Darum gehts
Der Ton wird zwar milder, aber die Fronten bleiben verhärtet. UBS-Präsident Colm Kelleher war auf der TV-Bühne des «Bilanz Business Talk» merklich um eine Deeskalation im Streit um höhere Eigenmittelanforderungen bemüht: «Wir tun alles, um zu einem Kompromiss zu kommen, sodass wir in der Schweiz bleiben können», sagte der Ire. Am Dienstag stiess UBS-Chef Sergio Ermotti vor den Medien in dasselbe Horn: «Wir hoffen weiter auf eine vernünftige Lösung am Ende des politischen Prozesses.»
Doch Ende September hatte Finanzministerin Karin Keller-Sutter aus dem fernen New York im Interview mit Blick bereits klargemacht, dass sie von Kompromissen nichts wissen will: Nach dem Crash der CS erwarte die Bevölkerung, dass «man alles vorkehrt, was man vorkehren kann, um solch ein Ereignis zu verhindern» – sprich: eine neue Schieflage der letzten verbliebenen Grossbank.
23 Milliarden Dollar mehr Kapital
Nun legte ihr Ministerium den Gesetzesvorschlag dazu vor: Kernstück ist, dass die UBS künftig den Wert ihrer Auslandstöchter zu 100 Prozent mit hartem Eigenkapital unterlegen muss. Bisher sind es nur 45 Prozent. Laut UBS kostet allein diese Verschärfung die Grossbank 23 Milliarden Dollar zusätzliches Eigenkapital. Hinzu kommen die Vorschläge aus einer Verschärfung per Verordnung: Softwarebestände und Steuerguthaben sollen nicht länger als werthaltige Assets zum Eigenkapital zählen. Dadurch würden 11 Milliarden an Kapital quasi «vernichtet», so die UBS.
Unter diesen Bedingungen sei es nicht möglich, eine Grossbank profitabel zu führen, mahnte Kelleher. Es sei seine treuhänderische Pflicht gegenüber den Aktionären, Alternativen zu prüfen.
UBS-Aktionär Cevian deutscht das knallhart aus: Sollte der Bund nicht einlenken, hätte die UBS «gar keine andere realistische Option», als die Schweiz zu verlassen, sagte Cevians Co-Gründer Lars Förberg der «Financial Times». Darauf angesprochen, wollte Sergio Ermotti am Dienstag diese Aussagen nicht weiter kommentieren. Die Bank würde nicht mit Wegzug drohen. Aber explizit ausgeschlossen hat Ermotti den Schritt nicht. Ebenso wenig sein Präsident.
Möglich, aber sehr riskant
Doch wäre ein Wegzug der UBS aus der Schweiz überhaupt realistisch? Wie genau könnte dieser aussehen? Und was wären die Kosten und die Risiken? Die Handelszeitung hat das Szenario mit Regulierungsexperten durchgespielt. Ihr Fazit: «Das ist machbar mit der Zustimmung der Regulatoren, ist aber sehr teuer», sagt ein Topexperte in Sachen Bankenregulierung. Vor allem die Risiken für das Kerngeschäft der UBS, die Vermögensverwaltung, wären enorm.
«Die Schweiz zu verlassen, bietet unserer Meinung nach keine plausible Milderung, ausser man stünde einer wirklich extremen Regulierung gegenüber», schrieb Stefan Stalmann in einer Studie im März. Der Analyst bei Autonomous Research gilt als einer der besten Kenner der Materie. Aus seiner Sicht wäre der Wegzug nicht Plan A, aber aus Vorsichtsgründen sollten die Bankstrategen das Umzugsprojekt von Plan D zu Plan B hochstufen.
Historische Beispiele gibt es durchaus: So verlegte die Bank Nordea 2018 ihren Sitz von Schweden nach Finnland, um erhöhten Regulierungskosten zu entfliehen. Die Einsparungen wurden seinerzeit auf 1 Milliarde Euro beziffert. Auf Nachfrage will Nordea aber nichts dazu sagen, ob der Schritt sich unter dem Strich gelohnt hat. Und schon in den 1990er-Jahren verlegte die Grossbank HSBC ihren Sitz von Hongkong nach London, bevor die Chinesen die Kontrolle in der einstigen Kronkolonie übernahmen.
