Darum gehts
- Schweizer Industrie in Krise: Umsätze sinken, Auftragseingänge brechen ein
- USA-Zölle verschärfen Lage, Europa als möglicher Rettungsanker
- Über 30'000 Jobs könnten auf der Kippe stehen
Die Zahlen sind dramatisch: Der Schweizer Industrie brechen die Umsätze weg, und die Abwärtsspirale beschleunigt sich. Im gesamten ersten Halbjahr sind die Umsätze der Firmen um 2,5 Prozent gesunken. Und das war noch vor dem grossen Zollhammer von 39 Prozent, den US-Präsident Donald Trump (79) am 1. August gegen die Schweiz verhängt hat.
Besonders alarmierend: Die Auftragseingänge sind alleine in den Monaten April bis Juni im Vergleich zum Vorquartal um 13,4 Prozent eingebrochen. «In den kommenden Monaten ist mit einem beschleunigten Rückgang der Auftragseingänge zu rechnen. Damit droht eine massive Verschärfung der bestehenden Industrie-Rezession», befürchtet Swissmem-Präsident Martin Hirzel (55) im Gespräch mit Blick.
Folgen spüren wir alle
Denn auch Firmen, die jetzt noch gut ausgelastet sind, werden künftig weniger zu tun haben – mit entsprechenden Folgen für die Beschäftigung. Deutlich über 30'000 Jobs könnten auf der Kippe stehen, sagt Hirzel weiter. «Das würden wir allen spüren.» Hirzel: «Etwa durch fehlende Löhne, was die Binnenwirtschaft schwächt.»
Das Problem: Es fehlen kurzfristig Alternativen zum wegbrechenden US-Geschäft. Der einstige Hoffnungsmarkt Asien kriselt, die Exporte in diese Region gingen im ersten Halbjahr ebenfalls deutlich zurück. Zu gross ist die Verunsicherung wegen des von den USA angezettelten Zollkriegs, viele Firmen halten sich mit Aufträgen und Investitionen zurück.
Was also ist zu tun? Die Schweiz muss unbedingt versuchen, einen Deal mit den USA zu finden: «Wenn die Zölle von 39 Prozent bleiben, dann eignet sich die Schweiz nicht mehr für Exporte in die USA.» Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco sei daran, eine Liste mit Angeboten an die USA auszuarbeiten, weiss Hirzel. Mehr will er nicht verraten, um die Verhandlungsposition der Schweiz nicht zu schwächen. Auch das Seco schweigt.
Kreative Lösungen gefragt
Im Moment gelte es, vom USA-Geschäft zu retten, was noch gerettet werden kann. Rund 20 Prozent der Exporte seien nicht gefährdet, weil sie selbst mit einem hohen Zollzuschlag für US-Firmen unverzichtbar sind. «Dabei handelt es sich um zertifizierte Produkte etwa für die Luft- und Raumfahrt, die nicht so leicht zu ersetzen sind», so Hirzel.
Für die restlichen 80 Prozent sind kreative Lösungen gefragt. «Firmen verrechnen ihren Kunden sogenannten Transferpreise. Diese sind tiefer als der Endverkaufspreis. Das ist eine legale Möglichkeit, um die Zollbelastung zu senken», erklärt Hirzel. Der Nachteil: Damit schrumpft der Gewinnanteil in der Schweiz. Zudem verzichten Firmen darauf, alle Produkte in einer einzigen Lieferung aus der Schweiz zu bündeln und in die USA zu schicken. Was aus einem Land mit einer tieferen Zollbelastung bezogen werden kann, werde nun direkt in die USA geliefert. Der Nachteil hier: Das macht die Logistik ineffizient und steigert den bürokratischen Aufwand.
Rettungsanker Europa
Bleibt als letzte Hoffnung Europa, zumal sich die Exporte zu unseren Nachbarländern halbwegs stabil entwickelt haben. Rund ein Drittel der von Swissmem befragten Firmen liebäugelt mit einer Verlagerung der Tätigkeit in der EU. «Nur nach dem Frankenschock im Jahr 2015 war dieser Anteil noch deutlich höher», weiss Hirzel. «Doch der starke Franken hat die Importe damals so stark verbilligt, dass die meisten Firmen ihr Geschäftsmodell angepasst haben und geblieben sind.»
Vor dem Hintergrund des Zollhammers gewinnt die EU bei all ihren Unzulänglichkeiten enorm an Attraktivität für die Schweizer Wirtschaft: «Wir sind keine EU-Turbos, sondern pragmatische Geschäftsleute mit dem Wunsch nach stabilen Beziehungen zu unserem wichtigsten Absatzmarkt», sagt Hirzel. Deshalb stehe Swissmem geschlossen hinter den Bilateralen III, wie der Vorstand einstimmig beschlossen hat.
Hirzel kann sogar einem bei EU-Gegnern besonders umstrittenen Vertragsbestandteil viel Positives abgewinnen: «Hätten wir so einen Streitschlichtungsmechanismus wie in den Bilateraten III mit den USA, gäbe es einen formellen Weg, auf dem wir uns gegen die Zölle wehren könnten.»
Denn Rechtssicherheit ist in den Zeiten von Trump ein nicht zu unterschätzendes Gut.