Darum gehts
Wenn uns 2025 etwas gelehrt hat, dann das: Nur Scharlatane wagen in unseren Zeiten noch präzise Prognosen. Alle anderen sehen ein: Die Welt dreht sich allzu wirr. Wer weiss da schon, welche Wende als Nächstes kommt?
Oder hättest du vor einem Jahr geglaubt, dass die USA 2025 den Iran bombardieren, Argentinien die Inflation in den Griff kriegt, die Hamas alle israelischen Geiseln freilässt, ein Amerikaner zum Papst gewählt wird und Donald Trump (79) den Ostflügel des Weissen Hauses einreissen lässt? Sagen, was kommt, lässt sich nicht. Wir würden dennoch darauf wetten, dass mindestens fünf unserer sieben Thesen für 2026 eintreffen werden.
Die amerikanischen Zwischenwahlen stehen an (3. November). Und für Trumps Partei wird der wichtigste Termin im neuen Jahr zur Zitterpartie. Die Demokraten scheinen mit ihrem Ruf nach «Affordability» («Bezahlbarkeit») endlich eine griffige politische Botschaft gefunden zu haben – New Yorks neuem Bürgermeister Zohran Mamdani (34) sei dank. Und im «Make America Great Again»-Lager zeigen sich erste Brüche.
Die Monstergeschichte rund um den Serienvergewaltiger Jeffrey Epstein (†66) spaltet die Republikaner genauso sehr wie die Frage, ob Trumps Strafzölle nun Fluch sind oder Segen. Verliert die Partei bei den Zwischenwahlen das Repräsentantenhaus (grosse Kammer), dürfte die demokratische Mehrheit ein neues Amtsenthebungsverfahren gegen Trump einleiten. Dass zwei Drittel des Senats (der kleinen Kammer) im sogenannten «Impeachment»-Prozess Trump danach des Amtes entheben würden, ist nicht mehr völlig undenkbar.
Unseren nördlichen Nachbarn steht ein Superwahljahr bevor. Fünf Bundesländer rufen ihre Wahlbürger an die Urnen, mehr als die Hälfte der Deutschen sind zur Stimmabgabe aufgefordert. Zwei Bundesländer (Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt) werden ab 2026 aller Voraussicht nach von AfD-Regierungschefs regiert.
Obwohl Kanzler Friedrich Merz (70) weiterhin an der «Brandmauer» festhalten will und damit jegliche politische Zusammenarbeit mit der Rechtspartei ausschliesst: Spätestens, wenn die Alternative für Deutschland ganze Bundesländer regiert und sich die Partei in nationalen Umfragen auf mindestens 25 Prozent halten kann, wird sich Rest-Deutschland fragen müssen, ob man wirklich einen Viertel der Bevölkerung kategorisch von allen Debatten ausschliessen soll.
Mitte 2026 soll der neue EU-Migrations- und Asylpakt in Kraft treten. Er sieht unter anderem vor, dass Migranten mit wenig Aussicht auf Asyl an der EU-Aussengrenze in Lagern auf ihren Asylentscheid warten müssen und gar nicht erst in den Schengenraum einreisen dürfen. Davon betroffen wären Flüchtlinge aus Ländern, aus denen weniger als 20 Prozent der Menschen glaubhafte Asylgründe vorweisen können, also unter anderem Tunesier, Marokkaner und Türken. Weiterhin einreisen dürften minderjährige Asylbewerber.
Diese signifikante Verschärfung des Asylrechts wird von Nichtregierungsorganisationen scharf kritisiert, von Rechtsparteien hingegen sehr begrüsst. Die Asylzahlen dürften 2026 weiter sinken. Schon 2025 fielen sie europaweit um fast einen Viertel (23 Prozent). Mit den sinkenden Zahlen sinkt auch die politische Brisanz.
Wladimir Putin (73) hat sich mit seiner jüngsten Schauergeschichte um einen vermeintlichen ukrainischen Angriff auf seine Privatresidenz (Kiew bestreitet das) eine neue Ausrede geschaffen, bei den laufenden Verhandlungen keinen Millimeter weit auf sein Opfer zuzugehen. Stattdessen weist er seine Generäle Ende Jahr an, die Grossstadt Saporischschja einzunehmen. Bei der «Militärischen Spezialoperation» laufe alles rund.
Wolodimir Selenski (47) bleibt sichtlich bemüht, Trump auf die ukrainische Seite zu ziehen. Der US-Präsident aber ist Putin weiterhin hörig, wie seine Reaktion auf die Telefonate mit dem Kreml-Chef diese Woche zeigten. Die halbbatzigen US-Versuche, Putin an den Verhandlungstisch zu holen, werden nicht ausreichen. Die Europäer alleine sind (noch) zu schwach, um Putin richtig unter Druck zu setzen. Und weder die Ukrainer noch die Russen sind mit ihren militärischen Mitteln am Ende. Die Aussicht auf eine Einstellung der brutalen Kampfhandlungen sind so schlecht wie eh und je.
Xi Jinping (72) liess seine Volksarmee das Jahr mit einer grossen Militärübung unter dem Motto «Gerechtigkeitsmission 2025» abschliessen. Die Chinesen schossen Raketen in die Meeresenge zwischen dem Festland und der Insel Taiwan. Taiwans Verteidigungsministerium sichtete mindestens 130 chinesische Kampfjets und vier Kriegsschiffe in der Nähe seines Hoheitsgebietes.
Doch trotz dieser neuen Provokationen: Peking wird auch 2026 keinen Angriff auf Taiwan wagen. Zu gut läufts für das Riesenreich momentan (zerstrittener Westen, abhängige Russen, innere Stabilität). Mit einem Angriff auf Taiwan würde man das unnötig gefährden. Für die USA ist der Inselstaat wegen seiner weltweit führenden Halbleiterproduktion von strategischer Bedeutung. Warum sollte sich Xi jetzt mit den Amerikanern anlegen?
Die «untere Hälfte der Welt» (geografisch und ökonomisch) erleidet dasselbe Schicksal wie der Klimawandel: Sie geht vergessen. Weder mit dem Klima (die Welt ist nicht auf Kurs, die Ziele aus dem Abkommen von Paris zu erreichen) noch mit Entwicklungshilfe lassen sich derzeit Herzen, geschweige denn Wahlen gewinnen.
Das Leid bleibt riesig. Im Sudan hungern fast 20 Millionen Menschen wegen des anhaltenden Bürgerkriegs. In Äthiopien droht der blutige Krieg zwischen Regierungstruppen und den Tigray-Kämpfern im Norden erneut auszubrechen. Haitis Hauptstadt wird von mordenden Gangs kontrolliert. In Myanmar leiden Millionen weiter unter dem Militärregime. Der Wegfall der amerikanischen Entwicklungsgelder (Trump liess das Budget von USAID zusammenstreichen) macht die Krisen nur noch schlimmer. Sie werden auch 2026 weitestgehend ausserhalb unserer Wahrnehmung stattfinden.
Gaza wird sich auch 2026 nicht erholen. 70'000 Menschen wurden im engen Küstenstreifen getötet. 90 Prozent haben ihr Obdach verloren. Das Sterben geht auch nach dem fragilen Waffenstillstand zwischen den Hamas-Terroristen und Israel weiter. Und drüben im Westjordanland machen aggressive Siedler und neue illegale Bauprojekte der Israelis den Palästinensern das Leben schwer. Trotz all dem wettet Benjamin Netanyahu (76) darauf, die Wahlen (spätestens im Oktober 2026) erneut zu gewinnen.
Andernorts aber macht sich Hoffnung breit. Syrien – vom «Economist» zum Land des Jahres 2025 gewählt worden – hat unter der Führung des geläuterten Ex-Al-Kaida-Kommandanten Ahmed al-Scharaa (43) den Horror des Assad-Regimes abgeschüttelt. Baschar al-Assad (60), der sein Volk einst mit Chemiewaffen drangsalierte, schmort im russischen Exil. Al-Scharaa ist bemüht, internationale Allianzen zu schmieden. Viele Sanktionen sind bereits beseitigt, 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge nach Hause zurückgekehrt. Syrien macht – trotz gewaltsamen Rückfällen wie jenen bei den Massakern an den Drusen und den Alewiten 2025 – Hoffnung, dass verlorengeglaubte Länder die Kurve kriegen können.