«Die Schweiz ist leicht unterdurchschnittlich unterwegs»
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Ökonom über die Wirtschaft:«Die Schweiz ist leicht unterdurchschnittlich unterwegs»

Wirtschafts-Papst Jan-Egbert Sturm über Trumps Zoll-Politik
«Der Vorteil der Schweizer Wirtschaft ist, dass sie sehr flexibel ist»

Die Schweizer Wirtschaft zeigt sich trotz globaler Herausforderungen robust. Jan-Egbert Sturm im Interview über die Bedeutung des Konsums, die Kosten des Zollstreits und darüber, wie viel Wachstum in diesem Jahr drinliegt.
Publiziert: 00:23 Uhr
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Aktualisiert: vor 20 Minuten
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Jan-Egbert Sturm: «Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Wir wissen zum Beispiel nicht, was am 9. Juli passieren wird.»
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Wirtschaftliche Turbulenzen und Unsicherheit prägen die aktuelle globale Situation
  • Trump beschleunigt politische und wirtschaftliche Veränderungen weltweit
  • Zollstreit könnte Schweiz 17,5 Milliarden Franken an Wertschöpfung kosten
  • Schweizer Wirtschaft wächst 2026 um 1,4 Prozent, Löhne steigen um 1 Prozent
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Während des Fotoshootings im Zürcher Polybähnli lässt Jan-Egbert Sturm (55) den Blick in die Ferne schweifen. Symptomatisch für den Blick auf die Weltwirtschaft, der so getrübt ist wie schon lange nicht mehr. Doch der Konjunkturforscher und Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich lässt sich von den Unwägbarkeiten der Weltwirtschaft nicht allzu sehr irritieren, arbeitet mit Szenarien und ist mit seinen präzisen Prognosen seit Jahren eine prägende Figur unter den Schweizer Ökonomen. 

Blick: Jan-Egbert Sturm, haben Sie in Ihrer Karriere schon mal so turbulente Zeiten gesehen, wie wir sie gerade jetzt erleben?
Jan-Egbert Sturm: Ich habe 2005 hier in Zürich als Professor angefangen. Damals haben mich Kollegen aus anderen Disziplinen bedauert, weil Volkswirtschaftslehre – und insbesondere die Makroökonomie – als ausserordentlich langweilig galt. Doch dann kam 2007 die Finanzkrise, abgelöst von der Euro-Schuldenkrise über Corona bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Plötzlich war die Makroökonomie aufregender als je zuvor. 

Dann muss sich die zweite Amtszeit von Donald Trump (79) ja wie das Sahnehäubchen für Konjunkturforscher anfühlen?
(Lacht.) Langweilig ist es im Moment sicher nicht. Die zweite Amtszeit von Donald Trump hat jetzt schon gewaltige Veränderungen mit sich gebracht. In den ersten fünf Monaten von Trump hat sich die Welt politisch und wirtschaftlich komplett gewandelt. Diese Umwälzungen hatten sich zwar schon vorher abgezeichnet, so gesehen ist Trump auch eine Folge davon. Aber dieser Wandel wird von ihm verstärkt und beschleunigt. Das Ausmass dessen ist schon überraschend.

Die Ökonomie kennt die Figur des kreativen Zerstörers, der Altes zerschlägt, um Neues zu schaffen. Trifft das auf den US-Präsidenten zu?
Dass Trump so ein Zerstörer im Sinne von Joseph Schumpeter (1883–1950) ist, können wir aktuell nicht sagen. Er hat im politischen Prozess schon einiges an Vertrauen zerstört und sehr viel Unsicherheit geschaffen. So wie früher gilt wieder das Recht des Stärkeren. Die regelbasierte Ordnung, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden ist, erodiert. Das ist aus Schweizer Sicht sehr beunruhigend. Als kleine, offene Volkswirtschaft müssen wir wissen, wie die Spielregeln sind und dass sie eine gewisse Verlässlichkeit aufweisen.

Wo genau ist das Problem?
Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Wir wissen zum Beispiel nicht, was am 9. Juli passieren wird, welche Zölle wirklich kommen, wie hoch sie ausfallen. Es fehlt an Planbarkeit, Investitionspläne bleiben in den Schubladen. Aus Vorsicht, weil die Firmen nicht wissen, welche Regeln für den US-Markt gelten werden. Diese Zurückhaltung ist eine Bremse für die konjunkturelle Entwicklung – global und in der Schweiz. 

Jan-Egbert Sturm

Jan-Egbert Sturm (55) leitet seit 2005 die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Zuvor war der gebürtige Holländer Volkswirtschaftsprofessor an mehreren Unis in seinem Heimatland, in Australien und Deutschland. Als Vizepräsident der Schweizer Corona-Taskforce hat Sturm den Bundesrat während der Pandemie beraten. Er ist verheiratet, Vater zweier Kinder und lebt mit seiner Familie am Bodensee. Sturm gilt als einer der einflussreichsten Ökonomen der Schweiz.

