Ein Besuch vor Ort
Was läuft bei der Gebühren-Erhebungsstelle Serafe falsch?

Die Schweizerische Erhebungsstelle für Radio- und Fernsehabgaben sorgt immer wieder für Ärger – auch bei den Abonnentinnen und Abonnenten des Beobachters. Wir haben die Serafe besucht und nachgefragt.
Publiziert: 02.09.2025 um 16:49 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2025 um 16:58 Uhr
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Die Serafe AG ist seit 2019 im Fokus der Öffentlichkeit.
Foto: Keystone

Darum gehts

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Nicole Müller
Beobachter

Wir sind die Letzten, die aus dem Bus aussteigen: weit weg vom idyllischen Zürichsee, Industriezone Pfäffikon SZ. Betonmischer stehen neben aufgerissenen Strassenbelägen. Und wo, bitte, ist das Büro der Serafe? Wir irren umher. Endlich entdecken wir den Firmennamen auf einer Leuchttafel, versteckt zwischen einem Vermögensverwalter, einer Temporärvermittlung und einer Software-Firma. Wir haben uns das Zuhause der Erhebungsstelle für die Radio- und Fernsehabgabe pompöser vorgestellt – schliesslich werden hier Milliarden Franken verschoben.

Keine Teddybären

Erster Stock, Überwachungskamera, Panzertüren, Sicherheitsschleuse. Dahinter erwartet uns ein gut gelaunter Walliser: Erich Heynen, Kommunikation.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Der gross gewachsene Mann Mitte fünfzig trägt eine markante Brille zum grauen Haarschopf. Warum all die Sicherheitsvorkehrungen, fürchten Sie sich vor uns Gebührenzahlerinnen?

«Nein, das nicht. Aber wir verschicken nun mal keine Teddybären», sagt Heynen. Die Massnahmen würden den gängigen Sicherheitsstandards entsprechen.

Genervte Beobachter-Abonnentinnen und ‑Abonnenten

Überrascht hätte es uns nicht, wenn ab und zu randaliert würde. Im Beratungszentrum des Beobachters rufen immer wieder wütende bis verzweifelte Menschen mit scheinbar unlösbaren Problemen an. Ähnlich ist es mit der Inkassofirma Intrum – auch da waren wir diesen Frühling auf Hausbesuch.

Beim Besuch in Pfäffikon haben wir ein paar Fälle mitgebracht – samt Vollmacht, damit die Serafe uns die Daten zeigen darf. Die Regeln zum Datenschutz sind sehr streng. «Sie sind das erste Medium, das sich diese Mühe macht», sagt Heynen.

Weichkochen? Fehlanzeige

Auf dem grossen Bildschirm steht: «Schön, dass Sie heute bei uns sind, Beobachter!» Nett, aber so einfach lassen wir uns nicht weichkochen. Dazugestossen ist Stefan Bischof, der stellvertretende Geschäftsführer und Leiter Inkasso.

Man sieht dem sportlichen Mittdreissiger seine Funktion nicht richtig an. Vielmehr verbreitet er das Behagen eines Pfadileiters: verschmitztes Grinsen, sofort zur Stelle, wenn es ernst wird.

Heynen startet die Präsentation und referiert, wechselt vom vorderen Bein auf das hintere, jongliert mit Zahlen und Gesetzen. Immer ist Thema, wie falsch das Bild der Serafe in der Öffentlichkeit sei. Von «Adress-Chaos» oder «Rechnungs-Puff» könne keine Rede sein.

Wer verstehen will, wie die Serafe funktioniert, muss drei Dinge wissen:

  • Gebühren schuldet jeder Privathaushalt (335 Franken) und jeder Kollektivhaushalt (650 Franken), zum Beispiel ein Altersheim. Nichts zahlen muss, wer im Sammelhaushalt der Gemeinde gemeldet ist – etwa obdachlose Menschen.
  • Das Einwohnerregister bestimmt die Art des Haushalts und damit die Serafe-Rechnung.
  • Die Register-Daten sind sakrosankt für die Serafe. Sie darf sie weder kontrollieren noch beurteilen, noch ändern – auch wenn sie ganz genau weiss, dass etwas falsch ist.

«Kantone und Gemeinden liefern uns monatlich die Daten – unser Grundnahrungsmittel und die einzige Basis für die Rechnungen», sagt Heynen. Die Gemeinden und Kantone sind gesetzlich verpflichtet, die Einwohnerregister korrekt zu führen und sie aktuell zu halten.

Serafe-Rechnung ohne Haus

So weit verstanden. Kommen wir nun zu unseren Fällen: Ein Mann bezahlte die Rechnung gleich fünf Mal. Er hatte im E-Banking aus Versehen einen Dauerauftrag eingerichtet. Auf seine eingeschriebenen Briefe reagierte die Serafe zunächst nicht. Was ist da los, Herr Bischof, Herr Heynen? Bischof startet die Falldatenbank. Da sieht man: Die Serafe hat nach einer Weile doch alles zurückbezahlt.

Nächster Fall: Eine Frau hat die Rechnung 2019 bezahlt, wurde trotzdem gemahnt. Sie reichte den Zahlungsbeleg ein, doch die Serafe betrieb sie trotzdem. Die Begründung: Die Kundin hat eine falsche Referenznummer angegeben, das Geld ging zurück. Das System zeigt: Nach der korrekten Zahlung zog die Serafe die Betreibung zurück.

Ein Klassiker

Und schliesslich: Ein 93-jähriger Mann, der ins Altersheim musste. Weil es in seiner Aargauer Gemeinde keines gab, zügelte er in eine Einrichtung in der Nachbargemeinde. Er verkaufte das Haus. Das war nicht einfach für ihn – er hatte 90 Jahre am alten Ort gewohnt.

Obwohl der betagte Mann nicht mehr in seiner Heimatgemeinde wohnte, sollte er weiterhin Serafe-Gebühren von 335 Franken für den Privathaushalt bezahlen. Dabei lebte er inzwischen in einem Kollektivhaushalt – und das kostet gerade mal 650 Franken für alle Bewohner zusammen, sprich: nur einen Bruchteil pro Person.

«Ein Klassiker», sagt Heynen. Solange jemand in einem Privathaushalt gemeldet sei, müsse die Serafe eine Rechnung schicken. «Wir verstehen aber, dass das auf grosses Unverständnis stossen kann.» Trotzdem sei das Gesetz klar. Einzig der zuständige Einwohnerdienst darf Haushaltsdaten korrigieren.

Juristisch falsch

Und tatsächlich: Der Mann war zunächst noch mit Hauptwohnsitz in der Heimatgemeinde gemeldet. Mit gutem Grund, wie der Sohn dem Beobachter erklärt: «Mein Vater ist tief verbunden mit dem Ort, möchte weiterhin da Steuern zahlen und bestattet werden.» Als Einheimischer, nicht als Auswärtiger.

Eigentlich geht das juristisch nicht, er hätte sich am neuen Ort anmelden müssen. Aber die Gemeinden lassen dem Mann seinen Willen, «verschieben» ihn am alten Ort in den Sammelhaushalt und vermerken die Altersheim-Gemeinde als Nebenwohnsitz. Die Serafe schickt ab dieser Mutation keine Rechnungen mehr. «Ob diese Lösung juristisch korrekt ist, hat die Serafe nicht zu würdigen», sagt Heynen.

Die Zahlen zur Serafe
  • 6,5 Millionen Datensätze werden der Serafe geliefert, jeden Monat. Von 2000 Gemeinden, 26 Kantonen, zwei Bundesämtern und weiteren Stellen.
  • 350’000 Rechnungen verschickt die Serafe monatlich, für durchschnittlich 100 Millionen Franken Abgaben.
  • 123 Millionen Franken an Vergütung erhält die Serafe von 2019 bis Ende 2025 für ihre Arbeit.
  • 6,5 Millionen Datensätze werden der Serafe geliefert, jeden Monat. Von 2000 Gemeinden, 26 Kantonen, zwei Bundesämtern und weiteren Stellen.
  • 350’000 Rechnungen verschickt die Serafe monatlich, für durchschnittlich 100 Millionen Franken Abgaben.
  • 123 Millionen Franken an Vergütung erhält die Serafe von 2019 bis Ende 2025 für ihre Arbeit.

Der betagte Herr und sein Sohn sind zufrieden. Nur dass die Serafe nicht mitgeteilt habe, dass sich die Sache erledigt hätte, ärgert den Sohn: «Kundenfreundlich ist das nicht.»

Eigentlich nicht so kompliziert

Manchmal sind Haushalte aber auch falsch erfasst im Register. «Nicht falsch», sagt Heynen, «nur unscharf!» Ja, wir haben gelernt: Die Serafe darf nichts dazu sagen, wie die Register geführt werden.

Dabei ist das System gar nicht so kompliziert, würde man meinen. Jedem Menschen sind ein Gebäude (Gebäudeidentifikator, EGID) zugeordnet und eine Wohnung (Wohnungsidentifikator, EWID). Wer die gleiche EGID-EWID-Kombination hat, wohnt im gleichen Haushalt. Wenn die Daten falsch sind, sind es auch die Serafe-Rechnungen. Etwa wenn Nachbarn in unterschiedlichen Wohnungen den gleichen EWID haben, bekommen sie eine gemeinsame Rechnung.

Trotz tiefer Fehlerquote: Turbulenzen

«Besonders als wir 2019 gestartet sind, hat uns in den Medien ein negativer Ruf begleitet», sagt Heynen. Dabei funktioniere das aktuelle Abgabesystem gut, und die Datenqualität verbessere sich stetig: «Weniger als ein Prozent der Rechnungen verursachen Probleme.» Aber bei den riesigen Datenmengen löse auch dieser kleine Teil schon beachtliche Turbulenzen aus – und beschäftige den Grossteil des Serafe-Personals.

Macht das Sinn?

Wäre es nicht besser, wenn die Serafe in klaren Fällen wenigstens Haushalts-Konstellationen in ihrem System anpassen dürfte, so wie das ihre Vorgängerin Billag noch konnte?

Diese erhob die Gebühren noch pro Empfangsgerät. Dabei harzte es bei diversen Konstellationen, darum wurde das Abgabesystem von den Geräten entkoppelt und vereinfacht. Seit 2019 zahlt jeder Haushalt einen Franken pro Tag an die Serafe – Geräte hin oder her. Das macht den Vollzug einfacher und günstiger: Der Bundesrat konnte die Abgabe von 451 auf 365 Franken senken, später auf 335.

Die Lösung

Trotzdem sagt Heynen: «Es wäre theoretisch einfacher, wenn wir in eindeutigen Fällen Daten anpassen könnten.» Und spricht ein weiteres Problem an: Wer Ergänzungsleistungen (EL) bekomme, schulde keine Abgabe. Doch nach der heutigen Rechtslage wird das der Serafe nicht automatisch gemeldet, sondern Betroffene müssen jedes Jahr mühsam den Beleg als Befreiungsgesuch einreichen.

Beide Probleme können nur gelöst werden, wenn das Parlament das Gesetz anpasst.

Drei Stunden und 61 Folien später stehen wir wieder draussen. Wir verstehen unsere verärgerten Leserinnen und Leser noch immer.

Aber: Über 99 Prozent korrekte Rechnungen sprechen für ein solides System. Trotzdem könnte die Politik mit den erwähnten Änderungen die Problemfälle weiter senken.

Mitarbeit: Katharina Siegrist und Fabienne Stich 

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