Grösse ist nicht alles
«Das grösste Risiko sind ich und mein Stellvertreter»

Die kleinste Schadensversicherung der Schweiz ist der Beweis, dass im Versicherungsgeschäft Grösse allein nicht alles ist.
Publiziert: 10:46 Uhr
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Aktualisiert: 11:25 Uhr
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Roman Kunz, Geschäftsleiter der Appenzeller Versicherungen, setzt auf den persönlichen Kontakt mit den Versicherten statt auf anonyme Formulare.
Foto: Kim Niederhauser

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Peter Rohner
Handelszeitung

Grösse ist in der Assekuranz ein Vorteil: Die Risiken können besser gestreut und die Fixkosten auf viele Prämien verteilt werden. Kein Wunder, schliessen sich immer mehr Versicherungen zusammen – die Fusion der Helvetia mit der Baloise ist das jüngste Beispiel für diesen Trend. Doch es geht auch anders: Das beweisen die Appenzeller Versicherungen (AV). Sie sind mit einem Prämienvolumen von knapp 4 Millionen Franken und vier Angestellten die kleinste Versicherung der Schweiz. «Zusammen kommen wir auf 320 Stellenprozent», präzisiert Roman Kunz. Er ist seit 2015 Geschäftsführer der Genossenschaft, die vor über 150 Jahren als Feuerversicherungsgesellschaft gegründet wurde.

Bei so wenig Personal kann es schon mal vorkommen, dass man ihn allein im geräumigen Büro in Appenzell antrifft. So wie an diesem verregneten Morgen in der Sommerferienzeit. «Aber einer von uns, mein Stellvertreter oder ich, ist immer hier», versichert Kunz. Denn die Nähe zu den Kunden ist es, was die Miniversicherung ausmacht und letztlich auch deren Existenz erklärt.

Roman Kunz ist Geschäftsführer, Head of IT, Anlagechef und Schadensbearbeiter in Personalunion. Hier im Gespräch mit der Handelszeitung über die Vor- und Nachteile der Kleinheit im Versicherungsgeschäft.
Foto: Kim Niederhauser

Zur Kundennähe gehört, dass immer jemand erreichbar ist. «Über das Wochenende wird das Telefon auf mindestens einen unserer Privatanschlüsse umgeleitet, und wir fahren dann bei Bedarf auch zum Schadensort hin.» Weit ist es in der Regel nicht. Erst seit 2001 wird auch Kundschaft von ausserhalb des Halbkantons angenommen. Typische Versicherte sind Eigenheimbesitzende, die eine Hausratversicherung brauchen – oder eine Gebäudeversicherung, da es in Appenzell Innerrhoden weder eine allgemeine kantonale Gebäudeversicherung noch ein Obligatorium dafür gibt. Über Klumpenrisiken macht sich Kunz keine Sorgen. Denn er kalkuliert langfristig und vertraut auf die Kapitalstärke. Es könne zwar vorkommen, dass in einem Jahr die Schäden einzelner Sparten dessen Prämien übersteigen, aber über längere Zeit gleiche sich das aus.

Grosses Personenrisiko

Was an diesem wolkenverhangenen Regentag nicht sofort erkennbar ist: Gleich hinter dem Dorf beginnt der Alpstein. Innerrhoden ist ein Bergkanton, wo Felsen abbrechen, Hänge rutschen und Niederschläge den Pegel der Sitter im Nu anschwellen lassen. Doch Versicherungsmann Kunz muss sich über diese Risiken nicht den Kopf zerbrechen. Denn gegen diese sogenannten Elementarschäden wie auch gegen Feuer- und Diebstahlschaden ist die Kleinversicherung durch Rückversicherungsverträge abgesichert. Für die Erfolgsrechnung entscheidend sind vor allem jene Schadensfälle, die nicht rückversichert sind. Zu den häufigsten gehören laut Kunz Wasserschäden und Glasschäden, zudem seien auch Kaskofälle zunehmend ein grosses Thema.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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«Das grösste Risiko sind ich und mein Stellvertreter», sagt er. «Denn es lastet sehr viel auf unseren Schultern.» So ist Kunz auch für die Informatik zuständig, Kollege Sepp Rusch verantwortet die Schadenbearbeitung seit fast 25 Jahren. Würden sie beide verunfallen, wäre die Versicherung nicht mehr funktionsfähig. Deshalb seien gemeinsame Ausflüge tabu, sagt Kunz, der in seiner Freizeit gerne aufs Mountainbike steigt.

Hohe Fixkosten, aber weniger Schäden

Die Kleinheit bringt weitere Nachteile, etwa bei den Kosten: «Wir sind wahrscheinlich einer der Versicherer mit den höchsten Betriebskosten», sagt er und verweist auf die regulatorischen Vorschriften. «Auch wir müssen einen Aktuar bezahlen, auch wir brauchen ein von der Finma zugelassenes Revisionsbüro.» Zum Glück aber sei man im Kleinversicherungsregime der Finma, das gebe etwas Erleichterung. So sei das Unternehmen zum Beispiel vom jährlichen Risiko- und Solvenz-Assessment (ORSA) befreit. Dennoch entsteht ein Aufwand, den man ebenso gut auf das Doppelte an Prämien verteilen könnte.

Wenn aber die Kosten in der Regel ein Nachteil sind, dann muss das Erfolgsrezept der Appenzeller Versicherungen bei tiefen Schadenzahlungen liegen. Wird womöglich weniger geschummelt, wenn man sich kennt? Behalten die Versicherten gewisse Fauxpas und Schäden lieber für sich? Für Kunz ist eher entscheidend, dass «die Leute hier dem Material mehr Sorge tragen». Und es komme auch immer wieder vor, dass Geschädigte erstaunt feststellen, was ihre Police alles versichert.

Prämien sind sicher angelegt

Genau wie die Grossen müssen auch die kleinen Versicherungen ihr Kapital so anlegen, dass sie jederzeit ihren Verpflichtungen nachkommen können. Bei der AV ist die Finanzplanung ebenfalls Chefsache. Unterstützung bekommt Kunz dabei von der Bank und einem Verwaltungsratsmitglied. Der grösste Teil des Kapitals sei in Kassenobligationen angelegt. Es dient als Schutz für die Kundschaft, damit im Konkursfall die bestehenden Forderungen wie Schäden gedeckt sind und zu viel bezahlte Prämien erstattet werden können.

Dass es so weit kommt, ist höchst unwahrscheinlich. Stolz verweist Kunz auf die Solvenzquote, die im Durchschnitt zwischen 700 und 800 Prozent liegt. Die Kennzahl misst, ob genug Eigenmittel da sind, um auch unter extremen Bedingungen die Leistungen erfüllen zu können. Bei den Grossen beträgt die Quote zwischen 200 und 250 Prozent. Liegt sie deutlich höher, werden schnell Klagen über ineffiziente Kapitalbewirtschaftung laut.

So mag die kleine AV zwar nicht die profitabelste Versicherung sein, sie ist dafür aber sicher, trotz ihrer Kleinheit. Und die Rechnung scheint für alle aufzugehen: für die Versicherung und ihre Kunden, die auch Genossenschafter sind.

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