Darum gehts
- EU plant militärischen Schengenraum für schnelle Truppenbewegung gegen russische Bedrohung
- Genehmigungsverfahren für Grenzübergänge soll auf maximal drei Tage verkürzt werden
- Milliarden für militärische Mobilität im nächsten EU-Haushalt geplant
Vor dem Hintergrund der russischen Bedrohung plant die EU eine Art Schengenraum für das Militär, um im Notfall schnell Soldaten und Gerät über EU-Grenzen hinweg verlegen zu können. «Je schneller wir Streitkräfte bewegen können, desto stärker sind unsere Abschreckung und Verteidigung», sagte die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas (48) am Mittwoch bei der Vorstellung des Massnahmenpakets in Brüssel. EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius (68) bezeichnete Geschwindigkeit als «Eckpfeiler der Kriegsführung».
Das Projekt soll es laut Kommission ermöglichen, «schneller, sicherer und besser koordiniert» Truppen und militärische Ausrüstung durch Europa zu bewegen. Demnach soll dieser militärische Mobilitätsraum bis 2027 geschaffen werden und ist Teil des EU-Plans, die Verteidigungsfähigkeit der EU bis 2030 massiv zu stärken.
Militärtransporte in der EU «problematisch»
Der Kommission zufolge soll es künftig eine Genehmigung für alle Grenzübergänge geben, mit einer maximalen Bearbeitungszeit von drei Tagen. Für den Kriegsfall soll ein Schnellverfahren eingeführt werden, das unter anderem bei Einsätzen im Kontext von Nato oder EU den vorrangigen Zugang des Militärs zu Infrastruktur beinhaltet und das Genehmigungsverfahren mit einer blossen Benachrichtigung ersetzt.
Bisher bedarf der Transport von Panzern und anderem schweren Gerät noch Genehmigungen jedes einzelnen Transitlandes – bei einigen kann dies bis zu 45 Tage dauern. Doch selbst mit diesen Genehmigungen müssen Militärkolonnen häufig lange Umwege fahren, um Strassen und Brücken zu meiden, die ihr Gewicht nicht tragen können. Vor einigen Monaten hatten EU-Prüfer gewarnt, dass Militärtransporte durch die EU «problematisch» seien. Ein Beispiel: Im Jahr 2022 hatte Frankreich Schwierigkeiten, Panzer nach Rumänien zu transportieren, nachdem Deutschland wegen des Gewichts die Nutzung seiner Strassen untersagt hatte.
Verstärkungskräfte aus Übersee nehmen Weg über Deutschland
Deutschland gilt aufgrund seiner geostrategischen Lage in der Mitte Europas im Ernstfall eines Konflikts mit Russland als eine logistische Drehscheibe für Truppen- und Materialtransporte Richtung Osteuropa. Gleiches gilt für Nachschub und Rücktransporte. Auch für Verstärkungskräfte aus den USA und Kanada oder britische Truppen fungiert Deutschland nach Angaben der Bundeswehr als erster Anlaufpunkt. Vergangene Woche hatten acht EU-Länder, darunter Deutschland, Polen und die Niederlande, bereits eine Absichtserklärung für einen militärischen Mobilitätsraum für das nördliche Mitteleuropa unterzeichnet.
Mit den nun von der Kommission vorgeschlagenen Massnahmen sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, zusammen mit der Kommission Routen für die Verlegung militärischer Ausrüstung und Truppen zu erarbeiten. Weiter sollen sie prüfen, inwiefern Strassen, Schienen, Tunnel oder Brücken die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Anhand dieser Routen sollen vier grenzübergreifende Korridore für Militärtransporte festgelegt werden. Nach Angaben von Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas (47) wurden bereits 500 Nadelöhre identifiziert, deren Beseitigung rund 100 Milliarden Euro (93 Milliarden Franken) kosten dürfte.
Massnahmen «dringend notwendig»
Der Kommission zufolge sind im nächsten mehrjährigen EU-Haushalt ab 2028 mehr als 17 Milliarden Euro für militärische Mobilität eingeplant. Bis dahin können laut Tzitzikostas Gelder aus dem EU-Kohäsionsfonds sowie dem EU-Verteidigungsfonds Safe und aus nationalen Haushalten genutzt werden. Die 22 EU-Länder, die auch Mitglieder der Nato sind, hatten sich im Juni beim Nato-Gipfel dazu verpflichtet, künftig 1,5 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für verteidigungsrelevante Ausgaben aufzubringen – etwa Infrastruktur.
Zu den Kommissionsplänen gehört auch der Schutz strategischer Infrastruktur sowie Investitionen in Cyber- und Energiesicherheit. Zudem soll mithilfe eines Fahrplans zum Umbau der Verteidigungsindustrie in der EU die Verteidigungsbereitschaft verbessert werden. So sollen etwa mit einem eine Milliarde schweren Fonds Investitionen in Verteidigungsunternehmen unterstützt und die Entwicklung neuer Technologien beschleunigt werden.
Die Kommission will ihren Vorschlag in der kommenden Woche im Europaparlament vorstellen und im Dezember mit den Mitgliedstaaten diskutieren. Die Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Angelika Niebler (62), nannte die Massnahmen «dringend notwendig». Europa brauche ein «militärisches Schengen, um unsere Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen».