Darum gehts
Gäbe es einen internationalen Preis für die «eindrücklichste Verwandlung des Jahres»: Man müsste ihn heuer dem syrischen Interimspräsidenten Ahmed al-Scharaa (42) überreichen. Ende 2024 noch stand er auf der US-amerikanischen Liste der Meistgesuchten – mit einem Kopfgeld von 10 Millionen Dollar. Am Montag sass er lächelnd im Oval Office vis-à-vis von Donald Trump (79), der ihn vor und nach dem Treffen über den grünen Klee lobte («attraktiver, starker Mann», «freue mich aufs nächste Treffen»).
Al-Scharaa hat eine lange Karriere als islamistischer Terrorist hinter sich, verbrachte fünf Jahre in einem US-Gefängnis im Irak und stürzte mit seinen Rebellen Anfang Jahr das Assad-Regime. Trump beeindruckt das. Für einen aber ist der syrisch-amerikanische Kuschelkurs ein Albtraum: Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu (75) muss der Atem stocken, wenn er sich die Bilder von Trump und seinem neuen Ex-Terroristen-Freund anschaut.
Dass al-Scharaa am Montag offiziell der von den USA angeführten Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) beigetreten ist und mit seiner Regierung hart gegen die Terrororganisation vorgeht, müsste Israels Regierungschef eigentlich gefallen. Bei Dutzenden Razzien am Wochenende verhaftete die syrische Polizei 71 mutmassliche IS-Terroristen. Auch dass al-Scharaa klargemacht hat, dass man keine iranischen Ableger im Land dulden werde, ist ganz nach dem Gusto Netanyahus.
Ein starkes, geeintes Syrien, wie es al-Scharaa mit Trumps Hilfe errichten will, wäre für Israel aber ein massiver Rückschlag. Israel mag seinen nordöstlichen Nachbarn zerstritten, paralysiert und abgelenkt. Nicht zuletzt, weil dann die Debatte über die 1967 annektierten, völkerrechtlich noch immer zu Syrien gehörenden Golanhöhen nicht wieder aufflammt.
Wiederaufbau kostet 216 Milliarden Dollar
Klar: Syrien ist weit davon entfernt, ein starkes, geeintes Land zu sein. Geschätzte 90 Prozent der Menschen leben nach 13 Jahren Bürgerkrieg in Armut. Immer wieder flammen blutige Kämpfe zwischen al-Scharaas sunnitischen Kräften und den Minderheiten im Land auf. Der Wiederaufbau des Landes dürfte laut der Weltbank rund 216 Milliarden Dollar kosten. Und ob al-Scharaa es wirklich schafft, die rund 70'000 kurdischen Kämpfer der Syrisch Demokratischen Kräfte in seine Armee zu integrieren, bleibt offen.
Ein erstarktes Syrien aber wäre in der Lage, den israelischen Aggressionen (seit Dezember 2024 flogen die Israelis mehr als 1000 Luftangriffe auf Ziele im Land) effektiver entgegenzutreten. Durch die guten Beziehungen, die al-Scharaa nach Washington und auch nach Moskau unterhält (erst im Oktober war er zu Besuch im Kreml), setzen Israel zusätzlich unter Druck, vorsichtig mit dem syrischen Nachbarn umzugehen.
Laut amerikanischen Medienberichten will Trump jetzt sogar US-Kampfjets in Syrien stationieren, um die Einhaltung eines möglichen Friedens zwischen den beiden zu überwachen – laut seiner Zählweise wäre das dann der elfte beendete Krieg in einem Jahr. Allzu gut siehts bezüglich dieses Friedens aber nicht aus. Nach dem Treffen in Washington sagte al-Scharaa mit Blick auf das nachbarschaftliche Verhältnis zu Israel: «Syrien hat eine Grenze zu Israel, und Israel besetzt seit 1967 die Golanhöhen. Wir werden derzeit keine direkten Verhandlungen aufnehmen.»
Bomben und Drei-Punkte-Körbe
Wie viel seiner einst anti-zionistischen, dschihadistischen Überzeugungen der einstige Al-Kaida-Terrorist abgelegt hat, ist nicht klar. Der Mann ist ein Verwandlungskünstler. Das zeigt nicht nur sein Namenswechsel (bis vor kurzem nannte er sich Abu Mohammed al-Golani), das zeigen auch seine zahlreichen Bündnisse und Brüche mit allen möglichen Organisationen in der Vergangenheit. Mal war er Al-Kaida-Bombenbauer im Irak, dann Nusra-Front-Chef in Syrien, dann Anführer einer breiten Rebellenorganisation gegen Assad.
Die jüngste Metamorphose hin zum salonfähigen arabischen Erneuerer hat al-Scharaa spätestens beim gemeinsamen Basketballspiel in Washington mit amerikanischen Top-Offizieren abgeschlossen. Mit dem einstigen Feind ein paar Bälle werfen und dabei – mit Hemd und Krawatte – auch noch Drei-Punkte-Würfe versenken: Das muss ihm erst mal einer nachmachen.
Vielleicht schafft er ja tatsächlich, woran seit der Staatsgründung 1946 alle anderen gescheitert sind: Syrien fair und friedlich zu einen. Es wäre ein arabisches Märchen. Für Israel allerdings durchaus heikel.