Darum gehts
Herr Umland, wie haben Sie das Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin wahrgenommen?
Als peinlich und bizarr. Über den Inhalt der Gespräche ist bisher wenig bekannt. Aber die Bilder waren katastrophal: der rote Teppich für Putin, niederkniende amerikanische Soldaten vor dem russischen Regierungsflieger, Trumps Applaus für den Kremlherrscher, die gemeinsame Fahrt in der amerikanischen Limousine und so weiter.
Für wen sind diese Bilder katastrophal?
Für den Westen und für Amerika im Besonderen. Russland bombardiert in der Ukraine zivile Gebäude, deportiert Abertausende Kinder, foltert massenhaft Kriegsgefangene. Indem die USA Putin hofieren, ignorieren sie die regelbasierte Ordnung, das Völkerrecht und Menschenrechte und damit alles, wofür der Westen steht. Letztlich ist das Resultat dieses Gipfeltreffens aber vielleicht gar nicht so schlecht.
Wie meinen Sie das?
Die Bilder können für Trump zum innenpolitischen Problem werden. Mit dieser Nähe hat sich Trump selber zu Putins Geisel gemacht. Für Trump wäre es ein Imagedesaster, wenn Putin nun in der Ukraine nicht zumindest teilweise einlenkt. Die Dialektik dieser Situation könnte sich später zum Vorteil der Ukraine entwickeln, falls die amerikanische Zivilgesellschaft in Aufruhr gerät.
Trump hat sich mit dem Gipfel also vor allem selbst unter Druck gesetzt?
Ja. Er hat sich womöglich mit seinen Schmeicheleien ein Entgegenkommen durch Putin erhofft. Das Missverständnis ist tief: Das Narrativ, der Westen trage wegen der Nato-Osterweiterung oder mangelnden Respekts gegenüber Russland Schuld am Krieg, ist leider auch in Europa und den USA verbreitet. Trump glaubte wohl, mit einem veränderten Verhalten, mit einem freundschaftlichen Auftreten gegenüber Putin den proklamierten Kriegsgrund neutralisieren zu können. Wenn es keine Feindschaft zwischen den USA und Russland mehr gibt, wozu dann der Krieg?
Putin forderte in Anwesenheit von Trump erneut, dass über «die Wurzeln des Krieges» gesprochen werden müsse.
Das Schlimmste wäre, wenn sich Trump nun in eine Art Botschafter Putins gegenüber Europa verwandeln würde. Denn klar ist: Der russische Angriffskrieg hat innere Ursachen – er ist keine Reaktion auf das Verhalten des Westens. Die russische Aggression hat mit den russischen imperialen Traditionen und Ansprüchen auf ehemalige Territorien des Zarenreichs und der Sowjetunion zu tun.
Dazu passt der Auftritt des russischen Aussenministers Sergei Lawrow in einem UdSSR-Shirt am Rande des Alaska-Gipfels.
Das war wohl eine Art Trolling des russischen Aussenministers. Die Botschaft in kyrillischen Buchstaben richtete sich auch an die Russinnen und Russen. Umfragen zeigen, dass die Sowjetunion in der russischen Bevölkerung heute als eine Phase, der Nationalstolz gebührt, gesehen wird – und Stalin ist der populärste Politiker in Russland, noch vor Putin. Dass die Sowjetzeit für Mittelosteuropa eine dunkle Periode war, dass die Sowjetunion am Anfang des Zweiten Weltkrieges mit Nazi-Deutschland zusammengearbeitet hat, wird in Russland oft vergessen.
Amerika richtete den Gipfel unter dem Motto «Frieden anstreben» aus. Will Putin Frieden in der Ukraine?
Putin will seine Macht erweitern und sichern. Es geht ihm nicht darum, den Krieg endlos fortzusetzen, sondern die Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen. Vorzugsweise mit Verhandlungen und solchen Gipfeltreffen statt militärischer Mittel.
Sie wohnen und arbeiten in Kiew. Wie wurde das Gipfeltreffen in der Ukraine aufgenommen?
Die Leute sind schockiert. Dass ein solcher Kriegstreiber, Massenmörder und Menschenrechtsverletzer vom US-Präsidenten unterwürfig empfangen wird, empört die Ukrainer.
Am Montag reist der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski nach Washington. Bei seinem letzten Besuch wurde er von Trump aus dem Oval Office geworfen.
Für Trump ist die Ukraine ein lästiges Problem, das er loswerden will. Er hat sich im Wahlkampf selbst in eine Sackgasse manövriert, indem er ankündigte, diesen Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Doch jetzt steigt der innenpolitische Druck. Die Popularität der Ukraine ist in der amerikanischen Bevölkerung trotz der prorussischen Propaganda der Trump-Administration und ultrakonservativer Medien gross. Umfragen zeigen: Selbst unter republikanischen Wählern ist die Unterstützung für Selenski und US-Waffenlieferungen an die Ukraine zuletzt gestiegen.
Neben Selenski waren die europäischen Staatschefs die grossen Abwesenden in Alaska. Wie beurteilen Sie die Rolle Europas in diesem Konflikt?
Die Haltung Europas ist heute entscheidend. Die Rollen haben sich vertauscht: Früher drängte Europa auf Konzessionen gegenüber Russland, jetzt die USA. Die militärische Unterstützung muss nun vor allem von Europa geleistet werden. Würden die Europäer auch umkippen, wäre die Ukraine verloren. Dabei geht das, was die Europäer hier am meisten motivieren sollte, leider gerne vergessen.
Was denn?
Dass es nicht nur um die Ukraine geht, sondern um die generellen Prinzipien der Weltordnung nach 1945. Die Ukraine war als Sowjetrepublik Mitbegründerin der Uno, hat den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert, ist Teilnehmer der OSZE und sitzt im Europarat. Sollte das Land jetzt zerstückelt und seiner Souveränität beraubt werden, warum soll das nicht auch anderen Uno-Mitgliedstaaten passieren können? Fällt die Ukraine, droht eine Rückkehr zur globalen Unordnung von vor 1945.
Was wäre nötig, damit in der Ukraine ein entscheidender Schritt Richtung Frieden gelingt?
Sanktionen gegenüber Russland und militärische sowie finanzielle Unterstützung der Ukraine. Da gibt es viele Instrumente, die noch nicht genutzt wurden. Zum Beispiel die 300 Milliarden russische Staatsgelder, die in Europa eingefroren sind und nicht genutzt werden. Es gibt immer noch viele Schiffe der sogenannten Schattenflotte Russlands, die nicht sanktioniert sind. Die Schlupflöcher für Sanktionsumgehungen sind zahlreich. Nur Druck bringt Putin ernsthaft an den Verhandlungstisch – nicht Freundlichkeit.