Darum gehts
Mar-a-Lago ist an diesem Montag mehr als nur Kulisse. Wenn Benjamin Netanyahu dort ab 21.30 Uhr Schweizer Zeit auf Donald Trump trifft, verdichten sich Monate geopolitischer Spannungen zu einem einzigen Termin. Offiziell geht es um die Zukunft Gazas. Inoffiziell um die Frage, ob der Nahe Osten in eine neue Phase der Stabilisierung tritt – oder in die nächste Eskalationsspirale rutscht.
Wachsende Ungeduld in Washington
Der Waffenstillstand im Gazastreifen, der im Oktober den mehr als zweijährigen Krieg vorerst stoppte, wirkt brüchig. Die erste Phase wurde weitgehend umgesetzt: Israels Armee zog sich aus Teilen Gazas zurück, die Hamas liess Geiseln frei. Doch seitdem hängt der Prozess fest. Die zweite Phase von Trumps Friedensplan – die eine palästinensische Technokratenregierung, eine internationale Stabilisierungstruppe und eine schrittweise Entwaffnung der Milizen vorsieht – kommt nicht voran. In Washington wächst der Eindruck, dass genau das kein Zufall ist.
Im Weissen Haus ist die Frustration über Netanyahu gemäss Axios deutlich spürbar. Trumps Berater drängen darauf, die zweite Phase des Gaza-Plans rasch umzusetzen: mit einer palästinensischen Technokratenregierung, einer internationalen Stabilisierungstruppe und klaren humanitären Erleichterungen. Netanyahu hingegen zeigt sich skeptisch gegenüber genau diesen Elementen. Er lehnt eine schnelle Machtübergabe in Gaza ab, warnt vor einer internationalen Rolle von Katar und der Türkei und pocht darauf, dass Israel die Kontrolle behält. Aus amerikanischer Sicht untergräbt dieses Zögern den eigenen Plan – und erhöht das Risiko, dass die fragile Waffenruhe kollabiert.
Netanyahus Blick auf die Region
Netanyahu widerspricht dieser Lesart. Sein Fokus liegt weniger auf Wiederaufbau als auf Abschreckung. Für ihn spielt Gaza nur eine kleine Rolle im grossen regionalen Konflikt.
Sein Blick richtet sich auf den Iran. Israelische Sicherheitskreise warnen, Teheran arbeite daran, sein Raketenarsenal und sein Atomprogramm nach jüngsten Rückschlägen rasch wieder hochzufahren. Netanyahu will Trump davon überzeugen, dass zu viel Diplomatie und zu wenig Druck genau das falsche Signal seien.
Damit trifft er einen wunden Punkt. Trump steht zwischen zwei Polen. Seine aussenpolitischen Berater drängen auf Stabilisierung, internationale Einbindung und sichtbare Fortschritte, um den Gaza-Plan politisch abzusichern. Trump selbst aber ist bekannt dafür, Entscheidungen weniger nach Papieren als nach Instinkt zu treffen. Netanyahu setzt genau dort an. Sein Ziel ist nicht, das Weisse Haus zu überzeugen, ihn auch bei einem weiteren Konflikt zu unterstützen, sondern den Präsidenten persönlich – auch gegen den Widerstand seines Umfelds.
Wahlkampf im Hintergrund
Hinzu kommt Netanyahus innenpolitische Lage. Spätestens in zehn Monaten drohen Neuwahlen. Umfragen sehen seine Koalition aktuell unter der Mehrheitsschwelle. Viele Israelis machen ihn mitverantwortlich für die sicherheitspolitischen Versäumnisse vor dem Hamas-Angriff vom Oktober 2023. Ein demonstrativ enges Verhältnis zu Trump, der in Israel weiterhin hohes Ansehen geniesst, kann im Wahlkampf entscheidend sein. Schon früher nutzte Netanyahu amerikanische Rückendeckung und symbolische Gesten Trumps, um sich als unverzichtbaren Staatsmann zu inszenieren.
Trump wiederum verfolgt eigene Interessen. Er will Anfang 2026, also sehr bald, grosse Ankündigungen zu Gaza machen, möglichst mit internationaler Wirkung, so Axios. Ein offener Bruch mit Netanyahu würde die amerikanischen Pläne für Gaza gefährden. Gleichzeitig weiss der US-Präsident, dass ein weiterer Krieg – sei es in Gaza, im Libanon oder gar gegen Iran – seine Rolle als selbst ernannter Deal-Maker und Friedensstifter massiv untergraben würde.
Entscheidung mit Folgen
Was ist konkret zu erwarten? Öffentlich dürfte das Treffen harmonisch verlaufen. Trump wird Netanyahu als engen Partner loben, Netanyahu Trump als Israels wichtigsten Verbündeten darstellen. Hinter verschlossenen Türen aber wird Trump wohl Druck machen. Seine Berater drängen darauf, dass der israelische Premier zumindest minimale Fortschritte für den Gazastreifen zusagt: weniger militärische Interventionen, mehr humanitäre Erleichterungen, keine Alleingänge, die die Waffenruhe sprengen.
Ob Trump diesen Druck auch durchhält, ist offen. Netanyahu setzt darauf, dass der US-Präsident letztlich instinktiv entscheidet – und sich von sicherheitspolitischen Worst-Case-Szenarien beeindrucken lässt. Im Extremfall könnte Mar-a-Lago damit nicht zum Beginn der zweiten Phase des Gaza-Friedensplans werden, sondern zur politischen Startrampe für neue israelische Militärschläge.