Den Werktätigen entgehen 7 Mrd Franken pro Jahr
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Die grosse Rentenschmelze
Den Werktätigen entgehen 7 Mrd Franken pro Jahr

Seit Ende der Finanzkrise haben sich die Börsenkurse verdoppelt. Dennoch müssen die Versicherten bei den Pensionskassen mit sinkenden Renten rechnen. Denn mit den Überschüssen werden die überhöhten Pensionen finanziert. Eine Reform soll das Problem entschärfen.
Publiziert: 10.03.2020 um 23:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2020 um 16:07 Uhr
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Sozialminister Alain Berset (47) stellte sich hinter den Sozialpartner-Kompromiss.
Foto: KEYSTONE/PETER SCHNEIDER
Guido Schätti

Die Corona-Krise lässt die Börsen einbrechen. Doch im Langfrist-Vergleich befinden sie sich noch immer auf einem hohen Stand. Letztes Jahr schoss die Schweizer Börse um 30 Prozent in die Höhe. Seit dem Ende der Finanzkrise haben sich die Kurse mehr als verdoppelt.

Für Pensionskassen müssten das goldene Zeiten sein. Schliesslich leben sie von den Erträgen an den Kapitalmärkten. Und tatsächlich: Laut dem Fondsanbieter Swisscanto erzielten sie letztes Jahr im Schnitt 11,5 Prozent Rendite. Der Deckungsgrad stieg auf 119 Prozent – ein Allzeithoch.

Dennoch herrscht bei vielen Kassen Katzenjammer. Auf den PK-Ausweisen, die sie in diesen Tagen verschicken, herrscht Magerkost: Die Versicherten zahlen mehr ein und bekommen später weniger heraus. Denn die Kassen brauchen den Grossteil der Überschüsse, um die überhöhten Renten der Pensionierten zu zahlen.

Aktive zahlen für überhöhte Renten

Das führt zu einer gigantischen Umverteilung: Seit 2014 flossen 40 Milliarden Franken von den Aktiven zu den Rentnern. Im Schnitt entgehen den Werktätigen jährlich 6,7 Milliarden Franken. Das zeigt eine Untersuchung der Oberaufsichtskommission des Bundes über die berufliche Vorsorge (OAK).

Die zweite Säule steht schief. Hauptgrund sind die überhöhten Umwandlungssätze, mit denen die Rentner in Pension geschickt wurden und teilweise noch immer werden.

Die Kassen liessen sich zu viel Zeit, um die Renten der gestiegenen Lebenserwartung und den fallenden Zinsen anzupassen. Da einmal gesprochene Renten nicht angetastet werden dürfen, müssen die Aktiven die Rentner finanzieren. Immerhin senkten die Kassen den Satz seit 2015 im Schnitt von über 6 auf 5,4 Prozent.

Kassen, die nur das BVG-Minimum versichern, haben diese Möglichkeit nicht. Sie sind per Gesetz dazu verpflichtet, die Versicherten mit Umwandlungssätzen von 6,8 Prozent in Rente zu schicken. Dafür ist eine jährliche Rendite von 4,7 Prozent nötig, was in Zeiten von Negativzinsen jenseits von Gut und Böse ist. Hier ist die Umverteilung besonders krass.

Neuer Anlauf für eine Reform

Vor zehn Jahren hätte der Umwandlungssatz gesenkt werden sollen. Mit dem Schlachtruf «Rentenklau» bodigte aber eine Allianz von Gewerkschaften, Linksparteien und Konsumentenschützern die Vorlage. Sie erreichte genau das Gegenteil von dem, was sie behauptete. Der grösste Rentenklau der Geschichte wurde Realität.

Jetzt nimmt die Politik einen neuen Reformanlauf. Der Bundesrat will den Umwandlungssatz im BVG-Minimum von 6,8 auf 6 Prozent senken. Damit übernimmt er den Kompromiss, den der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaften ausgehandelt haben.

Doch gratis ist die Anpassung nicht. Die Gewerkschaften stimmen der Senkung nur zu, wenn die kommenden 15 Jahrgänge der Neurentner lebenslänglich bis zu 200 Franken monatlich extra erhalten.

Die Folgen: Die Umverteilung verschwindet nur zu einem Drittel. Denn finanziert wird der Zustupf durch einen Lohnabzug von 0,5 Prozent – bezahlen müssen also einmal mehr die Aktiven.

Die wichtigsten Begriffe
  • Umwandlungssatz (UWS)
    Er bestimmt darüber, wie das angesparte Kapital bei der Pensionierung in eine Rente umgewandelt wird. Beispiel: Bei einem Vermögen von 250'000 Franken ergibt ein UWS von 6,8 Prozent eine Jahresrente von 17'000 Franken. Bei 6 Prozent sind es noch 15'000 Franken, bei 5 Prozent 12'500 Franken.

  • Obligatorium/Überobligatorium
    Im BVG-Obligatorium beträgt der UWS 6,8 Prozent. Die meisten Pensionskassen erheben aber höhere Sparbeiträge als das BVG-Minimum und versichern höhere Löhne als den BVG-Maximallohn. Die Konsequenz: Die Kassen können die UWS im Überobligatorium der realen Lebenserwartung und den tatsächlichen Renditen anpassen. Das führt zu tieferen UWS.

  • Umverteilung
    Bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Gelder von den Werktätigen zu den Pensionierten verschoben werden. Das ist eigentlich systemfremd, da in der zweiten Säule jeder für sich spart. Die bereits gesprochenen Renten der Pensionierten dürfen aber nicht gesenkt werden. Deshalb müssen die Aktiven für überzogene Renten aufkommen.

  • Sozialpartner-Kompromiss
    Er schlägt eine Senkung des Mindest-UWS von 6,8 auf 6 vor. Damit würde die Umverteilung reduziert. Um die Rentenausfälle von rund 12 Prozent zu kompensieren, erhalten die ersten fünf Jahrgänge 200 Franken pro Monat, die nächsten fünf 150 Franken, die letzten fünf 100 Franken. Das kostet 2,7 Milliarden und soll durch 0,5 Lohnprozente finanziert werden.
  • Umwandlungssatz (UWS)
    Er bestimmt darüber, wie das angesparte Kapital bei der Pensionierung in eine Rente umgewandelt wird. Beispiel: Bei einem Vermögen von 250'000 Franken ergibt ein UWS von 6,8 Prozent eine Jahresrente von 17'000 Franken. Bei 6 Prozent sind es noch 15'000 Franken, bei 5 Prozent 12'500 Franken.

  • Obligatorium/Überobligatorium
    Im BVG-Obligatorium beträgt der UWS 6,8 Prozent. Die meisten Pensionskassen erheben aber höhere Sparbeiträge als das BVG-Minimum und versichern höhere Löhne als den BVG-Maximallohn. Die Konsequenz: Die Kassen können die UWS im Überobligatorium der realen Lebenserwartung und den tatsächlichen Renditen anpassen. Das führt zu tieferen UWS.

  • Umverteilung
    Bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Gelder von den Werktätigen zu den Pensionierten verschoben werden. Das ist eigentlich systemfremd, da in der zweiten Säule jeder für sich spart. Die bereits gesprochenen Renten der Pensionierten dürfen aber nicht gesenkt werden. Deshalb müssen die Aktiven für überzogene Renten aufkommen.

  • Sozialpartner-Kompromiss
    Er schlägt eine Senkung des Mindest-UWS von 6,8 auf 6 vor. Damit würde die Umverteilung reduziert. Um die Rentenausfälle von rund 12 Prozent zu kompensieren, erhalten die ersten fünf Jahrgänge 200 Franken pro Monat, die nächsten fünf 150 Franken, die letzten fünf 100 Franken. Das kostet 2,7 Milliarden und soll durch 0,5 Lohnprozente finanziert werden.

Der Deal hat den Arbeitgeberverband gespalten

Der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaften verteidigen das Vorhaben. «Unser Modell schafft einen Mechanismus, um die stossende Umverteilung in der zweiten Säule in den Griff zu bekommen», sagt Arbeitgeber-Direktor Roland Müller (57) im BLICK-Interview. Ohne Reform sei die Stabilität des Gesamtsystems gefährdet.

Doch der Deal mit den Gewerkschaften hat die Arbeitgeber gespalten. Banken, Bau und Detailhandel sowie der Gewerbeverband scheren aus, ebenso der Pensionskassenverband Asip. «Der Vorschlag ist unnötig teuer und führt obendrein zu einer neuen Umverteilung von Jüngeren zu Älteren, statt diese zu reduzieren», sagt Asip-Direktor Hanspeter Konrad (59).

Er fordert eine Reduktion von 6,8 auf 5,8 Prozent. Kompensiert werden sollen die Ausfälle während zehn Jahren durch höhere Altersguthaben, die die Kassen selber tragen sollen: «Die entsprechenden Mittel sind bei den betroffenen Kassen bereits weitgehend zweckgebunden zurückgestellt», sagt Konrad.

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