Die USA wären die wahrscheinlichste Alternative
Einigkeit herrscht darüber, dass die UBS im Falle eines Umzugs wohl nur in die USA wechseln kann. Dort haben die Aufseher Erfahrungen mit systemrelevanten Banken, und die USA sind mit der mächtigen Notenbank Fed in der Lage, der UBS im Krisenfall beizuspringen. Zudem ist das Geschäft der UBS in den USA mit 35 Prozent Anteil an den Einnahmen bereits grösser als jenes in der Schweiz mit 31 Prozent. Um aus dem Stand eine Banklizenz zu haben, wäre der Kauf einer US-Bank vermutlich das Mittel der Wahl.
Um aber den erhöhten Eigenmittelanforderungen der Schweiz zu entfliehen, würde es nicht reichen, nur die oberste Holdinggesellschaft zu zügeln, die UBS Group AG. Denn die zentrale Einheit im UBS-Organigramm ist das Stammhaus, die UBS AG. Sie hält die Beteiligungen an den Töchtern in den USA, in der EU und in der Schweiz. Daher zielen die erhöhten Eigenmittelregeln für Banktöchter auf die UBS AG.
Entsprechend müsste die UBS das Stammhaus aus der Schweiz zügeln, um den verschärften Regeln zu entfliehen. Doch die UBS AG ist nicht nur eine reine Holding, sie ist auch eine Bank mit Sitz in der Schweiz: In der UBS AG ist der Grossteil des grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäfts gebucht, zum Beispiel jenes mit der wichtigen asiatischen Kundschaft. Würde also die UBS AG in die USA zügeln, hätten die Kunden kein Swiss Banking mehr – und drohten in Scharen zu fliehen.
Regulierungsexperten haben eine Lösung für dieses Problem: Ein Szenario wäre, die Auslandstöchter aus der UBS AG herauszulösen und bei der UBS Group AG anzusiedeln, wie Analyst Stalmann schreibt. Die Rest-UBS-AG mit dem Private Banking bliebe dann in der Schweiz. Ein Schweizer Regulierungsexperte schlägt den umgekehrten Weg vor: Das Private Banking wird aus der UBS AG herausgelöst und in die UBS Schweiz AG überführt. Das Investmentbanking, das in der UBS AG gebucht wird, könnte im Stammhaus verbleiben und mit diesem in die USA zügeln.
Das Ergebnis beider Varianten: Das Private Banking bliebe in der Schweiz, die Eignergesellschaft der UBS-Töchter wäre neu in den USA – und damit nicht länger von den erhöhten Eigenmittelunterlegungen betroffen.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Das liest sich auf dem Papier einfach, ist aber eine hochkomplexe Übung. Und mit massiven Risiken behaftet. Sollte die Grossbank ihr Crossborder-Geschäft tatsächlich in die UBS Schweiz AG überführen, würde deren Bilanz durch diese Geschäftsverlagerung massiv grösser – damit würden die Eigenmittelanforderungen für die UBS Schweiz AG stark ansteigen.
Muss die UBS ihre Struktur anpassen?
Experte Stalmann fragt sich zudem, ob die US-Regulierer die eigenartige Struktur der UBS akzeptieren würden, bei welcher der Bank UBS AG andere Banken gehören – wie etwa die UBS Schweiz AG. US-Banken haben eine einfachere Struktur, eine sogenannte Clean Holding: Dabei gehören der Oberholding alle operativen Banktöchter. Ein Stammhaus, das selbst Bank ist und dem andere Banktöchter gehören, gibt es in den USA meist nicht.
Ein Verschieben von Vermögenswerten und Funktionen von einer Gesellschaft in eine andere über Landesgrenzen hinweg würde zudem milliardenschwere Steuernachzahlungen nach sich ziehen. «Bei einem Wegzug unterliegen die stillen Reserven der Gewinn- und der Verrechnungssteuer», erklärt Luzius Cavelti, Professor für Steuerrecht an der Universität Basel. Besteuert würden die Vermögenswerte und Funktionen, die in die USA verlagert würden. Wie hoch die stillen Reserven darauf sind, lässt sich von aussen kaum sagen, diese weist die Bank nicht aus. «Die Steuerlast dürfte aber erheblich sein», sagt Cavelti.
Ein Blick in die Bilanz zeigt: Allein die Nachversteuerung der Gewinnreserven der UBS Group AG von rund 30 Milliarden Franken würde einen zweistelligen Milliardenbetrag an Steuern kosten.
Bankenkreise vermuten indes, dass die Steuerproblematik kein «Showstopper» wäre, der eine Verlegung verhindern würde. Denn die Steuerlast würde nur einmal bezahlt, die mögliche Ersparnis aus tieferen Eigenkapitalkosten würde aber jedes Jahr anfallen.
Kein reines «Swiss Banking» mehr
Das Hauptargument gegen eine Verlagerung der UBS AG in die USA sind die drohenden Folgen für das Geschäft. Denn im aufgezeigten Szenario würde das Private Banking der UBS zwar weiterhin in einer Schweizer Bank gebucht. Doch diese Bank würde künftig einer US-Gesellschaft gehören. Damit wäre die UBS im Private Banking vergleichbar mit den US-Wettbewerbern. J. P. Morgan zum Beispiel ist ein US-Bankkonzern, der mit der Tochter J. P. Morgan SA in Genf eine Schweizer Bank besitzt. «Die UBS würde ihren Unique Selling Point als reine Schweizer Bank verlieren», meint daher ein hochrangiger Aufsichtsexperte.
Analyst Stalmann schätzt, dass dies die UBS einen zweistelligen Prozentsatz ihrer Kundengelder ausserhalb der USA (zuletzt 2,1 Billionen Dollar) kosten könnte. Zur Illustration: Sollten 20 Prozent dieser UBS-Kunden nach einem Wegzug das Weite suchen, würde die Grossbank Kundengelder in der Höhe von 420 Milliarden Dollar verlieren. Das würde 800 Millionen Dollar Vorsteuergewinn kosten und den Wert der Bank um rund 8 Milliarden drücken.
Zum Vergleich: Zwei vom Bund bestellte Gutachten beziffern die Kosten des zusätzlichen Eigenkapitals pro Jahr mit Beträgen zwischen 0,6 und 1,3 Milliarden Dollar. Die UBS selbst rechnet mit deutlich über 2 Milliarden Zusatzkosten pro Jahr. Lohnt sich also der Umzug? Regulierungsexperten weisen darauf hin, dass der neue Eigenmittelbedarf von 26 Milliarden Dollar auf der Annahme beruht, dass die UBS so bleibt, wie sie ist. Doch die UBS könnte den Kapitalbedarf durch Anpassungen verringern.
Die Analysten von Autonomous und Morgan Stanley schätzen das Potenzial auf rund 10 Milliarden Dollar, etwa durch das Hochziehen von Kapital aus den Töchtern oder durch freiwillig tiefere Kapitalpolster auf Ebene der Holding. Autonomous-Experte Stalmann bezweifelt daher, dass sich ein Wegzug für die UBS-Aktionäre rechnen würde. Sie wären besser bedient, wenn die UBS die Schweizer Regeln als Basisszenario annehmen und in den Anpassungsmodus wechseln würde, schrieb er kürzlich.
Wie ein Kompromiss aussehen könnte
Die UBS selbst hofft weiter, dass das Parlament die neuen Regeln im Zuge der Beratungen abschwächt. Erste bürgerliche Politiker befürworten dies. Einen Vorschlag dazu hat jüngst Andreas Ita von der Unternehmensberatung Orbit 36 vorgelegt. Dieser sieht vor, dass die Eigenmittelunterlegung der Auslandstöchter risikobasiert erfolgen sollte statt pauschal zu 100 Prozent ihres Wertes. Basierend auf Stresstests würde das maximale Verlustpotenzial jeder Tochterbank ermittelt.
Diesen Betrag müsste dann die UBS AG mit hartem Eigenkapital unterlegen. Der verbleibende Beteiligungswert würde dann mit anderen Kapitalinstrumenten abgedeckt, etwa mit sogenannten Bail-in-Anleihen. «Auf diese Weise würden die Risiken vollständig erfasst, ohne die Kapitalanforderungen unnötig zu verschärfen», meint Ita. Doch das Finanzministerium hat solche Alternativen in ihrem Begleitbericht bereits verworfen. Die UBS kritisiert dies: Mögliche Alternativen seien nur unzureichend geprüft worden.
Mit der Vorlage des Gesetzesvorschlags geht das Ringen nun in die heisse Phase. Und UBS-Präsident Kelleher wirbt darum, dass Vertreter der Bank und der Politik sich wieder annähern. Sicher ist: Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel.