Neuer Brutalo-Vorschlag
Ukrainer fordert 876'000 Russen für den Organhandel

Die Ukraine und Russland sind keinen Schritt weiter bei der Beilegung des Krieges. Das liegt primär an Moskaus grotesken Forderungen. Doch so leicht lässt sich die Ukraine auch auf dem Schlachtfeld der Absurditäten nicht schlagen.
Kommentieren
Präsident Wolodimir Selenski reiste am Freitag persönlich an die Front in Kupjansk, um zu beweisen: Wir rücken hier nicht ab.
Foto: AFP

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
RMS_Portrait_AUTOR_823.JPG
Samuel SchumacherAusland-Reporter

Den Russen fehlt es an vielem, nicht aber an Kreativität. Die Forderungen, die Wladimir Putins (73) Propagandisten aufs Parkett bringen, werden von Tag zu Tag absurder. Bestes Beispiel: Die Ukraine solle sich freiwillig aus den noch immer von ihr kontrollierten 6000 Quadratkilometern im Donbass zurückziehen. Die befestigten Grossstädte Kramatorsk und Slowjansk solle Kiew doch bitte kampflos den Russen abgeben.

Was Putin militärisch nicht schafft, will er sich politisch schenken lassen. Erstaunlicherweise gelingt es Moskau, diese Kriegsfantasien so zu verpacken, dass sie mindestens den amerikanischen Verhandlungspartnern als legitim erscheinen. Die Ukraine aber will den Russen das Feld der Absurditäten nicht widerstandslos überlassen. Auch auf der ukrainischen Seite erhalten groteske Forderungen immer mehr Zuspruch. Keine davon ist so brutal wie jene des ukrainischen Anwalts Witali Kolomijets, dessen Beiträge in ukrainischen sozialen Medien stark verbreitet werden.

Kolomijets hat berechnet, wie viele Soldaten Putin noch verheizen müsste, um den Donbass komplett einzunehmen. Im Kriegsverlauf haben die Russen pro eroberten Quadratkilometer 146 Soldaten verloren. Rechnet man das hoch auf die 6000 ukrainisch-kontrollierten Donbass-Quadratkilometer, kommt man auf 876'000 russische Soldaten, die im Kampf um das Gebiet fallen würden – beziehungsweise verschont blieben, falls das Gebiet kampflos die Seiten wechselte.

1/6
Russische Soldaten hissen die Flagge in Siwersk, einer Stadt im Donbass.
Foto: AP

Das will der Anwalt Kolomijets nicht hinnehmen und schreibt auf Facebook, den Donbass könne Putin gerne haben, «falls Russland uns erlaubt, 876'000 russische Soldaten unserer Wahl hinrichten zu dürfen. Mit jedem ermordeten Russen sinken dann auch die Anforderungen an die Sicherheitsgarantien, die die USA leisten müssten.»

Russen eroberten dieses Jahr nur 0,77 Prozent der Ukraine

In rechten Kreisen in der Ukraine hat die Idee rasch verfangen. Dmitro Kortschinski (61), wortmächtiger Anführer der rechtsradikalen Bewegung «Bruderschaft» («Bratstwo»), denkt laut darüber nach, wie die Ukraine vom Handel mit den Organen der ausgelieferten Russen profitieren könnte. Natürlich nicht im Ernst. Die Gefahr, schreibt Kortschinski selbst über seine Idee, bestehe darin, «dass Putin dem Vorschlag am Ende wohl sogar zustimmen würde».

Absurdes mit Absurdem bekämpfen: Das funktioniert nur selten. Das weiss auch Anwalt Kolomijets. In einem zweiten, ernst gemeinten Vorschlag bringt er die Idee ins Spiel, Russland solle der Ukraine für einen Frieden die Atomwaffen zurückgeben, die Kiew 1994 den Russen im Austausch gegen (aus heutiger Sicht wirkungslose) russische Sicherheitsgarantien abgegeben hat. Zudem sollen die eingefrorenen Russenvermögen als Entschädigung für die Hinterbliebenen gefallener ukrainischer Soldaten verwendet werden.

Die Aussichten für beide Forderungen stehen derzeit schlecht. Russland will seinen Abnutzungskrieg durchziehen. 2025 eroberte Moskau laut dem amerikanischen Institut für Kriegsstudien (ISW) gerade mal 0,77 Prozent des ukrainischen Territoriums. Dafür opferte Putin nach ukrainischer Zählart, die nicht zwischen Toten und Verwundeten unterscheidet, bislang 391'270 eigene Männer.

Putin wagt versteckte Mobilisierung

Putin scheinen diese Horrorzahlen nicht zu bremsen. Am Montag hat er ein Dekret unterzeichnet, mit dem die russische Armee 2026 eine nicht genauer benannte Anzahl von Reservisten einziehen kann. Schon im November lockerte Putin die bis dahin stark eingeschränkten Zwecke, für die Reservisten aufgeboten werden dürfen. Sprich: Er macht es seinen Befehlshabern einfacher, eingezogene Reservisten direkt an die Front zu schicken.

Die Experten des ISW werten diese Entscheidungskette als klaren «Bruch des russischen Sozial-Vertrages», einer Art stillen Abmachung zwischen dem Kreml und dem russischen Volk: Ihr lasst uns ungestört regieren, dafür lassen wir euch ungestört leben. Nötig sei der Schritt, weil Putin sich vor einer offiziellen Mobilisierung junger Männer fürchtet (Risiko: Protestwelle). Und weil ihm das Geld für die hohen Bonuszahlungen an freiwillige Kämpfer ausgehe.

Für ein baldiges Ende des Krieges gibt es trotzdem keine Anzeichen. Im Gegenteil: Je absurder die Forderungen der beiden Seiten für einen Friedensschluss werden, umso realistischer ist es, dass dieser Krieg noch weitere Jahre wüten wird.

Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen