiert.» Sofort fiel den Piloten auf: «Die Klappen waren zum Zeitpunkt des Absturzes eingefahren. Das Fahrwerk hingegen war noch ausgefahren.»
Eigentlich müsste es umgekehrt sein, betont Machold. «Ohne Klappen fehlt eine wichtige Auftriebsfläche, ohne sie kann das Flugzeug nicht so langsam fliegen und an Höhe gewinnen.» Er vermutet eine Verwechslung im Cockpit. «Der Co-Pilot muss die Hebel verwechselt haben. Das ist ein tragischer Fehler.»
Kurze Ausbildung und viel Druck
Nach Angaben der indischen Generaldirektion für Zivilluftfahrt sass Kapitän Sumeet Sabharval (60) am Steuer des Flugzeugs. Er wies mehr als 8000 Flugstunden auf und galt als erfahren. Als Co-Pilot ist Clive Kundar (32) aufgeführt. Kundar hatte gut 1000 Flugstunden vorzuweisen. «Das ist für einen Piloten eines Langstreckenjets ausgesprochen wenig und entspricht weniger als einem Jahr Flug- und Arbeitserfahrung», erklärt der Pilot.
Machold kennt die indische Luftfahrtbranche gut. Insgesamt fünf Jahre arbeitete er als Pilot in Indien. Er kennt die Abläufe. «Mir ist aufgefallen, dass die Branche sehr gerne schnell expandieren würde.» Technisch sei man weit, doch die Ausbildung bleibt ein kritischer Faktor. «Mit der Corona-Krise wurden fast alle ausländischen Piloten entlassen. Jetzt fehlt Cockpitpersonal. Der Druck, der auf Berufsanfängern lastet, ist sehr hoch. Ihr Erfahrungsniveau ist relativ niedrig.»
Der Pilot macht deutlich, dass seine Aussagen keine direkten Rückschlüsse auf die Crew von Flug 171 zulassen – dennoch sieht er Parallelen in Mustern, die er bei früheren Vorfällen beobachtet hat. «Ein solch tragischer Unfall passiert nicht einfach so. Da spielen Dinge wie Unternehmenskultur, Kommunikation und Mentalität eine grosse Rolle. Einfach dem Piloten menschliches Versagen zu unterstellen, greift zu kurz.» Bis die Flugdaten genauer Aufschluss liefern, bleibt alles Spekulation. Viele Luftfahrtkenner warnen davor, zu früh Schlüsse zu ziehen.
Experten warnen vor voreiligen Schlüssen
Eine weitere Meinung ist, dass die Piloten im Cockpit mit zusätzlichen, technischen Problemen, wie einem beidseitigen Triebwerksausfall beschäftigt gewesen sein könnten. Ersteres glaubt der US-Luftfahrtexperte Steve Scheibner. Auf einer neuen Aufnahme sei zu erkennen, dass kurz nach dem Start die Stauluftturbine (RAT) ausgelöst wurde. Diese Turbine wird dann ausgelöst, wenn lebenswichtige Systeme eines Flugzeugs mit Strom versorgt werden müssen. Dies, wenn es beispielsweise zu einem Totalausfall verschiedener Systeme kommt. «Man sieht eine Ausbuchtung am Bauch des Flugzeugs – direkt darunter einen kleinen grauen Punkt. Das ist die RAT.» RAT sei nicht für Flugzeuge konzipiert, die in einer Höhe von 120 oder 150 Metern die gesamte Leistung verlieren.
Die beiden Flugschreiber werden hoffentlich Aufschluss über die Ereignisse geben. Der «Cockpit Voice Recorder» sichert alle Geräusche im Cockpit – auch die Konversation zwischen den Piloten. Der «Flight Data Recorder» registriert Hunderte Variablen zur Leistung der Triebwerke und Position der Landeklappen. Die nächsten Tage könnten Antworten auf wichtige Fragen liefern.