Trump trifft al-Scharaa – weshalb aus einem früheren Feind ein Freund wird
Der Dschihadist im Oval Office

Weg von der Terrorliste, zu Gast im Weissen Haus: Donald Trump lädt Syriens Übergangspräsident nach Washington ein. Ein historischer Moment – aber auch ein riskanter Deal zwischen Machtkalkül, geopolitischem Poker und moralischer Grenzüberschreitung.
Publiziert: 18:55 Uhr
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Aktualisiert: 18:57 Uhr
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Donald Trump empfängt Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa am Montag im Oval Office (hier bei einem früheren Treffen im Mai in Saudi-Arabien).
Foto: AP

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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Noch am Freitag stand er auf der Terrorliste, am Montag soll er US-Präsident Donald Trump (79) im Oval Office besuchen: Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa (43) reist nach Washington. Es ist der erste offizielle Besuch eines syrischen Staatschefs in Washington seit fast 80 Jahren – und ein politischer Drahtseilakt. Denn: Nun soll aus dem ehemaligen Dschihadisten ein politischer Partner werden.

Vom Terror-Kommandanten zum Staatsgast

Al-Scharaa steht wie kaum ein anderer für die Brüche in der Nahost-Ordnung. Er kämpfte im Irak gegen US-Truppen, führte später den syrischen Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front, dann die Miliz HTS – genau jene Kräfte, die im Dezember 2024 den Diktator Baschar al-Assad (60) stürzten. Elf Monate später sitzt dieser Mann nun im Oval Office.

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Ahmed al-Scharaa präsentiert sich als neuer Staatsmann Syriens. Doch seine Vergangenheit als Milizenführer bleibt sichtbar im Schatten seiner Macht.
Foto: AFP

Seine internationale Rehabilitierung begann kurz nach dem Fall Assads: Der UN-Sicherheitsrat hob Sanktionen auf, Washington strich ihn vergangene Woche von der Terrorliste. Seither präsentiert sich al-Scharaa als Staatsmann, spricht von Wahlen, Verfassung und nationaler Versöhnung. Kritiker fragen: echter Wandel oder taktische Maskerade?

Trumps grosser Plan im Nahen Osten

Für Donald Trump ist dieser Besuch mehr als ein diplomatisches Treffen. Er inszeniert sich als Architekt eines neuen Nahost-Gleichgewichts. Nach dem Motto: Amerika verhandelt wieder, statt Kriege zu führen. Mit al-Scharaa will er demonstrieren, dass selbst frühere Feinde zu Verbündeten werden können, wenn sie Washingtons Spiel mitspielen.

Hinter verschlossenen Türen geht es um viel: Syrien soll offiziell der US-geführten Anti-IS-Koalition beitreten, seine Geheimdienste stärker mit Washington kooperieren und sich geopolitisch von Iran, Hisbollah und Russland entfernen. Im Gegenzug winken Geld für den Wiederaufbau, die Wiederannäherung an den Westen – und internationale Legitimität.

Ausserdem planen die USA gemäss Diplomaten einen Militärstützpunkt in der Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dieser solle der «Koordination humanitärer Hilfe» und der «Beobachtung der Entwicklungen zwischen Syrien und Israel» dienen, wie es heisst.

Al-Scharaa braucht den Westen

Al-Scharaa wiederum braucht den Westen dringend. Syrien liegt nach 13 Jahren Bürgerkrieg in Trümmern, die Weltbank schätzt die Wiederaufbaukosten auf über 200 Milliarden Dollar. Russland bietet Schutz, aber kaum Kapital. Al-Scharaa reiste deshalb noch im Oktober nach Moskau zu Wladimir Putin (73) – ein Signal an Washington, dass Syrien Alternativen hat. Doch Putins Hilfe bleibt symbolisch, nicht finanziell. Die Golfstaaten geben Geld, aber keine Sicherheit. Die USA könnten beides liefern und gleichzeitig den Zugang zu internationalen Finanzinstitutionen öffnen.

Doch während sich al-Scharaa als Erneuerer präsentiert, trägt er innenpolitisch eine schwere Hypothek: In Alawiten-Gebieten wurden im Frühjahr über 1700 Zivilisten massakriert, in drusischen Regionen mehr als 1000 Menschen getötet. Kurdische Kräfte verweigern die Eingliederung ihrer Milizen in die neue Armee. Islamistische Hardliner beschuldigen al-Scharaa bereits des «Verrats an der Revolution». Seine Macht stützt sich auf Waffen und Loyalität der Milizen – nicht auf gesellschaftliche Einigung.

Israel als stiller Mitspieler

In diesem Geflecht spielt auch Israel eine Schlüsselrolle. Seit Assads Sturz kontrolliert Israel ein syrisches Grenzgebiet im Süden und bombardiert regelmässig iranische Stellungen. Washington versucht, diese explosive Lage zu entschärfen: Ein Sicherheitsarrangement zwischen Israel und Syrien, vermittelt durch die USA, wird hinter den Kulissen geprüft, wie «The Guardian» schreibt. Kein Frieden, aber eine Art Stillhalteabkommen – etwa über eine gemeinsame Überwachung am Hermon-Gebirge.

Für Israel wäre ein Syrien ohne iranische Milizen ein strategischer Gewinn. Für al-Scharaa wäre es der Preis für internationale Anerkennung. Doch er weiss: Zu viel Nähe zu den USA und zu Israel könnte ihn innenpolitisch den Kopf kosten.

Mehr Symbol als Lösung

Dieser Besuch ist also weniger Lösung als vielmehr Signal. Trump zeigt seinen Wählern, dass er Frieden schaffen kann, wo andere scheiterten. Al-Scharaa will der Welt – allen voran seinem Volk – beweisen, dass er mehr ist als ein Milizenboss, nämlich ein Staatschef mit internationalem Gewicht.

Doch hinter der Show steckt ein gefährliches Spiel: Wer einen Ex-Terroristen hofiert, verliert moralische Glaubwürdigkeit. Wer sich dem Westen nähert, riskiert den Hass der eigenen Hardliner. Und wer Stabilität verspricht, muss sie auch liefern – in einem Land, das noch immer zwischen Ruinen, Milizen und Misstrauen steht.

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