Darum gehts
- Russischer General kritisiert Kreml und Geheimdienst für Ukrainekrieg-Vorbereitung
- Ex-Kommandeur zweifelt öffentlich an offiziellen Verlustzahlen Russlands
- Kritik am Krieg kann in Russland mit bis zu 15 Jahren Straflager bestraft werden
In Russland wagt kaum jemand, den Kreml offen zu kritisieren – schon gar nicht auf hoher militärischer Ebene. Umso bemerkenswerter sind die jüngsten Aussagen von Generaloberst Wladimir Tschirkin, dem früheren Oberbefehlshaber der russischen Landstreitkräfte.
«Ich habe nicht vor, jemanden zu kritisieren, aber Russland war meiner Meinung nach erneut nicht auf einen Krieg vorbereitet», sagte er kürzlich in einem Interview mit dem russischen Sender RBK. «Wir haben eine ernste, harte Lektion erhalten», fügte er mit Blick auf den seit 2022 andauernden Krieg gegen die Ukraine hinzu.
Kritik am Geheimdienst
Tschirkin warf der Führung vor, unter einem «Tiflis-Syndrom» zu leiden – der fatalen Annahme, die Invasion in der Ukraine werde so schnell und mühelos verlaufen wie der Fünftagekrieg gegen Georgien 2008. «Am 24. Februar sagten alle, der Krieg sei in drei Tagen vorbei. Aber leider kam es anders», erklärte der General.
Besonders brisant: Der Ex-Kommandeur stellte die Arbeit des russischen Geheimdiensts offen infrage und sprach von «unbefriedigenden» Ergebnissen. «Nämlich, dass 70 Prozent der Bevölkerung der Ukraine für uns seien und 30 Prozent gegen uns. Es stellte sich heraus, dass es genau umgekehrt war: 30 Prozent für uns und 70 Prozent gegen uns.» Zudem deutete er an, die tatsächlichen Verluste Russlands in der Ukraine seien weit höher als offiziell bekannt. Wie viele Soldaten gefallen oder verstümmelt seien, «wisse die Armee», doch die ganze Wahrheit sei «noch nicht erzählt».
Gefahr für Tschirkin
Dass ein hochrangiger Militär öffentlich über Fehleinschätzungen, falsche Geheimdienstinformationen und hohe Verluste spricht, überrascht. Der ukrainische Journalist Denis Kazanskyi kommentierte, dass es dies «noch nie zuvor auf so hohem Niveau» gegeben habe. Kritik am Krieg kann in Russland mit bis zu 15 Jahren Straflager geahndet werden. Beobachter sehen deshalb erhebliche Gefahren für Tschirkin. Der General geriet schon früher ins Visier der Justiz: 2013 wurde er wegen angeblicher Bestechung abgesetzt und zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Hausarrest, Straflager und Exil
Die Liste derer, die den Kreml und Präsident Wladimir Putin (73) kritisierten, ist trotz aller Risiken lang. Einige, wie Alexei Nawalny (†47) oder der frühere Geheimdienstmitarbeiter Alexander Litwinenko (†44), bezahlten dafür mit ihrem Leben. Andere, wie der Schachweltmeister Garri Kasparow (62) und der Unternehmer Michail Chodorkowski (62), führen ihren Kampf gegen Moskau aus dem Exil.
Auch Marija Aljochina (37), Mitglied des regierungskritischen Performance-Kollektivs Pussy Riot, spürte die Repressionen des Kremls. Zwei Jahre verbrachte sie in einem Straflager, dazu anderthalb Jahre im Hausarrest mit einer elektronischen Fussfessel. In der ZDF-Sendung «Markus Lanz» schilderte Aljochina, wie ihr die Flucht gelang: Im Mai 2022 entkam sie, indem sie sich als Essenskurierin ausgab, über Belarus nach Lettland. Erst kürzlich verurteilte ein russisches Gericht sie – in Abwesenheit – wegen angeblicher Verleumdung der Armee zu 13 Jahren Gefängnis. Ihrer Gruppe Pussy Riot droht bei einer Anhörung am 15. Dezember die Einstufung als «extremistische Organisation».