Beisst Putin jetzt endlich an?
So schmerzhaft sind Selenskis neue Zugeständnisse

Der neue 20-Punkte-Plan, mit dem die Ukrainer in die nächste Verhandlungsrund gehen, enthält drei heftige Kompromisse, zu denen sich Kiew durchringen konnte. Mindestens eines davon dürfte Putin persönlich entlasten. Ob Moskau mitzieht, wird sich bald zeigen.
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Es bleibt äusserst fraglich, ob Selenski mit seinem neuen 20-Punkte-Plan durchkommen und endlich einen Waffenstillstand erreichen wird.
Foto: Getty Images

Darum gehts

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Am Sonntag packt Wolodimir Selenski (47) erneut seinen Koffer und macht sich auf ins sommerlich warme Florida. Mit im Gepäck hat er den nach ukrainischem Gusto überarbeiteten 20-Punkte-Plan, den er Donald Trump (79) in dessen Residenz Mar-a-Lago schmackhaft machen will.

Der neue Plan soll der letzte, der alles klärende Vorschlag für einen Frieden in der Ukraine sein. Den Entwurf, den die Ukraine bereits mit Trumps Gesandten Steve Witkoff (68) und Jared Kushner (44) vorbesprochen hatte, enthält für die Ukraine schmerzhafte Zugeständnisse. Besonders drei Punkte tun Selenski und seiner Regierung richtig, richtig weh.

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Nato-Ambitionen sind vom Tisch

Ein rascher Nato-Beitritt war Kiews zentrales Ziel. Im 20-Punkte-Plan wird der Wunsch nach einer Aufnahme in das Verteidigungsbündnis nicht einmal mehr erwähnt. Neuerdings geben sich die Ukrainer mit «Artikel-5-artigen» Sicherheitsgarantien zufrieden. Will heissen: Sobald Russland das Land erneut angreift, sollen internationale Partner der Ukraine militärisch zu Hilfe eilen.

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Wolodimir Selenski ist zu schmerzhaften Kompromissen bereit.
Foto: AFP

Ob das auch ohne Nato-Zugehörigkeit klappen würde, ist fraglich. Die Ukraine hat bislang nur negative Erfahrungen gemacht mit «Sicherheitsgarantien» als Nicht-Nato-Mitglied. Etwa bei der Unterzeichnung des Budapester Memorandums 1994. Damals gab Kiew sein Atomwaffenarsenal an die Russen ab – im Austausch für das Versprechen, bei einem Angriff mit militärischer Unterstützung von den USA rechnen zu dürfen.

Zwei Hintertürchen aber hält sich die Ukraine offen. Erstens: Den EU-Beitritt will man nach wie vor so rasch wie möglich realisieren. Und auch im EU-Vertrag gibt es eine Klausel (Artikel 42.7), die besagt, dass die Mitgliedsländer einander zur Hilfe eilen sollen, sobald eines von ihnen angegriffen wird. Und zweitens: Einen expliziten Verzicht auf einen Nato-Beitritt, wie ihn die Ukraine laut dem russisch-amerikanischen 28-Punkte-Plan noch Anfang Monat hätte unterzeichnen sollen, findet man im neuen Selenski-Plan nicht. 

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Soldaten raus aus dem Donbass

Noch vor wenigen Tagen bezeichnete Selenski die Idee, die ukrainischen Soldaten aus dem Donbass abzuziehen und eine «entmilitarisierte Zone» entlang der Front zu errichten, als absurd. Jetzt aber soll genau das – eine Wirtschaftssonderzone ohne Militärpräsenz – im Donbass realisiert werden. Die Ukraine wäre bereit, ihre Soldaten fünf, zehn oder auch vierzig Kilometer zurückzuziehen – falls Russland denselben Schritt auf der anderen Seite der Front ebenfalls macht. 

Den Donbass mit seinen noch immer ukrainisch kontrollierten Festungsstädten Slowjansk und Kramatorsk aufgeben würde die Ukraine damit zwar nicht. Der freiwillige Rückzug der Truppen, die sich seit bald vier Jahren gegen den vollen russischen Angriff stemmen, weicht allerdings frappant von der noch vor kurzem gestellten Forderung ab, die Russen müssten sich aus allen ukrainischen Territorien zurückziehen.

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Kein Kriegsverbrechertribunal

Nach all den mutmasslichen Kriegsverbrechen, die Wladimir Putin (73) als Oberbefehlshaber der russischen Armee in der Ukraine zu verantworten hat, ist es mehr als verständlich, dass die Ukraine ihn vor Gericht sehen will. Wegen der Entführung Tausender ukrainischer Kinder nach Russland ist Putin seit März 2023 international zur Verhaftung ausgeschrieben. Die Einrichtung eines Sondertribunals, vor das man den Kreml-Herrscher einst stellen könnte, war eine der zentralen Forderungen der Ukraine in allen bisherigen Friedensplänen.

Im neuen 20-Punkte-Plan kommt sie nicht mehr vor. Kein Sondertribunal, kein Prozess für Putin. Das zeigt, wie ernst es Kiew mit dem Entwurf ist. Logisch, dass Putin nicht mitgemacht hätte, wenn er dadurch sozusagen seine eigene Verurteilung hätte absegnen müssen.

Dass all die Verbrechen ungesühnt bleiben sollen, ist nicht nur für Selenski schmerzhaft, sondern auch für all die Hunderttausenden ukrainischen Familien, die in diesem Krieg ihre Heimat und ihre Angehörigen verloren haben.

Fazit: Sollte Trump das Ansinnen absegnen und auch Putin ihm zustimmen, träte in der Ukraine ein Waffenstillstand mit sofortiger Wirkung ein. Der Krieg käme nach fast vier Jahren zu einem vorläufigen Ende. Das sähe nicht so aus, wie es sich die Ukraine und ihre Unterstützer gewünscht haben. Aber es wäre ein Durchbruch von historischer Bedeutung. Leider aber deutet vieles darauf hin, dass auch dieser Vorschlag an Moskaus perfidem Widerstand zerschellen wird – wie all die anderen Pläne, die Putins blutiger Kriegslust zum Opfer gefallen sind.

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