Gewerkschaft fordert «Switzerland first» bei Ausschreibungen
«Wenn andere Länder ihre Industrie stützen, muss die Schweiz reagieren»

Um die Auswirkungen der US-Zölle zu dämpfen, schlägt Unia-Präsidentin Vania Alleva eine Bevorzugung von Schweizer Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen vor. Es geht um Milliarden, die Schweizer Firmen zufliessen könnten.
Publiziert: 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 14:36 Uhr
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Vania Alleva: «Wenn andere Länder ihre Industrie gezielt stützen, dann muss die Schweiz reagieren.»
Foto: STEFAN BOHRER

Darum gehts

  • Unia fordert Lohnerhöhungen trotz Krise und verteidigt ihre Position
  • Gewerkschaft setzt auf öffentlichen Verkehr statt Rüstungsindustrie für Wirtschaftswachstum
  • Öffentliche Hand vergibt Aufträge im Umfang von fast 10 Prozent des BIP
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Beat SchmidFester Mitarbeiter Blick

Blick: Diese Woche haben Sie Ihre Lohnforderungen für 2026 bekanntgegeben. Die Unia fordert eine Steigerung um 2 bis 2,5 Prozent. Ist das nicht das falsche Signal in der Krise?
Vania Alleva:
Nein. Die Löhne haben in den letzten Jahren stagniert. Angesichts der Produktivitätsfortschritte und steigender Preise sind Erhöhungen gerechtfertigt.

Aber das wird die Konkurrenzfähigkeit von Schweizer Unternehmen, die bereits unter den Zöllen leiden, weiter schwächen.
Die Zollsituation ist für einige exportorientierte Unternehmen sicher schwierig, aber längst nicht alle sind betroffen. Die Ökonomen des Gewerkschaftsbunds haben berechnet, dass 99 Prozent der Jobs nicht direkt von den amerikanischen Zöllen betroffen sind. Deshalb sind auch in der Industrie Lohnerhöhungen nötig und möglich.

Glauben Sie das wirklich? Allein in der Uhrenindustrie arbeiten mehr als ein Prozent der Beschäftigten.
Ich gehe davon aus, dass die Zahlen des SGB stimmen. Die SGB-Ökonomen sind bekannt für ihre Punktlandungen.

Trotzdem muss es doch auch im Interesse der Unia sein, möglichst viele Jobs zu erhalten.
Natürlich. Aber das erreichen wir nicht, indem wir in Panik verfallen wie der Industriellenverband Swissmem, der sofort alte Deregulierungswünsche aus der Schublade geholt hat. Die Zölle dürfen nicht missbraucht werden, um Arbeits- und Lohnbedingungen zu verschlechtern. Zudem setzen wir uns für den Ausbau der Kurzarbeit auf 24 Monate ein.

Swissmem fordert auch, dass mehr in die Rüstungsindustrie investiert wird.
Das ist völlig verfehlt. Rüstung schafft weder nachhaltigen Wohlstand noch langfristige Beschäftigung. Wir müssen vielmehr den ökologischen und sozialen Umbau der Wirtschaft vorantreiben. Das ist auch eine grosse Chance für die Schweizer Industrie. Statt auf Waffen setzen wir auf zivile Leitindustrien – etwa den öffentlichen Verkehr und die Rollmaterialindustrie.

Was meinen Sie damit konkret?
Der öffentliche Verkehr hat eine immense volkswirtschaftliche Bedeutung: Er bringt Menschen zur Arbeit und Güter ans Ziel. In der Schweiz gibt es zwei grosse Rollmaterialproduzenten, Stadler und Alstom, und rund 170 Zulieferbetriebe im MEM-Bereich. Diese Wertschöpfungsketten sichern Tausende Arbeitsplätze in allen Regionen. Investitionen in diese Branche schaffen Produkte, die ökologisch sinnvoll sind und dem gesellschaftlichen Wohlstand dienen.

Das öffentliche Beschaffungswesen soll als Hebel in der Krise dienen?
Genau. Die öffentliche Hand vergibt Aufträge im Umfang von fast zehn Prozent des BIP – das hat eine enorme Steuerungswirkung. Dieses Potenzial muss genutzt werden, um nachhaltige Arbeitsplätze und gute Löhne in der Schweiz zu sichern.

Ein aktuelles Beispiel ist die Ausschreibung der SBB über vier Milliarden Franken für neue S-Bahnen.
Wenn die Aufträge im Land bleiben, profitieren nicht nur die Hersteller, sondern auch über 170 Zulieferbetriebe. So werden Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Know-how in der Schweiz gesichert.

Heisst das, Sie wollen, dass Stadler Rail den Zuschlag erhält?
Uns geht es nicht um eine bestimmte Firma, sondern um die Kriterien für die Vergabe. Wenn mit Stadler ein Schweizer Anbieter diese am besten erfüllt, umso besser.

Müsste nicht der Preis allein über den Zuschlag entscheiden?
Nein, das Gesetz sieht neben dem Preis auch soziale, ökologische und strategische Aspekte bei der Vergabe vor. Kriterien wie Gesamtarbeitsverträge oder dass ein bestimmter Produktionsanteil in der Schweiz erfolgt, können und sollen angewendet werden.

Sie fordern also eine Art «Buy Switzerland Act» nach amerikanischem Vorbild?
Im Rüstungsbereich existiert bereits eine Vorgabe, dass 60 Prozent des Beschaffungsvolumens in der Schweiz vergeben werden sollen. Wir sehen keinen Grund, warum das nicht auch in anderen Branchen gehen sollte. Es geht nicht um Abschottung, sondern um die Stärkung sozial und ökologisch sinnvoller lokaler Wertschöpfung.

Damit zieht aber die Schweiz protektionistische Hürden hoch, die eigentlich nicht im Interesse einer kleinen offenen Volkswirtschaft liegen. Der Erfolg der Schweizer Industrie liegt ja gerade im offenen Zugang zu möglichst vielen Märkten.
Es geht nicht darum, Grenzen hochzuziehen. Aber wenn andere Länder ihre Industrie gezielt stützen, dann muss die Schweiz reagieren. Das öffentliche Beschaffungswesen wurde 2021 reformiert, genau um Aspekte wie soziale und ökologische Nachhaltigkeit und positive Auswirkungen auf den Werk- und Ausbildungsplatz Schweiz zu berücksichtigen. Wir wollen, dass die Mittel der öffentlichen Hand nachhaltige Jobs und faire Löhne sichern.

In der Debatte ist zuletzt auch die Forderung nach einer 45-Stunden-Woche laut geworden. Wie stehen Sie dazu?
Das ist aus unserer Sicht der falsche Ansatz. Schon heute sind viele Beschäftigte durch Digitalisierung, Schichtarbeit und ständige Erreichbarkeit stark belastet. Eine Verlängerung der Arbeitszeit gefährdet Gesundheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Damit liessen sich Margenrückgänge wegen der Zölle teilweise kompensieren.
Das Gegenteil ist der Fall: Überlange Arbeitszeiten führen zu Stress, Krankheitsausfällen und höheren Kosten. Produktivität entsteht durch Innovation, Weiterbildung und gute Arbeitsbedingungen – nicht durch mehr Stunden. Es wäre ein Rückschritt in eine Arbeitswelt, die wir längst überwunden glaubten. Wir brauchen kürzere, nicht längere Arbeitszeiten. Die Zukunft unserer Industrie liegt in einer ökologisch und sozial sinnvollen Produktion, die auf Innovation setzt.

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