Darum gehts
In der spektakulären Aktion «Spinnennetz» hat der ukrainische Inlandsgeheimdienst am Sonntagmittag vier strategische Stützpunkte der Russen angegriffen – sogar 4000 Kilometer von der Grenze entfernt! Laut ukrainischen Angaben sind bis zu 40 atomwaffenfähige Bomber zerstört oder beschädigt worden.
Völlig unbemerkt hatten die Saboteure nahe den Stützpunkten die Drohnen vorbereitet und – wohl erst nach ihrer Rückkehr in die Ukraine – per Fernbedienung losgeschickt. Es ist ein Husarenstück der Ukrainer und dürfte kaum das letzte sein, das Russlands Herz trifft.
Weitet sich der Krieg nun nach Russland aus?
Die Ukraine will mit solchen Angriffen zeigen, dass das russische Mutterland nicht sicher ist. So dürften in Zukunft auch vermehrt Angriffe mit weitreichenden Marschflugkörpern und Raketen durchgeführt werden, wenn dies von den Lieferländern – etwa Deutschland – bewilligt wird.
Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Universität St. Gallen, sagt zu Blick: «Die Ukraine will den Krieg nach Russland tragen, um der Führung und der Bevölkerung klarzumachen, dass der Krieg nicht einfach in der fernen Ukraine stattfindet.»
Ziele waren bisher vor allem Energieinfrastrukturen und Bahnverbindungen. Erst in der Nacht auf Sonntag wurden in Brjansk und Kursk Brücken gesprengt und so zwei Züge zum Entgleisen gebracht. In Zukunft könnten es laut Marcel Berni, Strategieexperte an der ETH-Militärakademie, vermehrt Schläge gegen Militäreinrichtungen sein.
Wie geschwächt sind die Russen jetzt?
Mindestens 40 russische Militärflugzeuge, darunter strategische Bomber Tu-95 und Tu-22M sowie Frühwarnflugzeuge Berijew A-50 sind laut ukrainischen Angaben zerstört oder beschädigt worden. Das ist rund ein Drittel aller Maschinen, die Marschflugkörper abschiessen können. Der Schaden wird auf 7 Milliarden Dollar geschätzt.
Die strategischen Bomber werden nicht mehr produziert, Ersatz ist durch eingemottete Maschinen nur begrenzt möglich. Marcel Berni: «Koordinierte Angriffe aus der Luft mit Marschflugkörpern und Raketen dürften für Russland jetzt schwieriger werden.»
Wie gross ist der Imageschaden für Putin?
Ultranationalistische Militärblogger in Russland haben die eigene Generalität scharf kritisiert und von einem «russischen Pearl Harbor» gesprochen. Schmid: «Der Imageschaden für Russland ist enorm.» Pearl Harbor auf Hawaii wurde ein Begriff, nachdem die Japaner 1941, während des Zweiten Weltkriegs, in einem Überraschungsangriff einen Grossteil der US-Pazifikflotte ausgeschaltet hatten.
Wer hat den Ukrainern geholfen?
Vieles deutet darauf hin, dass die Ukrainer autonom gehandelt haben. Berni: «Dies ist sowohl technologisch als auch logistisch glaubwürdig und widerlegt das Narrativ aus dem Kreml, wonach die Ukraine nicht zu strategischen Angriffen in die russische Tiefe fähig sei.»
Warum schlagen die Ukrainer gerade jetzt zu?
Der Zeitpunkt ist laut Schmid kein Zufall, sondern hängt mit den Verhandlungen am Montag in der Türkei zusammen. Schmid: «Die Ukraine wollte am Vorabend der Istanbuler Gespräche ihre Stärke demonstrieren und damit deutlich machen, dass sie bei entscheidenden Punkten nicht zu Zugeständnissen an Russland bereit ist.»
Wie wird der Kreml reagieren?
In der Nacht auf Montag reagierte der Kreml mit Drohnen- und Raketenangriffen auf Charkiw. Berni: «Der Druck auf Putin, Härte zu zeigen, wird steigen.» Schmid rechnet mit noch heftigeren Raketenangriffen und Drohnenanschlägen – vermutlich auch auf zivile Ziele.