KI durchleuchtet Kaufkraft
Für Reiche und Kaufsüchtige steigen wohl bald die Preise

Mit personalisierten Preisen testen Unternehmen die Schmerzgrenze ihrer Kunden. Vor allem US-Unternehmen setzen künstliche Intelligenz ein, um individuelle Preise zu berechnen.
Publiziert: 16:41 Uhr
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Die US-Fluggesellschaft Delta Air Line plante die Einführung von «personalisierten» Preisen.
Foto: Sven Thomann

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Peter Johannes Meier
Beobachter

Wir sind es schon gewohnt. Der Skilift kostet mehr, wenn wir in den Schnee wollen – und viele die gleiche Idee haben. Im Flieger wird es teuer, wenn wir kurzfristig einen der letzten Plätze ergattern. Dynamische Preise nennt man das. Die Preise ändern sich nach Nachfrage und Angebot, oft in Echtzeit. 

Das ist harmlos, verglichen mit Plänen vieler US-Unternehmen. Diese wollen Preise nicht bloss von den erwähnten, äusseren Bedingungen abhängig machen. Persönliche Eigenschaften der Kundinnen und Kunden sollen den Preis massgeblich bestimmen. Dazu gehören die Kaufkraft, besondere Vorlieben, Standortdaten unserer Reisen und Restaurantbesuche. Und ob wir wählerisch sind, bis wir einen Kauf abschliessen.

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Alles Faktoren, die eine künstliche Intelligenz mit zusätzlichen Informationen verwertet und daraus den Preis unterhalb der persönlichen Schmerzgrenze berechnet. Reiche werden auf diese Weise stärker zur Kasse gebeten. Kaufsüchtige ebenfalls, wenn sie ohne Preisvergleiche immer schnell zugreifen.

KI hat mich künstlich reich gemacht

Ein Selbstversuch zeigt, wie eine KI völlig falsche Annahmen trifft, was auch zu höheren Preisen führen könnte. Auf die Anweisung, ein Profil für mich selbst zu erstellen, generierte die KI ChatGPT einen Steckbrief, gemäss dem ich wohl zu den Grossverdienern zähle.

Nicht weil ich als Journalist arbeite, sondern weil ich bis 2007 auch mehrere Hundert Personen in drei grösseren Schweizer Unternehmen geleitet haben soll. Und das seit meinem 16. Lebensjahr. Die KI hat aus meinem damals angesparten Vermögen eine Rendite von monatlich 1500 Franken berechnet, zusätzlich zu meinem Journalistenlohn.

Meine Karriere ist frei erfunden

Nicht nur mein Bankkonto bestätigt mir, dass hier etwas nicht stimmen kann. Meine Management-Tätigkeiten sind frei erfunden. Genauer: Die KI hat die sonst treffenden Einschätzungen mit Attributen einer anderen Person gemixt. Ich war also Doppelverdiener.

Man mag hoffen, dass auf Preisbildung spezialisierte KI validere Resultate liefern, indem sie Ergebnisse mit zusätzlichen Daten abgleichen. Immerhin konnte ich die Manager-Tätigkeit aus meinem Profil entfernen, indem ich von der KI genauere Abklärungen verlangte.

In der Schweiz noch wenig verbreitet

Europäische Unternehmen arbeiten noch kaum mit personalisierten Preisen. Das zeigen zumindest automatisierte Tests bei Handelsunternehmen, die die Fachhochschule Wedel (D) durchgeführt hat.

Und in der Schweiz? «Es gibt Hinweise darauf, spezifisch auf KI-generierte Preise im Bereich des Onlinehandels», sagt der stellvertretende Preisüberwacher Beat Niederhauser. Meist spiele dort aber vermutlich der Wettbewerb, sodass ein Eingreifen des Preisüberwachers weder angezeigt noch möglich sei.

Verboten sind personalisierte Preise nicht, auch wenn sie mit einer KI berechnet werden. «Wir sehen auch keine besondere Informationspflicht für die Anbieter, wenn sie mit KI Preise personalisieren», sagt Fabian Maienfisch, Sprecher des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zum Beobachter. Grundsätzlich seien Anbieter frei, ihre Preise festzulegen. Die Preise müssten aber transparent bekanntgegeben werden und dürften nicht irreführend sein. Konkrete Information und Transparenz verlangt allerdings das Datenschutzgesetz. «Hersteller, Anbieter und Verwender von KI-Systemen müssen den Zweck, die Funktionsweise und die Datenquellen der auf KI beruhenden Bearbeitungen transparent machen», sagt Katja Zürcher, Sprecherin des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Edöb).

Dieses Recht auf Transparenz sei eng verbunden mit dem Anspruch betroffener Personen, einer automatischen Datenbearbeitung zu widersprechen. Alternativ könnten sie auch verlangen, dass automatisierte Einzelentscheidungen von einem Menschen überprüft werden. 

Heute sind es noch vorwiegend US-Unternehmen, die auf KI-generierte Personalisierung setzen – nicht ohne Widerstand. Die amerikanische Fluggesellschaft Delta Airlines sorgte mit entsprechenden Ankündigungen gegenüber Investoren für einen Shitstorm. Und für Kritik der Demokraten im Senat. Anfang August relativierte das Unternehmen seine Pläne. Persönliche Daten von Kunden sollen jetzt angeblich doch nicht verwendet werden.

Zurück zum Basar

Personalisiert wird heute oft nicht über den Kaufpreis, sondern über Rabatte, die Kunden abgeleitet aus ihren Profilen erhalten. Das kennen wir in rudimentärer Form auch in der Schweiz: Die Migros mit ihren Cumulus-Konten oder Coop mit den Supercard-Konten. Laut Preisüberwacher gelten für solche Rabatte die gleichen Regeln wie für personalisierte Preise.

Mehr Personalisierung im Marketing und bei der Preissetzung wird kaum aufzuhalten sein. Dieser Fortschritt ist gleichzeitig ein Rückschritt – zurück zum Basar. Der Händler muss die Kaufkraft jedes einzelnen Kunden wieder einschätzen, bevor er seinen Preis nennt. Neu einfach über künstliche Intelligenz. Wie sich Kundinnen und Kunden darauf vorbereiten können, steht in der Box «Tipps: So vermeiden Sie überteuerte Preise».

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