2'637'334 Fragen für TV-Show
Putin schockt mit Aussage über die Opfer seines Krieges

Der Kreml-Chef hat Durchhaltevermögen: Das bewies er während seiner viereinhalbstündigen Propagandashow. Der Auftritt war gespickt mit höhnischen Beleidigungen und ein paar skurrilen Szenen.
Kommentieren
Zu erzählen hatte Wladimir Putin viel: über angebliche Nazis in der Ukraine, seine Unschuld an den zivilen Opfern und seine grossen Pläne für russische Familien.
Foto: Getty Images

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
RMS_Portrait_AUTOR_823.JPG
Samuel SchumacherAusland-Reporter

Jedes Jahr zur Weihnachtszeit lädt Wladimir Putin (73) sein Volk zur nationalen Märchenstunde. Die Kreml-Propagandashow gilt als guter Indikator dafür, wie sehr der Staatslenker selbst Opfer seines eigenen Lügen-Apparats ist.

Die viereinhalbstündige Show aus einem St. Petersburger Einkaufszentrum am Freitagnachmittag zeigte: Putin ist komplett in die Parallelrealität abgedriftet. 2'637'334 Fragen hatten seine Mitbürger bis zum Start der Sendung eingereicht. Immerhin wissen wir jetzt, dass der 73-Jährige spät zu Bett geht, gerne Fisch isst und offenbar frisch verliebt ist. Der Wahrheit allerdings gilt seine Liebe nicht. An Fakten vergeht sich der russische Präsident mindestens ebenso rücksichtslos wie seine Armee sich an der ukrainischen Zivilbevölkerung.

Krieg

Seinen Angriffskrieg gegen das Nachbarland bezeichnet Putin hartnäckig als «Militärische Spezialoperation» und als «Kampf gegen die Nazis». «Wir sind nicht verantwortlich für den Tod dieser Menschen», höhnte er mit Blick auf die hohe zivile Opferzahl in der Ukraine. Das habe sich das «Kiewer Regime» selbst zuzuschreiben, das 2014 einen Krieg gegen die russische Bevölkerung im Donbass losgetreten habe.

Die russischen Truppen kämen «auf der ganzen Frontlinie» voran, behauptete Putin. Dass sie 2025 trotz Hunderttausenden Toten und Verletzten gerade mal 0,77 Prozent des Donbass einnehmen konnten, liess er gekonnt aus.

1/7
Wladimir Putin hat seinem Volk am Freitagnachmittag viereinhalb Stunden lang die Welt erklärt.
Foto: keystone-sda.ch

Nato

Vor der fürchtet sich Putin offenkundig nicht. Nato-Chef Mark Rutte (58), der jüngst gesagt hatte, die Nato sei das nächste Ziel der Russen, brachte Putin in Rage. Die nationale Sicherheitsstrategie der USA, des wichtigsten Nato-Landes, führe Moskau nicht einmal als Gegner auf. Wie könne es da zu einem Angriff kommen? «Kannst du überhaupt lesen?», warf Putin Nato-Chef Rutte an den Kopf.

Natürlich sass Rutte selbst nicht im Publikum. Da sassen nur auserlesene Anhänger, gespickt mit ein paar westlichen Journalisten. BBC-Korrespondent Steve Rosenberg (57) zum Beispiel, der von Putin wissen wollte, ob er in Zukunft weitere «Spezialoperationen» plane. «Nicht, wenn ihr uns respektiert», sagt Putin. Nicht sehr beruhigend.

Verhandlungen

Da liege der Ball beim Westen, sagte Putin zwischen seinen auffällig vielen Hust- und Räusperanfällen. Beim August-Gipfel in Alaska habe er vielen von Donald Trumps (79) Bedingungen zugestimmt. Jetzt müsse der Westen sich bewegen, meinte Putin. Zur Erinnerung: Eine gemeinsame Alaska-Abschlusserklärung gibt es nicht. Was auch immer Putin da zugestimmt hat, bleibt ein Rätsel. Glasklar ist: Er ist der einzige Mensch der Welt, der diesen Krieg hier und heute beenden könnte. Eine Absicht, das bald zu tun, ist nicht zu erkennen.

Immerhin: Wenn die Ukraine Neuwahlen durchführen lassen würde (was sie laut ihrer Verfassung im Krieg nicht kann), wäre er bereit, seinen Terror für 24 Stunden zu stoppen.

Selenski

Angesprochen auf den mutigen Front-Ausflug von Wolodimir Selenski (47), der vor wenigen Tagen in die vermeintlich von Russland besetzte Stadt Kupiansk gereist ist und gerade mal knapp zwei Kilomenter von den russischen Soldaten entfernt eine Videobotschaft aufgenommen hat, sagte Putin: «Er ist ein guter Schauspieler. Aber: Warum bleibst du an der Schwelle stehen? Komm doch rein!» Zur Erinnerung: Putin ist kein einziges Mal in unmittelbare Frontnähe gereist, seit er die Ukraine am 24. Februar 2022 brutal überfallen liess.

«Komm in die Stadt, falls ihr Kupjansk kontrolliert»
0:35
Putin zieht über Selenski her:«Komm in die Stadt, falls ihr Kupjansk kontrolliert»

Innenpolitik

Natürlich äusserte sich Putin auch zu allen möglichen innerrussischen Problemen: zu Telefon-Betrügern («Hängen Sie auf!»), zu ausbleibenden Kompensationszahlungen für Hinterbliebene von Kriegsveteranen («Sorry, kommen!»), zur vermeintlichen Bedrohung durch den Kometen 3I/Atlas («Der fliegt vorbei!») und natürlich zur Familienpolitik («Ab 2026 gibts neue Unterstützungsgelder»). Russlands Geburtenrate ist auf 1,45 Kinder pro Frau gesunken. Nicht gut, aber immer noch besser als die rekordtiefe Geburtenrate von 1,29 Kindern pro Frau, mit der sich die Schweizer Politik bald befassen muss.

Fazit

Verantwortung für seinen Terror will der Kreml-Herrscher naturgemäss keine übernehmen. Die anderen sind schuld! Der Wahrheit schaut er ungern ins Gesicht. Die wirtschaftliche Stagnation, die inzwischen auch seine eigenen Top-Banker erkennen, die Hunderttausenden Toten und Verletzten, die erfolgreichen ukrainischen Schläge gegen Tanker und Öl-Raffinerien: Dafür war kein Platz in der grellen Welt der Putin-Show.

Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen