Darum gehts
- Lokführer bei Aare Seeland mobil unzufrieden mit Arbeitsbedingungen und Führungsstil
- Mitarbeiter berichten von zu langen Schichten und zu kurzen Ruhezeiten
- Seit 2020 haben 21 von 30 Lokführern das Unternehmen verlassen
Beim ÖV-Betreiber Aare Seeland mobil (ASM) knarzt es hinter den Kulissen so richtig. Dort begehren die Lokführer gerade auf. Sie sind unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen und dem Führungsstil der Chefetage. «Es ist eine absolute Katastrophe, wie mit uns umgegangen wird», sagt ein Lokführer. Was ist da los?
Blick hat mit ehemaligen und noch aktiven Lokführern gesprochen. Eigentlich sind sie gerne Bähnler. Mit Herzblut fahren sie Passagiere auf den ASM-Strecken zwischen Solothurn und dem Oberaargau sowie im Seeland zwischen Biel BE und Ins BE hin und her. Doch viele von ihnen haben die Freude am Job im Führerstand verloren. Niemand will mit Namen zitiert werden, weil alle Repressalien befürchten. Vom ASM selbst. Oder aus der ÖV-Branche. Was die Lokführer zu sagen haben, zeichnet ein klares Bild: Sie berichten von zu vielen Arbeitstagen am Stück, zu langen Schichten und zu kurzen Ruhezeiten dazwischen.
Konkret: Aus mehreren Dienstplänen, die Blick vorliegen, geht hervor, dass die ASM-Lokführer bis zu 9 Tage am Stück arbeiten – oft 7 bis 8 Stunden lang. Dazu haben sie regelmässig nur 9 Stunden Pause, bis am Tag darauf die nächste Schicht beginnt. Gesetzlich ist das alles erlaubt. «Mit einem modernen Arbeitsumfeld hat das aber nichts zu tun», sagt ein Lokführer. Dabei beschreibt sich ASM auf der Firmen-Website genau so: «Attraktiv, modern und sozial – das sind die Anstellungsbedingungen der Aare Seeland mobil.»
«Manchmal haben wir Sekundenschlaf»
Für die Lokführer, mit denen Blick gesprochen hat, ist das blanker Hohn. «Unter diesen Bedingungen ist es unmöglich, eine Familie zu haben», sagt ein langjähriger Angestellter. Und weiter: «Mir geht es psychisch nicht gut.» Er fühle sich oft ausgelaugt und müde. Das gelte auch für seine Kollegen. «Manchmal haben wir Sekundenschlaf – während dem Fahren», sagt er. Ein anderer Informant ergänzt: «So zu arbeiten hat nichts mit Sicherheit zu tun.» Ein ehemaliger Lokführer meint: «Mich haben die kurzen Ruhezeiten von 9 Stunden mürbegemacht.»
Die Folge: Viele Angestellte lassen sich krankschreiben. Und werden dann von ASM gegängelt. So soll es immer wieder vorkommen, dass die HR-Abteilung beim Arzt wegen der Krankschreibung nachhakt. Blick liegen Belege von einem konkreten Fall vor. Zudem berichten Lokführer von Telefonanrufen der Chefs, wenn sie krank sind oder frei haben. Sie sprechen gar von «psychischem Terror». Eine Quelle bringt es so auf den Punkt: Wer intern Kritik äussere, werde sofort mundtot gemacht – und zwar von oberster Stelle.
Mit den Vorwürfen konfrontiert, betont Aare Seeland mobil gegenüber Blick, dass «Sicherheit und verlässliche Arbeitsbedingungen oberste Priorität haben». Man überprüfe und optimiere Prozesse und Rahmenbedingungen laufend. Und: «Rückmeldungen von Mitarbeitenden nehmen wir ernst und gehen ihnen nach.»
Die Telefonate auch in der Freizeit schiebt ASM auf die vielen Ausfälle in den letzten Monaten. Man habe eine «aussergewöhnlich hohe Anzahl an nicht planbaren Absenzen» gehabt. «Da wir der Transportpflicht unterliegen, sind wir darauf angewiesen, Mitarbeiter zu finden, die die ausgefallenen Kolleginnen und Kollegen ersetzen. Deshalb rufen wir Mitarbeitende gegebenenfalls auch in ihrer Freizeit an», heisst es weiter. Um die weiteren Einsätze von krankgeschriebenen Mitarbeitern planen zu können, bestehe für diese eine beidseitige minimale Kommunikationspflicht.
Zwei Drittel der Lokführer seit 2020 weg
Viele Lokführer bei ASM haben genug – und darum einen Schlussstrich gezogen. Oder mussten gehen, weil sie sich gewehrt haben. Entsprechend hoch ist die Fluktuation bei ASM, wie aus Dokumenten hervorgeht, die Blick vorliegen. Von den total 30 Lokführern, die 2020 beim Unternehmen mit Sitz in Langenthal angestellt gewesen waren, sind mittlerweile 21 weg.
Auf Blick-Anfrage bestreitet der ÖV-Betreiber die konkreten Abgangzahlen nicht, spricht aber von «keiner hohen Fluktuation». Diese sei 2025 tiefer als noch 2023 und 2024.» Gleichzeitig weist ASM darauf hin, dass bei den Lokführern Vollbestand herrscht.
Lokführer wollen mehr Ruhezeit
Ein seit Jahren grosser Streitpunkt zwischen den Lokführern und den Chefs ist eine Vereinbarung. Darin stimmen die ASM-Mitarbeitenden gewissen Regeln zu, die von den gesetzlichen Vorgaben für Angestellten im öffentlichen Verkehr abweichen. Die Bähnler kommen bei der Vereinbarung schlechter weg. Ein Beispiel: Statt minimal 11 Stunden, die das Gesetz grundsätzlich gewährt, kann die Ruhezeit bloss 9 Stunden betragen.
Offenbar hat der Personalkommission-Vertreter ohne Wissen der Angestellten die Vereinbarung jedes Jahr neu unterschrieben. Illegal ist das alles nicht. Die Vereinbarungen seien ausreichend klar und würden auch den Verordnungsbestimmungen des Schweizer Rechts entsprechen, ordnet Roger Rudolph (55), Professor für Arbeits- und Privatrecht an der Universität Zürich, die Situation ein.
Nur: Gewisse gesetzliche Graubereiche gibt es dennoch. So plant ASM für die Lokführer verkürzte Ruhezeiten von nur 9 Stunden standardmässig ein, wie den Dienstplänen zu entnehmen ist. Die Reduktion auf 9 Stunden setzt laut Schweizer Recht aber eine Sonderkonstellation voraus, so Roger Rudolph. «Das darf daher aus meiner Sicht nicht Standard sein.»
ASM betont gegenüber Blick, die Einsatzplanung erfolge stets nach den gesetzlichen Vorgaben. «Das betrifft die Dienstschichten, die Distanzen zwischen den Ruhetagen und die Ruhezeiten zwischen den Dienstschichten.» Die verkürzten Ruhezeiten seien von einigen Mitarbeitenden sogar gewünscht. Und die Vereinbarung werde auf Wunsch der ÖV-Gewerkschaft SEV von der Mitarbeitervertretung unterzeichnet.
Immerhin gibt es etwas mehr Lohn
Es sind Erklärungen, die bei den Lokführern nicht gut angekommen sind. Sie planten einen Aufstand, indem sie die Vereinbarung für 2026 nicht unterzeichnen wollten. Der Personalkommission-Vertreter hat die seit 16. Dezember gültige Vereinbarung aber mittlerweile wieder unterschrieben. Heisst: Die Lokführer werden mit ihren Anliegen auf 2027 vertröstet.
Immerhin gibts für die ASM-Angestellten im nächsten Jahr eine Lohnerhöhung von 0,7 Prozent. Ein Trostpflaster für die unzufriedenen Lokführer? Nicht wirklich. «Es muss sich endlich etwas grundlegend ändern», sagt ein Betroffener. Besinnliche Weihnachten gibts bei Aare Seeland Mobil wohl eher nicht – stattdessen stehen die Signale auf Zoff.