Attacke auf Krim-Brücke und Aktion «Spinnennetz» gegen Russen-Bomber
Wie die Ukraine die Regeln des Kriegs neu schreibt

Die Operation «Spinnennetz» erregt Aufsehen. Beim Drohnenangriff der Ukraine auf vier russische Militärflugplätze vom Sonntag wurden bis zu 40 atomwaffenfähige Bomber beschädigt oder zerstört. Blick erklärt, wie die Aktion die moderne Kriegsführung verändern wird.
Publiziert: 03.06.2025 um 20:06 Uhr
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Aktualisiert: 04.06.2025 um 11:40 Uhr
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In diesem Bild des russischen Verteidigungsministeriums bereitet sich ein strategischer Tu-95-Bomber der russischen Luftwaffe auf den Start vor (24. Januar 2022).
Foto: keystone-sda.ch

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Daniel JungRedaktor News

Geplant, gesprengt: Nach monatelanger Vorbereitung gelang es den Ukrainern am Dienstag, die Krim-Brücke mit Sprengstoff zu attackieren. Nicht die erste von langer Hand geplante Aktion: Über mehr als 18 Monate hinweg schmuggelte die Ukraine Hunderte von Drohnen tief nach Russland hinein. Sie wurden in Boxen versteckt und auf zivile Lastwagen verladen. Die Klappen dieser Boxen wurden aus der Ukraine ferngesteuert. Sie öffneten sich am Sonntag und die Drohnen starteten. Die Ziele auf russischen Militärflugplätzen wurden vom ukrainischen Geheimdienst sorgfältig ausgewählt. Bei der Operation waren keine zivilen Opfer zu beklagen.

Nach ukrainischen Angaben wurden beim Angriff über 40 Flugzeuge beschädigt oder zerstört, wobei diese Zahl nicht bestätigt ist. In jedem Fall sind dies spektakuläre Aktionen – und schwere Rückschläge für Moskau. Und sie dürfte die Kriegsführung weltweit revolutionieren.

Enorme Kreativität

Der französische Publizist Bernard-Henri Lévy (76) vergleicht die Operation «Spinnennetz» mit dem israelischen Pager-Angriff vom September 2024, bei dem Israel fast alle aktiven Kräfte der Hisbollah eliminiert hat. Im «Wall Street Journal» schreibt er: «Es ist eine jener Operationen von verrückter Kühnheit und beispiellosem Einfallsreichtum, die in die Militärgeschichte eingehen. Sie wird noch lange in den Kriegsschulen gelehrt werden.»

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Nach monatelanger Vorbereitung gelang es den Ukrainern am Dienstag, die Krim-Brücke mit Sprengstoff zu attackieren.
Foto: Screenshot

Der amerikanische Historiker Max Boot (55) vergleicht die ukrainische Aktion mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Jahr 1941. Damals gelang es den Japanern, 328 amerikanische Flugzeuge und 19 Schiffe der US-Navy zu beschädigen oder zu zerstören. «Der Angriff auf Pearl Harbor signalisierte den Aufstieg der Flugzeugträger zur dominierenden Kraft in der Seekriegsführung», schreibt Boot. Auch der Überraschungsangriff der Ukraine ändere die Regeln der Kriegsführung.

Geduldige Geheimplanung

Die Operation «Spinnennetz» wurde über 18 Monate unter strengster Geheimhaltung vorbereitet, unter der Leitung von Geheimdienst-Chef Wassyl Maljuk (42). Die präzise Zielauswahl – strategische Bomber wie Tu-95MS, Tu-22M3 – und die innovative Nutzung von Drohnen zeigen grosse geheimdienstliche Raffinesse.

Auch der Sprengstoff-Angriff auf die Krim-Brücke vom Dienstag zeigt erneut, wie wichtig der ukrainische Geheimdienst SBU ist. Diese neue Operation verlangte ebenfalls mehrere Monate an Planung. Um 4.44 Uhr morgens wurde der erste Sprengsatz an der Brücke gezündet, welche die annektierte Halbinsel mit Russland verbindet. Dabei kamen gemäss dem Geheimdienst über 1000 Kilo TNT zum Einsatz. «Faktisch ist die Brücke einsturzgefährdet», liess der Geheimdienst verlauten. Zivilisten seien keine verletzt worden.

Mit diesen zwei Geheimdienstoperationen in kurzer Zeit zeigt die Ukraine, dass sie im Krieg durchaus noch starke Karten in der Hand hat – im Gegensatz zur Aussage vom Donald Trump (78) im Februar beim Eklat im Weissen Haus.

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Riesige Reichweite

Mit dem Angriff auf die russischen Militärflugplätze zeigt die Ukraine, wie tief sie getarnt in russisches Territorium vordringen kann – mehrere Tausend Kilometer bis zur Belaja-Basis in Sibirien.

Brutale Kosteneffizienz

Die Verwendung von Drohnen, die nur wenige hundert Dollar kosten, führte zu Schäden in Milliardenhöhe. Schätzungen belaufen sich auf 2 bis 7 Milliarden US-Dollar. Die Aktion steht damit für eine Verschiebung hin zu einer kosteneffizienten, aber hochwirksamen Kriegsführung. Das stellt manch teure Waffensysteme infrage.

Flugzeuge im Fadenkreuz

Die Operation zeigt, dass Drohnen nicht nur für kleinere Einsätze, sondern auch für strategische Angriffe auf bedeutende Ziele eingesetzt werden können. Historiker Boot argumentiert, dass die Operation zeige, dass bemannte Kampfflugzeuge an Bedeutung verlieren.

Drohnenschutz nötig

Mit der Aktion haben die Ukrainer eine Schwachstelle aufgedeckt, die vielen Offizieren schlaflose Nächte bereiten sollte. Historiker Boot schreibt: «Wenn die Ukrainer Drohnen so nahe an grosse Luftwaffenstützpunkte in einem Polizeistaat wie Russland heranbringen konnten, was sollte die Chinesen daran hindern, dasselbe mit US-Luftwaffenstützpunkten zu tun?» Die Aktion werde weltweit massive Investitionen in die Abwehr von Drohnen auslösen.

Gefährliche Inspiration

Trotzdem stellt die Aktion das Kräfteverhältnis zwischen der Ukraine und Russland nicht auf den Kopf. Moskau verfügt weiterhin über erhebliche militärische Ressourcen. Gerade in den letzten Wochen hat Russland die Ukraine mit so vielen Drohnenangriffen überzogen wie noch nie. Als Reaktion auf «Spinnennetz» dürfte Russland seine Angriffe weiter verstärken.

Trotzdem nutzt die Ukraine ihre technologische Innovationskraft, um die zahlenmässige Überlegenheit Russlands auszugleichen. Dies wird andere Staaten dazu inspirieren, ähnliche Taktiken zu entwickeln. Die Militärstrategen dieser Welt werden von der Ukraine lernen – ob mit defensiven oder aggressiven Absichten.

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