Jan-Egbert Sturm (55) leitet seit 2005 die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Zuvor war der gebürtige Holländer Volkswirtschaftsprofessor an mehreren Unis in seinem Heimatland, in Australien und Deutschland. Als Vizepräsident der Schweizer Corona-Taskforce hat Sturm den Bundesrat während der Pandemie beraten. Er ist verheiratet, Vater zweier Kinder und lebt mit seiner Familie am Bodensee. Sturm gilt als einer der einflussreichsten Ökonomen der Schweiz.

Das heisst, nicht der starke Franken ist das Problem, sondern die fehlende Planbarkeit?
Die Schweiz wurde immer schon durch die Wellen der Weltwirtschaft durchgeschüttelt … 

… aber wir haben gelernt, darauf zu surfen?
Ja, auch wenn die Wellen jetzt aus einer anderen Richtung kommen. Der Vorteil der Schweizer Wirtschaft ist, dass sie sehr flexibel ist, dass die Unternehmen sich immer wieder neu erfinden müssen, falls nötig auf andere Absatzmärkte umschwenken können. Auch wenn es für viele Unternehmen sicherlich nicht einfach ist, hat sich der starke Franken oft als ein gutes Trainingslager für die Schweizer Wirtschaft herausgestellt. Dazu kommen ein robuster Binnenmarkt und ein flexibler Arbeitsmarkt. 

Die Schweiz gilt als das wettbewerbsfähigste Land der Welt, unter anderem weil Staat und Wirtschaft als sehr effizient gelten. Trotzdem haben wir das Gefühl, die Bürokratie nimmt von Tag zu Tag zu.
Das stimmt, auch in der Schweiz hat die Bürokratie zugenommen. Das wünscht sich aus Sicht der Wirtschaft kaum jemand. Aber im internationalen Vergleich stehen wir immer noch gut da. Die Welt ist komplexer geworden. Die Politik versucht, der Komplexität mit neuen Regeln zu begegnen. Diese kommen zu den bestehenden Regeln dazu – und so wächst die Bürokratie. Aber ob es der richtige Weg ist, wie Trump alle Regeln radikal über Bord zu werfen, da muss man ein Fragezeichen dahintersetzen. 

In der Schweiz sind die Zinsen jetzt bei null, wie real sind Negativzinsen?
Im Moment drohen keine Negativzinsen. Wenn es nach dem 9. Juli nur bei diesen Basiszöllen von zehn Prozent bleibt, dann dürfte eine leichte Erholung der Wirtschaft in Europa und vor allem auch in Deutschland einsetzen, dann muss die SNB die Zinsen nicht weiter senken. Sollte es allerdings zu grösseren Verwerfungen in der Weltwirtschaft kommen, sähe alles anders aus. 

Was könnte denn passieren?
Trump könnte an den ursprünglichen Zöllen des «Liberation Day» festhalten. Das könnte die Schweiz 17,5 Milliarden Franken an Wertschöpfung im Jahr 2026 kosten. Das wären 2000 Franken pro Kopf.

So weit kommt es hoffentlich nicht. Was heisst das nun alles für die Schweizer Wirtschaft?
Diese wird gemäss unserer Prognose in diesem Jahr um 1,4 Prozent wachsen. Das ist leicht unter dem Potenzialwachstum von rund 1,5 Prozent. Dieses dürften wir erst im nächsten Jahr wieder erreichen. Wichtig bleibt – neben der Exportwirtschaft – der Konsum in der Schweiz als Stütze der Binnenwirtschaft. Die Sparquote in der Schweiz ist hoch, die Menschen können kurzfristige Schwankungen gut auffangen. Die Konsumentenstimmung ist noch gut und trägt wesentlich zur Stabilität der Schweizer Wirtschaft bei.

Solange die Leute einen Job haben. Wie sieht es auf dem Arbeitsmarkt aus?
Die aktuelle konjunkturelle Schwäche wegen des Zollstreits lässt einen leichten Anstieg der Arbeitslosenquote auf drei Prozent erwarten. Die demografischen Entwicklungen sorgen jedoch dafür, dass Unternehmen sich im Allgemeinen zurückhalten, wenn es um Entlassungen geht. Zwar gibt es inzwischen weniger Firmen, die Personalmangel als Problem melden, doch dieser Indikator bewegt sich immer noch auf einem historisch hohen Niveau.

Und was liegt denn bei den Löhnen drin?
Derzeit erwarten wir für das Jahr 2026 eine Teuerung der Inlandspreise um rund ein halbes Prozent. Zusammen mit dem Produktivitätsanstieg dürften die Löhne im nächsten Jahr somit um etwa ein Prozent zulegen.

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