Brandmauer bröckelt
Deutsche Wirtschaft hat keine Angst mehr vor der AfD

Ein mächtiger Wirtschaftsverband lädt Vertreter der Rechtspartei zu einem Netzwerk-Anlass in der Hauptstadt ein. Das schreckt Deutschland auf – und bringt den angeschlagenen Bundeskanzler massiv unter Druck.
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Die Brandmauer zwischen der AfD und den anderen deutschen Parteien bröckelt.
Foto: IMAGO/Andreas Franke

Darum gehts

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Das Brandmauer-Gespenst geht wieder um in Deutschland – wegen einer umstrittenen Einladung eines mächtigen Wirtschaftsverbandes. Zur Erinnerung: Die «Brandmauer» haben Deutschlands Volksparteien zwischen sich und der rechtsradikalen AfD errichtet. Zur Abgrenzung und zur Selbstversicherung, dass man mit der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Vereinigung nichts, aber auch gar nichts gemein habe.

Jetzt plötzlich bröckelt die Brandmauer. Der Verband der Familienunternehmer, der 6500 mittelständische Firmen bis hin zu den Wirtschaftsriesen BMW und Oetker vertritt, hat den Hammer ausgepackt und an heikler Stelle auf die Mauer eingedrescht. Erstmals überhaupt hat der Verband zu einem Anlass Vertreter der AfD eingeladen und damit das «Kontaktverbot» mit der Rechtspartei ad acta gelegt. Tönt aus Schweizer Sicht harmlos (hierzulande kennen wir keine Brandmauern). Ist für Deutschland aber: ein Grund für hellen Aufruhr.

Im Oktober organisierte der Verband einen Netzwerkanlass in Berlin, an den man nebst Wirtschaftsvertretern Politiker aller Couleur – auch der «blauen» AfD – eingeladen hatte. Von den fünf geladenen AfDlern ist einer tatsächlich gekommen: Leif-Erik Holm (55), wirtschaftspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion.

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Friedrich Merz (Mi.) und sein Vize Lars Klingbeil (l.) wollen immer noch nicht mit Alice Weidel reden.
Foto: keystone-sda.ch

Seine Partei ist laut der neuesten Erhebung des Umfrageinstituts Forsa die beliebteste in Deutschland: 26 Prozent der Deutschen würden sie wählen (die CDU/CSU kommt auf 25 Prozent, die SPD auf 14 Prozent, die Grünen auf 12 Prozent). Mit ihr sprechen aber ist nach wie vor ein Tabu. Kanzler Merz hat gerade wieder öffentlich betont: «Es gibt zwischen uns und der AfD keine Gemeinsamkeiten.»

Drei Gründe für das AfD-Hoch

Den deutschen Familienunternehmern ist die Devise des Kanzlers offenkundig egal. Albrecht von der Hagen, Geschäftsführer des Verbands der Familienunternehmer, erklärte gegenüber dem Online-Medium «The Pioneer»: «Diese Brandmauer zur AfD hat nichts gebracht. Das Konzept, die AfD von allem auszuschliessen, ist gescheitert. Wir verabschieden uns von den Brandmauern.»

Das freut AfD-Chefin Alice Weidel (46), die eben im Bundestag ihren Zwölf-Punkte-Plan für die deutsche Wirtschaft vorgestellt hat (unter anderem Wiedereinstieg in die Atomkraft, keine Subventionen für Solar- und Windkraft, keine Rundfunkgebühren). Für die Öffnung der Wirtschaft zur AfD gibt es drei Hauptgründe:

1

Wegfall der FDP

Alice Weidel sagt zu «The Pioneer», viele Wirtschaftsvertreter hätten ihre Hoffnung einst auf die inzwischen aus dem Bundestag abgewählt FDP gesetzt. «In diese Lücke stossen wir hinein.» Bei den Bundestagswahlen 2025 wanderten fast 900'000 Wähler von der FDP zur AfD über.

2

Merz-Kurs der CDU

Der Regierungsbeschluss, 500 Milliarden Sondervermögen für Infrastruktur- und Klimaschutzprojekte zu sprechen und die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben aufzulösen, hat fiskalkonservative Wählende aufgeschreckt. Dass der Rat der Wirtschaftsweisen, ein fünfköpfiges Expertengremium, der Merz-Regierung jetzt auch noch attestiert, unwirtschaftlich mit dem riesigen Extra-Batzen umzugehen, macht die Vertrauenskrise noch schlimmer.

3

Deutschlands Wirtschaftskrise

Auch im dritten Quartal des laufenden Jahres ist die deutsche Wirtschaft nicht spürbar gewachsen. Die Arbeitslosenquote liegt bei 6,2 Prozent (zum Vergleich: In der Schweiz haben 2,9 Prozent keinen Job). Sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) mahnt Deutschland, «wachstumsfördernde Reformen» einzuleiten. Da wirken die Vorschläge der AfD bei vielen wie ein hoffnungsvoller Neustart.

AfD-regierte Stadt als bundesweites Vorbild?

Bislang aber, sagt Weidel, finde der Zuspruch aus der Wirtschaft für die AfD noch «überwiegend unter der Hand» statt. Das könnte sich mit der jetzt wieder aufgeflammten Brandmauer-Debatte ändern. Ausserhalb Berlins ist das Verständnis für das Festhalten an der Abschottungsidee sowieso längst verschwunden.

Blick war kurz vor den Bundestagswahlen im Februar in Raguhn-Jessnitz, der ersten AfD-regierten Stadt in Deutschland. Auf die Brandmauer-Debatte angesprochen, sagte AfD-Bürgermeister Hannes Loth (44) damals: «Nö, gibts hier keine.» Die nationale Politik denke in Legislaturperioden. «Wir aber teilen ein Schicksal, wir leben alle in derselben Stadt. Wir planen unser Zusammenleben weit über die nächsten Wahlen hinaus.» Da brauche es Pragmatismus, keine Brandmauern. Diese Erkenntnis setzt sich offenbar auch bei der deutschen Wirtschaft allmählich durch.

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