Darum gehts
- Sozialdetektive spionieren Versicherten nach, um Missbrauch aufzudecken
- Observationen sind das letzte Mittel bei Verdachtsfällen
- Bundesamt für Sozialversicherungen setzte 2024 in nur 46 Fällen Sozialdetektive ein
Vom Gartenzaun aus observiert ein Detektiv die Frau, die Beete jätet. Laut ihrem Antrag für eine Invalidenrente kann sie sich wegen ihres Rückenleidens gar nicht bücken. Der Beobachter fotografiert die Szene, um beweisen zu können, dass sich die Frau mit unwahren Angaben an die Invalidenversicherung (IV) gewandt hat.
Sogenannte Sozialdetektive spionieren Versicherten nach, wenn ihre Rentenanträge unglaubwürdig erscheinen. Wenn es etwa Hinweise gibt, dass angeblich Arbeitsunfähige einer Tätigkeit nachgehen oder Verletzte im Fitnesscenter intensiv Sport treiben.
Aber bevor es zu Observationen kommt, prüfen die zuständigen Stellen Dossiers, Einkommensdaten, Informationen von anderen Versicherungen und besuchen Antragsteller zu Hause, ohne sich vorher anzumelden. Harald Sohns vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) sagt: «Die Observation ist immer das letzte Mittel in der Abklärung von Verdachtsfällen.» Zudem würden nur Sozialdetektive engagiert, wenn es um hohe Beiträge, kurze Beobachtungszeiträume und die Suche nach aussagekräftigen Beweisen gehe.
Zurückhaltende Praxis
Wie die letztjährigen Zahlen zeigen, setzt das BSV denn auch nur wenig auf Observationen, um Missbräuche aufzudecken. In lediglich 46 Fällen wurden Sozialdetektive eingesetzt. Das ist angesichts von fast 2300 Dossiers, in denen der Verdacht von missbräuchlichen Gesuchen bestand, marginal. In gesamthaft 150 Fällen entlarvte das BSV unrechtmässige Bezüge. Sprecher Sohns weist darauf hin, dass 2024 über 450'000 Personen Leistungen bezogen, sodass Verdachtsfälle und festgestellte Missbräuche «ausgesprochen tief» seien.
Den Einsatz von Sozialdetektiven handhabte das BSV schon in früheren Jahren zurückhaltend, es wurden auch in den Jahren 2021 bis 2023 jeweils nur ein paar Dutzend Observationen angeordnet. Die Praxis der Überwachung von Versicherten wurde im November 2019 mit einer Volksabstimmung verankert. Gegen die Gesetzesänderung war das Referendum ergriffen worden, doch zwei Drittel der Stimmbevölkerung sprachen sich für verdeckte Beobachtungen gegen Versicherungsmissbrauch aus.
Veto des Bundesgerichts
Bereits früher, zwischen 2010 und 2016, hatten die Invaliden- und die Unfallversicherung Observationen angeordnet. Doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesgericht hatten eine mangelhafte gesetzliche Grundlage dafür festgestellt. Die Privatsphäre werde verletzt, wenn eine Person unwissentlich überwacht werde. Deshalb schufen Bundesrat und Parlament Voraussetzungen, um in begründeten Verdachtsfällen Sozialdetektive einsetzen zu können.
Letztes Jahr deckte das BSV in 23 Fällen missbräuchliche Leistungsbezüge dank Observationen auf. Zehnmal erstattete das Bundesamt Strafanzeige, weil es einen schweren Rechtsverstoss vermutete. Eine Sozialversicherung, die solidarisch von den Steuerzahlenden finanziert werde, «muss aus prinzipiellen Gründen Missbrauch aufdecken und unterbinden», sagt BSV-Sprecher Sohns. Die Kosten für Observationen liegen im Bereich der vermiedenen Leistungen, in der Grössenordnung von 500'000 Franken.
Blochers Vermächtnis
Die Diskussion um ungerechtfertigte Bezüge von Invalidenrenten hatte Christoph Blocher im nationalen Wahljahr 2003 lanciert. Damals war Blocher Nationalrat und Präsident der Kantonalzürcher SVP, und er machte Wahlkampf mit dem Begriff «Scheininvalide», denen er die steigenden Kosten der Sozialversicherungen anlastete.
Wiederholt für politische Diskussionen sorgten auch Massnahmen gegen den ungerechtfertigten Bezug von Sozialhilfe. So hatte Emmen 2005 einen Sozialdetektiv angestellt, der vermutete Missbräuche verfolgte. Auch die Stadt Zürich engagierte dann 2007 drei Sozialdetektive, andere Städte und Gemeinden statteten Sozialhilfe-Gesuchstellern Hausbesuche ab, um Betrugsfällen vorzubeugen.
Seit der nationalen Abstimmung von 2018 schufen auch mehrere Kantone Rechtsgrundlagen, um Observationen veranlassen zu können. Im Kanton Zürich etwa hiess die Stimmbevölkerung 2021 eine Vorlage gut, die den Gemeinden den Einsatz von Detektiven erlaubt, falls der Verdacht auf Sozialhilfemissbrauch besteht.
Hohe Einsparungen
Noch häufiger als bei der IV sind ungerechtfertigte Leistungsanträge bei den Unfallversicherungen. Die Suva als grösstes Unternehmen – sie versichert rund 2,2 Millionen Berufstätige gegen Unfälle und Krankheiten – untersuchte 2024 über 2500 Dossiers, in denen Hinweise auf Missbrauch vorlagen. Über 900 Fälle mit bestätigtem Verdacht schloss die Suva letztes Jahr ab. Diese Zahlen gibt Sprecherin Simone Isermann bekannt. Observationen ordnet die Suva äusserst selten an, seit 2020 wurden lediglich viermal Sozialdetektive eingesetzt.
Sprecherin Isermann betont, bei Missbrauchsverdacht handle die Suva «konsequent und systematisch». Laut eigenen Angaben hat der Versicherer 2024 durch ein zielgerichtetes Vorgehen gegen unrechtmässige Ansprüche über 31 Millionen Franken eingespart. Die Missbrauchsversuche sind vielfältig: Sie reichten von Einzelpersonen, die Unfälle vortäuschten sowie durch falsche Angaben Taggelder oder Renten erschleichen wollten, über Firmen, die mit Schwarzarbeit oder betrügerischen Konkursen Sozialversicherungsprämien zu umgehen versuchten, gibt die Suva an. Zudem müsse sich die Versicherung auch immer wieder mit falschen Abrechnungen von Spitälern und Ärzten auseinandersetzen.