Darum gehts
Die Credit Suisse ist Geschichte. Doch ihre Geschichte ist noch nicht vorbei. Ein Teilaspekt davon – die Folgen des Greensill-Skandals – wird derzeit vor dem Londoner High Court verhandelt: 10 Milliarden Dollar hatten die Top-Tausend-Kunden in die sogenannten Greensill-Fonds der Credit Suisse investiert.
10 Milliarden Dollar in Fonds, bei deren Produktstart geschlampt wurde, die mangelhaft überwacht waren, bei denen unzählige Warnhinweise übergangen wurden und bei denen die Risiken für die Kunden kleingeredet wurden.
Das ist das Fazit der Finma-Verfügung und des Untersuchungsberichts der Kanzlei Wenger Plattner zum Fall Greensill. Beide bis dato streng geheime Dokumente hat der Londoner High Court neulich auch für die Medien freigegeben. Die Handelszeitung hat sich mithilfe eine Anwalts die Dokumente besorgt.
Der Fall beschäftigt weltweit die Justiz
Der Fall Greensill gilt als einer der Skandale, die den Anfang vom Ende der Grossbank einleiteten. Im März 2021 kollabierte das Greensill-Kartenhaus, und die CS musste die Fonds schliessen. Der Fall beschäftigt bis heute die Gerichte. Nun sehen sich die damaligen Protagonisten wie Lex Greensill (48) und Eric Varvel, damaliger Leiter des Assetmanagements der CS, in London vor Gericht als Zeugen wieder.
Die unheilvolle Geschichte nahm im März 2016 ihren Anfang: Damals stellte der frühere Chef des Fondshauses GAM, David Solo (60), den Kontakt zwischen dem Australier Lex Greensill und Michel Degen her. Der Baselbieter Degen, einst ein Bankstift bei der Credit Suisse, stand 2016 im Zenit seiner Karriere und war frisch gekürter Chef des Assetmanagements Schweiz (CSAM).
Und da war Lex Greensill, Sohn eines australischen Melonenbauern. Dieser hatte in London eine Finanzboutique eröffnet und suchte nach Kundschaft. Greensill und Degen wurden zu engen Geschäftspartnern. Degen brachte aus der Credit Suisse die Kundschaft, Greensill hatte die Nase für neue Produkte. Eines davon waren seine Lieferkettenfonds.
Schon der Start war von Schlamperei geprägt, denn wenn die CS solche neuartigen Geschäfte eingehen wollte, sahen die internen Regeln eigentlich eine Prüfung durch das New Business Department vor. Doch das Kontrollgremium nahm es locker: Für einen neuen Fonds namens «Virtuoso», der in Greensill-Lieferkettenpapiere investieren sollte, reiche die Prüfung durch das wenig formale New Product Board, kurz NPB. Als sich das Gremium für die finale Besprechung zum Start eines ersten Greensill-Fonds traf, war die Hälfte des NPB gar nicht anwesend – auch Degen nicht.
Immerhin sahen einige Beteiligte ein Risiko darin, dass allein Greensill die Lieferkettenpapiere als sogenannter Originator dem neuen CS-Fonds liefern sollte. Da die Bank mit ihm bis dato keine Beziehung hatte, wurde entschieden, Greensill und seine Boutique einer Due-Diligence-Prüfung zu unterziehen. Aber: «Das Ergebnis der Due Diligence lag zum Zeitpunkt der Sitzung des NPB zur Lancierung des Fonds allerdings nicht vor», stellen die Finma-Ermittler fest.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Schlampige Due Diligence
Dennoch wurde der neue Fonds aufgelegt – unter der Bedingung, dass die Prüfung positiv ausfallen würde. Die Prüfung des neuen Geschäftspartners Greensill war aber laut Finma liederlich: ein Fragebogen mit kurzen Antworten, nur vier Beilagen. «Widersprüchliche Angaben in Bezug auf den Versicherungsschutz wurden seitens der Bank nicht hinterfragt. Ebenso wenig Hinweise auf ausgefallene Schuldner und pendente Zivilprozesse bei Greensill», schreibt die Finma.
Sprich: Die CS hätte wissen müssen, dass Greensill kein vertrauenswürdiger Partner ist, dem man quasi die Schlüssel für die Kundengelder übergeben darf. Auch allfällige Reputationsrisiken wurden nicht analysiert. Ohne echte Prüfung wurde der neue Fonds am 24. April 2017 lanciert und der Kundschaft feilgeboten. Eine Fahrlässigkeit.
Damals lechzten vermögende Kunden nach Rendite, herrschte doch ein Nullzinsumfeld. Degen bewarb das neue Wunderprodukt im von ihm gegründeten Magazin «Scope» mit verheissungsvollen Worten: «Damit Anleger ihre Mittel ähnlich wie am Geldmarkt kurzfristig anlegen und attraktive Renditen erzielen können.» Auch Lex Greensill kam zu Wort, in einem mehrseitigen Interview mit dem Titel «Mir liegen die KMU am Herzen».
Fondsgelder schnellen in die Höhe
Das schlug ein: Im Februar 2018 folgte der High Income Fonds, im Dezember mit dem Investment Grade Fonds ein drittes Produkt. Zu diesem Zeitpunkt hatten die ersten beiden Fonds 2,8 Milliarden Dollar eingesammelt, der erste lancierte Greensill-Fonds namens Virtuoso gehörte damals bereits zu den zwanzig grössten der Credit Suisse.
Degen und sein Chef, Eric Varvel, Chef des Assetmanagements, waren die Stars der Bank. Und kassierten tüchtig mit. Denn sie hatten vorgängig eine Bank in der Bank konstruiert, indem das Credit Suisse Asset Management (Schweiz) in eine eigene AG ausgelagert wurde. Der Grund: eigene Regeln, eigenes Entlohnungssystem und ein schwacher Verwaltungsrat, bestückt mit Ständerat Ruedi Noser (64) – und das in einem hochkomplexen, globalen Geschäftsumfeld. Die Berater der Bank wurden so incentiviert, dass sich der Verkauf der heiklen Fonds auch für sie lohnte.
In Sachen Risikomanagement nahm es die famose Truppe unter Varvel dagegen nicht so genau. So hatte die CS mit Greensill ein sogenanntes Warehousing Agreement abgeschlossen, welches regelte, dass die Fondsmanager der CS mehr oder weniger verpflichtet waren, die von Greensill angebotenen Notes zu erwerben. «Die Möglichkeit zur Ablehnung von Notes war beschränkt und wurde selten genutzt», stellt die Finma fest.
Diese beschränkte Handlungsfreiheit des Fondsmanagers wurde zwar korrekt in den Prospekten dargestellt, nicht aber in den Kundeninformationen. «Stattdessen wird der CSAM eine angeblich aktive Rolle im Portfolio- und Risikomanagement sowie im Investmentprozess zugeschrieben», heisst es in der Verfügung. Die Prüfung der Marketingunterlagen fand dabei in Polen statt, wobei selbst die CS-Compliance-Leute in Zürich daran zweifelten, dass ihre Kolleginnen und Kollegen in Polen die komplexen Lieferkettenfonds verstehen würden.
Kunden wurden im Unklaren gelassen
Noch heikler: Im Laufe der Zusammenarbeit mit Greensill änderte sich auch die Art der Anlagen, die dieser in die Fonds packte. Waren es zu Beginn real existierende Forderungen eines Lieferanten, wurden später auch sogenannte Future Receivables aufgenommen. Das sind künftige, geplante Rechnungen, die verbrieft und den Kunden verkauft wurden. Ein Vorgehen, das noch höhere Risiken barg.
Doch über die Existenz dieser Art von Luftbuchungen liess die CS ihre Kunden weitgehend im Unklaren. «Der Begriff ‹Future Receivables› erschien weder in den Fondsprospekten noch in den Marketingmaterialien», stellten die Finma-Ermittler nüchtern fest. Überhaupt wurden ihre potenten Kunden über die Risiken der Greensill-Investments nicht richtig instruiert. «Die CSAM hat die Anleger über konkrete Produkteigenschaften nicht aufgeklärt und ist ihren Informationspflichten nur ungenügend nachgekommen», schreibt die Finma.
Lückenhafte Prüfung von Greensill, unvollständige Information der Kunden – doch es kam noch arger. Als fatal stellte sich heraus, dass CS-Vertrauensmann Lex Greensill im grossen Stil Schulden des Konglomerats GFG von Sanjeev Gupta (53) sowie von Firmen mit Bezug zur japanischen Holding Softbank in die CS-Fonds packte. Zwischen Juli und Ende 2018 hatte allein der Virtuoso-Fonds sagenhafte 45 Prozent seiner Anlagen in Notes mit Gupta-Bezug investiert – ein Klumpenrisiko sondergleichen.
Eigene Experten warnten von Gupta-Firmen
Dabei hatte schon im Juli 2016 – also vor der Lancierung der Fonds – die hauseigene Commodity-Trade-Finance-Abteilung der CS diverse Firmen aus dem Gupta-Imperium auf die schwarze Liste gesetzt, denen die Bank keine Finanzierung gewähren durfte. Das hielt das Assetmanagement der CS jedoch nicht davon ab, dass ihre Kunden dies via Greensill-Fonds dennoch taten. Es war das Ergebnis einer Einheit, die alles besser wusste und sich offenbar nicht dreinreden lassen wollte.
Daran änderten auch zahllose Warnungen nichts, die vom Start der Produkte 2018 bis zum Crash 2021 bei der CS eingingen. Nichts davon konnte die Zusammenarbeit mit dem vermeintlichen Finanzwunderkind Greensill erschüttern. Ein Prüfbericht der hauseigenen Compliance über Gupta-Risiken aus dem Jahr 2018 zum Beispiel wurde von den zuständigen Portfoliomanagern als substanzlos weggewischt.
Grundsätzlich hätte die CS Papiere von Greensill auch ablehnen können. «Da das Portfoliomanagement jedoch selbst keine Bonitätsanalysen durchführte, fehlten grundlegende Informationen, um dieses Ablehnungsrecht auch ausüben zu können», stellt die Finma fest. Sprich, die CS verliess sich blind auf ihren Partner Greensill – und der stellte sich bald schon als Kartenhausbauer mit ausgeprägtem Hang zur Blenderei heraus.
Greensill brach sein Wort – ohne Folgen
So wurde bei Treffen von CS-Managern mit Greensill Ende 2018 vereinbart, dass Greensill das Risiko aus den Gupta-Investments in den vier Fonds verringern soll. «You have my personal and unwavering commitment to this», versprach dieser treuherzig. Doch die Wahrheit sah anders aus: Binnen zwei Jahren wurden laut Untersuchung fünf Vereinbarungen dazu getroffen, das Exposure gegenüber dem Konglomerat GFG zu verringern. «Greensill Capital hat jede dieser Vereinbarungen wiederholt gebrochen», schreibt die Finma.
Trotz allem verteidigte CSAM-Manager Michel Degen seinen Geschäftspartner Greensill durch alle Böden. Am 20. Juni 2019 ging beim damaligen Bank-CEO Tidjane Thiam (62) ein anonymes E-Mail ein, in dem detailliert vor Risiken der Greensill-Papiere und deren dubiosen Schuldnern gewarnt wurde. Degen verfasste eine Stellungnahme zuhanden der Geschäftsleitung. Darin stellte er Greensill Capital als einen Toppartner dar, den die Bank eingehend unter die Lupe genommen habe. «Den hierbei verwendeten Text entnahm er wörtlich der Stellungnahme von Lex Greensill», schreibt die Finma.
Die negativen Presseberichte häuften sich, ab Mai 2019 fing auch die Aufsicht Finma an, der Bankführung Fragen zur Exposure gegenüber Gupta, Softbank und Greensill zu stellen.
In der Coronapandemie kam es dann zu Abflüssen aus den vier Lieferkettenfonds, Kunden zogen rund 2 Milliarden ab. Da tauchte Softbank auf und versprach, Fondsanteile im Wert von 1,5 Milliarden zu kaufen – unter der Bedingung, dass die Fonds weiterhin nur in Greensill-Papiere investieren. Kein Wunder, denn Greensill wiederum war ein wichtiger Financier von Gesellschaften, an denen Softbank beteiligt war. Und Softbank war auch noch an Greensill Capital selbst beteiligt.
Heikler Side-Letter
Aus Sorge, den japanischen Milliardenkonzern als Kunden zu verlieren, vereinbarte das CSAM-Management mit Softbank den geforderten Deal in einem Side-Letter, von dem laut Finma auch Degen Kenntnis hatte. Die «Financial Times» machte dann dieses Karussellgeschäft publik.
Nun wurde der Verwaltungsrat der Credit Suisse wach. Und der Chairman des Audit-Komitees, Richard Meddings, urteilte: «Das Verhalten der Führungskräfte ist leider entweder fahrlässig oder schlimmer.»
Eric Varvel, Degens Vorgesetzter, wollte seinen Schützling nur mit einer Bonuskürzung bestrafen. Zu wenig, befand der Verwaltungsrat, Degens Entlassung stand im Raum. Schliesslich einigte sich das Board auf eine Level-4-Sanktion – also eine Bonuskürzung mit scharfer Verwarnung. Degen blieb im Amt. Und die Geschäfte mit Greensill liefen weiter.
Schliesslich witterte die CS lukrative Deals und hoffte noch 2020, das Greensill-Imperium, das längst erodierte, an die Börse bringen zu können. Daher gewährte CS- Compliance-Chefin Lara Warner im Herbst 2020 trotz Bedenken der eigenen Kreditabteilung persönlich einen sogenannten Bridge-Loan von 140 Millionen Dollar an Greensill. Laut Finma-Bericht hielt es Warner dabei nicht für nötig, die Bedenken der eigenen Experten ihren Geschäftsleitungskollegen oder dem Verwaltungsrat mitzuteilen.
Auch CSAM-Chef Varvel übte sich in der Kunst des selektiven Informierens: Nach dem Fall mit dem Side-Letter hatte er McKinsey damit beauftragt, das Assetmanagement auf Herz und Nieren zu prüfen. Die Berater fertigten insgesamt drei Berichte an. Der Verwaltungsrat erhielt aber von Varvel nur die Kurzversion, in der die Risiken zu den Greensill-Fonds nicht erwähnt wurden.
Die vollständigen Berichte bekam das Board erst im März 2021 in die Finger. Daher enervierte sich Verwaltungsrat Andreas Gottschling, Vorsitzender des Risikoausschusses, dass Varvel dem Board ein «völlig falsches Bild» vermittelt habe.
Im März 2021 kollabierte das Greensill-Kartenhaus. Elf CSler, darunter Michel Degen, wurden gefeuert. Sein Chef Varvel verliess Ende 2021 die Bank, auch Gottschling schied aus dem Board aus.
Zwei Jahre später war die Credit Suisse nach 167 Jahren Geschichte. Die Folgen des Tuns der Manager im Greensill-Skandal wird die Gerichte noch Jahre auf Trab halten.