Darum gehts
Die neuen Epstein-Akten sollten ein Befreiungsschlag sein. Ein staatlich verordneter Schlussstrich unter Jahre des Raunens, der Spekulationen und der politischen Instrumentalisierung. Stattdessen steht nun ein anderer Verdacht im Raum: Die Akten sollen manipuliert, Sachen gelöscht worden sein.
Doch anders als viele frühere Epstein-Gerüchte lässt sich dieser Vorgang rekonstruieren. Mehrere internationale Medien, darunter der «Spiegel» oder CNN, haben die Erstversion der vom US-Justizministerium hochgeladenen Datensätze gesichert. Sie existieren noch in Redaktionsarchiven, teils sogar öffentlich. Der Vergleich mit der aktuell abrufbaren Version zeigt eindeutig: Dateien fehlen. Mindestens 15, möglicherweise sogar 16 Stück. Besonders heikel ist eine dieser verschwundenen Dateien: eine Ermittleraufnahme aus Epsteins Besitz, intern als «EFTA00000468.pdf» bezeichnet.
Das Foto, das nicht mehr da ist
Das Foto zeigt eine geöffnete Kommode, darin mehrere lose Fotografien. Zwei davon zeigen den damaligen Immobilienunternehmer und heutigen US-Präsidenten Donald Trump (79) – einmal mit seiner Frau Melania, einmal umringt von mehreren leicht bekleideten Frauen. Es handelt sich nicht um Partybilder von Trumps Wohnsitz Mar-a-Lago, sondern um Material, das Ermittler bei der Durchsuchung von Epsteins Anwesen dokumentierten. Genau dieser Kontext macht den Unterschied.
Wichtig ist: Die Existenz dieser Datei ist belegt. Mehrere Journalisten haben sie gesehen, heruntergeladen und beschrieben. Danach verschwand sie kommentarlos. Das US-Justizministerium liess konkrete Medienanfragen unbeantwortet. Später dementierte Vize-Justizminister Todd Blanche pauschal, dass Dateien nachträglich verändert worden seien. Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu den archivierten Versionen. Technisch ist kaum zu erklären, wie identisch benannte Datensätze plötzlich weniger Dateien enthalten sollen – ohne Eingriff.
Wenn Transparenz zur Frage der Sichtbarkeit wird
Hinzu kommt: Die gelöschten Dateien betreffen nicht ausschliesslich Trump. Auch Bilder von nackten Frauen, ein Ölgemälde sowie weiteres Fotomaterial verschwanden. Das deutet auf ein hektisches Nachbearbeiten hin – möglicherweise wegen fehlender Schwärzungen oder aus Sorge um Persönlichkeitsrechte. Doch selbst wenn das der Grund wäre: Warum fehlt jede Erklärung? Warum kein Hinweis, kein Protokoll, kein Transparenzbericht? Erst am Sonntag erklären sich die Behörden: Laut stellvertretendem Justizminister Todd Blanche zeigten die entfernten Fotos potenzielle Opfer. Die Dateien sollen später wieder veröffentlicht werden.
Auffällig ist nichtsdestotrotz, dass Trump in den freigegebenen Dokumenten insgesamt erstaunlich selten auftaucht. Seine Erwähnungen sind spärlich, sein Bildmaterial minimal. Das mag inhaltlich korrekt sein – politisch wirkt es jedoch wie eine Leerstelle. Denn in einer Affäre, die seit Jahren als Symbol für den Schutz mächtiger Eliten gilt, wird Abwesenheit schnell selbst zur Aussage.
Demgegenüber wurden Fotografien von Bill Clinton auffällig prominent verbreitet: am Pool, im Whirlpool, in Gesellschaft von Ghislaine Maxwell, Epsteins Gehilfin. Diese Bilder tauchten nicht nur in den Akten auf, sondern wurden teils aktiv durch regierungsnahe Kommunikationskanäle weiterverbreitet. Damit entstand ein klares visuelles Narrativ, das die Deutung der Akten lenkte: Epstein als Problem der politischen Gegenseite.
Epstein-Akte bietet wenig Neues
Gerade weil die Epstein-Akten inhaltlich kaum neue Enthüllungen liefern, verschiebt sich der Fokus vom Inhalt auf den Bearbeitungsprozess. In einer Zeit tiefen institutionellen Misstrauens ist diese Verschiebung entscheidend. Denn sie macht aus einem Akten-Release kein juristisches, sondern ein politisch-kommunikatives Ereignis.
Diese Asymmetrie ist politisch relevant, weil sie Vertrauen nicht stärkt, sondern selektiv verteilt. Statt einer strukturellen Aufarbeitung der Netzwerke rund um Epstein – Wer hatte Zugang? Wer wusste was? Wer wurde warum nie belangt? – verengt sich die Debatte auf einzelne Gesichter.
Am Ende bleibt das Misstrauen
Für viele Beobachterinnen und Beobachter ist der Epstein-Komplex weniger ein Kriminalfall als ein Symbol für institutionelles Versagen. Für die Wahrnehmung zählt daher nicht nur, was veröffentlicht wird, sondern wie glaubwürdig dieser Prozess ist. Wenn der Eindruck entsteht, dass Sichtbarkeit politisch gesteuert wird, untergräbt das nicht nur die aktuelle Veröffentlichung, sondern auch künftige staatliche Aufklärungsversuche.
Vor diesem Hintergrund bekommt das Verschwinden eines der wenigen Trump-Fotos besondere Bedeutung. Es geht nicht um Schuldfragen oder strafrechtliche Bewertungen, sondern um Vergleichbarkeit. Wenn beim amtierenden Präsidenten selbst vorhandenes Material verschwindet, während andere exponiert gezeigt werden, entsteht zwangsläufig der Eindruck eines doppelten Standards – unabhängig von der tatsächlichen Motivlage.