«Mittelalterliche Überfälle»
Warum konzentriert sich Putin plötzlich auf diese Dörfer?

Es sind keine Attacken aus der Luft, die Russlands neue Angriffe in der Ukraine prägen. Statt auf Grossangriffe setzt Moskau in den Regionen Sumy und Charkiw auf Grenzdurchbrüche und Nadelstiche. Damit verfolgt der Kreml eine besondere Strategie, wie neue Daten zeigen.
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Über ein Dutzend russische Soldaten dringen in das Dorf Sotnytskyi Kozachok ein.
Foto: Screenshot

Darum gehts

  • Russische Truppen dringen in ukrainische Grenzdörfer ein und entführen Bewohner
  • Neue russische Angriffsstrategie: Kleinere Überraschungsangriffe oft im Dunkeln
  • 50 Dorfbewohner sollen laut ukrainischen Medien gewaltsam entführt worden sein
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Janine EnderliRedaktorin News

Frontdurchbruch, Entführung, Einnahme – alles Teil einer neuen, russischen Angriffsstrategie? Ukrainische Medien berichteten am Wochenende, dass russische Truppen in das grenznahe Dorf Hrabowske in der Region Sumy eingedrungen seien.

Russische Stellen erklärten wenig später, Hrabowske sowie das unmittelbar südlich gelegene Wisoke eingenommen zu haben. Dabei kam es zu einer Entführung von rund 50 Dorfbewohnern, wie der ukrainische Aussenminister Andrii Sybiha auf X erklärte. «Mit solchen mittelalterlichen Überfällen zeigt Putins Russland, dass es sich nicht von Terrororganisationen unterscheidet», schrieb Sybiha. Die Angaben lassen sich bislang nicht unabhängig überprüfen. Zahl und Aufenthaltsort der mutmasslich Verschleppten sind unklar.

Neue Angriffsstrategie im Norden

Nach Einschätzung des amerikanischen «Institute for the Study of War» (ISW) gibt es Hinweise darauf, dass russische Kräfte zeitweise die Kontrolle über Hrabovske erlangten. Ein ähnlicher Vorfall soll sich beim Dorf Sotnytskyi Kozachok in der Region Charkiw ereignet haben.

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Fakt ist: Russland setzt an der Nordfront auf eine neue Angriffsstrategie. Charakteristisch dafür: kleinere Überraschungsangriffe – oft im Dunkeln. Auch im aktuellen Fall von Hrabowske berichten russische Militärblogger laut dem ISW von einem nächtlichen Grenzübertritt unter Nebeldeckung.

Was will der Kreml erreichen?

Kiew spricht von umkämpften «Grauzonen», die derzeit von keiner Seite vollständig gehalten würden. «Wir versuchen, die Lage zu stabilisieren», erklärte Armeesprecher Dmytro Lykhowyi und bestätigte einen teilweisen Rückzug ukrainischer Einheiten aus dem Gebiet.

Die grenzüberschreitenden Angriffe Russlands dürften Teil einer gezielten Strategie sein, analysiert das ISW: «Sie dienen dazu, im Westen den Eindruck zu erwecken, die ukrainischen Frontlinien brächen zusammen – mit dem Ziel, politischen Druck zu erzeugen und Kiew zu Zugeständnissen zu zwingen.» Dabei beabsichtigt Moskau offenbar, die begrenzten Überfälle auf kleine, ländliche Grenzdörfer als Vorboten einer neuen Offensive darzustellen.

«Psychologische Kriegsführung» um Nordfront

Laut dem ISW steht diese aber gar nicht bevor. Deshalb seien die Angriffe vor allem auch als «psychologische Kriegsführung» zu verstehen.

Auffällig: Das Grenzgebiet rund um Hrabowske ist seit Monaten inaktiv. Russland hat Eliteeinheiten abgezogen. Die Frontlinie um Sotnytskyi Kozachok ist seit Sommer 2024 inaktiv. Die Region eigne sich dazu, um durch Nadelstich-Angriffe internationale Aufmerksamkeit zu erregen. «Es ist eine lokale Provokation», zitiert das ISW den ukrainischen Oberst Viktor Trehubow.

Angriff bewusst inszeniert?

So sei der Angriff bei Sotnytskyi Kozachok auch absichtlich so geplant gewesen, dass er entdeckt werde. Videos zeigen, wie rund 15 Infanteriesoldaten versuchten, in die Siedlung einzudringen. Ukrainische Drohnen stoppten den Angriff. Laut Angaben starben über ein Dutzend Soldaten.

Bemerkenswert ist auch die veränderte Taktik: Beim Angriff nahe Sotnytskyi Kozachok sollen russische Kräfte in ungewöhnlich dicht geschlossenen Gruppen vorgegangen sein – ein Vorgehen, das den derzeit üblichen russischen Infiltrationen mit kleinen Zweier- bis Fünferteams widerspricht. Warum Moskau dieses riskante Vorgehen wählte, bleibt offen.

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