Am Wochenende hat die Ukraine den Russen schwere Schläge auf dem Schlachtfeld zugefügt. Am Montag sprachen Delegationen beider Länder in Istanbul miteinander. Die Gespräche dauerten nur 1 Stunde und 15 Minuten.
Wiederum wurde kein grosser Durchbruch erreicht – ein Waffenstillstand liegt weiterhin in der Ferne. Trotzdem wurden am Treffen kleinere Fortschritte erzielt – und die unterschiedlichen Taktiken der beiden Länder erkennbar.
Neuer Gefangenenaustausch
Gemäss Medienberichten stimmte Russland einem weiteren Gefangenenaustausch zu, wie zuletzt im Mai. Dabei sollen erneut mindestens 1000 Menschen auf beiden Seiten freigelassen werden – schwer verwundete und kranke Personen sowie Gefangene im Alter von 18 bis 25 Jahren.
Zudem sollen jeweils 6000 Leichen übergeben werden. Dafür soll es eine kurze Waffenruhe von zwei, drei Tagen an verschiedenen Frontabschnitten geben, damit beide Seiten ihre Toten bergen können.
Der ukrainische Verteidigungsminister und Delegationsleiter in Istanbul, Rustem Umerow (43), schlug ein weiteres Treffen gegen Ende des Monats vor. Die entscheidenden Fragen für eine Friedenslösung mit Russland könne nur auf Ebene der Staatschefs geklärt werden. Deshalb regte er auch ein Treffen der beiden Präsidenten an.
Forderungen ausgetauscht
In Istanbul haben beide Seiten auch schriftliche Erklärungen ausgetauscht. Die Ukraine fordert eine international überwachte bedingungslose 30-tägige Waffenruhe als Einstieg in Friedensverhandlungen. Auch drängt sie auf die Rückkehr entführter Kinder und übergab dafür Russland eine Liste mit 339 Namen.
Russland hatte das Memorandum vor den Verhandlungen nicht überreicht, sondern erst am Montag übergeben. Wie der russische Delegationsleiter Wladimir Medinski (54) erklärte, habe das Dokument zwei Teile. Der erste Teil beinhalte Moskaus Vorstellungen für die Erreichung eines dauerhaften Friedens. Der zweite Teil liste Schritte auf, um eine vollständige Waffenruhe zu erreichen. So soll die Ukraine auf westliche Waffenlieferungen verzichten und die Mobilmachung einstellen. Mit dem Memorandum bleibt Moskau bei seinen Maximalforderungen und verlangt von Kiew praktisch die Kapitulation.
Das ukrainische Aussenministerium teilte mit, dass das Schriftstück nun geprüft wird. «Wir müssen das russische Dokument gründlich prüfen und seinen Inhalt bewerten», erklärte ein Sprecher des Aussenministeriums.
Putins Verzögerungstaktiken
«Schon als bekannt wurde, dass wieder Medinski die russische Delegation leitet, war klar, dass man nicht allzu viel erwarten konnte», sagt Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Universität St. Gallen, am Montag zu Blick. Denn mit dieser Personalie signalisiere Wladimir Putin (72), dass es hier um klar niederrangige Verhandlungen gehe.
Der beschlossene Gefangenenaustausch bleibe weit hinter den Forderungen von Wolodimir Selenski (47) zurück, der alle Kriegsgefangenen austauschen möchte.
«Das russische Memorandum ist eine der vielen Verzögerungstaktiken von Putin», sagt Schmid. Der Kreml-Chef versuche, einen Waffenstillstand mit allen Mitteln zu verhindern – weil er eine Waffenruhe als erster wieder brechen würde. «Das würde ihn nicht gut aussehen lassen», sagt der Professor für Osteuropastudien. Gleichzeitig wolle Putin aber nicht als Kriegstreiber gelten – vor allem in den Augen von Donald Trump (78).
Das Ziel des Kremls
«Putin strebt eine amerikanisch-russische Zusammenarbeit im Rohstoffbereich an», sagt Schmid. Russland hoffe weiter darauf, dass sich die Trump-Administration vom Ukrainekrieg einfach abwende. Wiederum erwartet der Russland-Experte auch jetzt kein entschlossenes Handeln der USA.
Entschlossen gehandelt haben die beiden Kriegsparteien zuletzt auf dem Schlachtfeld. Die Ukraine hatte am Sonntag rund ein Drittel der gut 120 russischen Langstrecken-Bomber beschädigt oder zerstört. Kurz zuvor hatte Russland insgesamt 472 Drohnen auf Ziele in der Ukraine abgefeuert – ein neuer Rekordwert seit dem Kriegsbeginn im Februar 2022.
«Das ist die andere Sprache, welche die beiden Kriegsparteien sprechen», sagt Schmid. Beide wollten dem Gegner damit signalisieren, dass sie es nicht nötig haben, Zugeständnisse zu machen. Der Krieg sei gerade sehr dynamisch, erklärt Schmid. Es gibt neue Offensiven auf beiden Seiten. «Putin versucht den Eindruck zu erwecken, dass er den Krieg gewinnt – bei nach wie vor enorm hohen Kosten und Anstrengungen.»