Breitling-Boss Georges Kern will mehr Geld aus der Schweiz
«Ich arbeite an einem Vorschlag für einen Schweizer Staatsfonds»

Breitling-Chef Georges Kern ärgert sich, dass die Schweiz keinen Staatsfonds gegründet hat, der wichtige Staatsaufgaben finanzieren könnte. Zudem spricht er über Uhren, Krisen, Börse, Frauen, die Ukraine und das Verhältnis zur EU.
Publiziert: 29.06.2025 um 16:37 Uhr
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Aktualisiert: 29.06.2025 um 16:39 Uhr
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Georges Kern, Chef der Uhrenmarke Breitling im Interview in Grenchen.
Foto: MANUEL RICKENBACHERPHOTOGRAPHER

Darum gehts

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Andreas Valda
Handelszeitung

Die Schweizer Uhrenindustrie ist in einer Krise. Wie geht es Breitling, Herr Kern?
Georges Kern:
Wir sind zufrieden, danke. Wir meistern die Krise verhältnismässig gut und sind stabil.

Das heisst, es geht Breitling nicht ganz so schlecht wie der Konkurrenz?
Ich würde eher sagen, dass es uns bedeutend besser geht als vielen anderen Uhrenmarken. Es gibt sechs, sieben Marken, die gut laufen. Ich werde keine Namen nennen, aber jeder in der Industrie weiss, welche Marken es sind. Sie machen 60 bis 70 Prozent des Marktes für Schweizer Uhren aus.

Und Breitling gehört zu diesen sechs, sieben Marken?
Ja, Breitling ist da dabei.

Ihre Erklärung dafür?
In der Krise kaufen die Konsumenten nur zwei Dinge. Entweder etwas Aussergewöhnliches. Und da gibt es auch in der Uhrenindustrie Nischenmarken, die auch aktuell gut laufen.

Oder?
Oder die Konsumenten setzen auf einen sicheren Wert und gehen kein Risiko ein. In der Krise bleibt die Nachfrage nach Marken bestehen, die aus sich selbst heraus stark sind – vom Produkt über die Markenwerte bis zur Distribution et cetera. Nach Covid war die Nachfrage nach Luxusgütern so gross, dass unsere Branche schlicht alles verkaufen konnte. Heute ist das nicht mehr so. Erinnern Sie sich? Während Covid konnte man zum Beispiel keine Fahrräder mehr kaufen, man konnte die Nachfrage nicht decken. Jetzt bricht der Markt förmlich ein.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Selbst Velofan Kern kauft keine Velos mehr?
Doch. Aber ich verkaufe auch Fahrräder, die ich nicht mehr will.

Wie viele haben Sie?
Sieben.

Geht ja noch. Und wie viele Uhren besitzen Sie?
Deutlich mehr – ich bin seit dreissig Jahren in der Branche.

Zurück zum Geschäft, zum Uhrenbusiness. Warum geht es der Uhrenindustrie schlecht?
Was denken Sie?

Ihr geht es aus mindestens zwei Gründen schlecht: China und zu hohe Preise.
Beginnen wir mit China. Einige Marken hatten eine viel zu grosse Abhängigkeit von China. Wenn sie 50, 60 oder gar 70 Prozent des Umsatzes in China machen und der Markt bricht um die Hälfte ein, dann haben sie ein Problem. Ihr Umsatz bricht weg, die Fixkosten bleiben. So einfach ist das.

Georges Kern
Foto: MANUEL RICKENBACHER

Hat Breitling auch ein China-Problem?
China ist noch immer ein kleiner Markt für Breitling. Das ist Fluch und Segen zugleich. Aber wir wachsen, man höre und staune.

Was heisst klein?
China macht rund 4 Prozent unseres Umsatzes aus.

Wenn wir schon bei einzelnen Märkten sind: Gibt es Länder, in denen auch aktuell die Post abgeht?
Natürlich! Der Mittlere Osten boomt, Indien boomt, Mexiko boomt, Lateinamerika boomt. Auch die Schweiz.

Die Schweiz?
Ja, Touristen kaufen. Trotz des starken Frankens.

Warum?
Es ist etwas Besonderes, eine Schweizer Uhr in der Schweiz zu kaufen. Und Reisende aus Asien müssen quasi mit Geschenken aus dem Ausland zurück in die Heimat kommen.

Wie läuft es in den USA?
Der Markt wächst wieder.

Wirklich?
Ja, aber ich vermute, das Wachstum kommt mitunter daher, dass die Leute glauben, die Preise würden wegen der Zölle steigen. Also kaufen sie jetzt. Wir werden sehen, wie es weitergeht.

Reden wir über die Preise für Schweizer Uhren. Im Schnitt steigen und steigen diese. Das muss die Nachfrage reduzieren. Hat die Branche es übertrieben?
Klar ist: Das Schlimmste in unserer Industrie ist, wenn die Preise zu hoch sind für den Markt.

Weil?
Weil sie in der Luxusgüterindustrie die Preise nicht senken können. Da verärgern sie ihre Kundinnen und Kunden. Und den Handel.

Georges Kern
Foto: MANUEL RICKENBACHER

Und in dieser Situation sind wir aktuell?
Die Kunden verstehen, dass Preise steigen. Zum Beispiel, weil Gold viel teurer geworden ist. Oder wenn eine Uhr neu mit einem Manufakturwerk ausgestattet ist. Was die Kunden nicht verstehen, ist, wenn das identische Produkt plötzlich viel teurer wird. Wir haben das in der Modeindustrie gesehen. Handtaschen, die vor zehn Jahren noch 5000 Franken kosteten, sollen heute 10’000 Franken kosten. Das funktioniert nicht. Preise müssen zur Leistung passen, sie müssen Sinn machen. Preiserhöhungen gibt es dann, wenn quasi neue Inhalte angeboten werden. Ein Auto mit V6-Motor muss nicht gleich viel kosten wie ein Modell mit vier Zylindern.

Die Durststrecke der Branche zieht sich nun schon eine ganze Weile hin. Sehen Sie Anzeichen dafür, dass sich die Dinge zum Positiven wenden?
Ich bin wohl der Einzige, der dies sagt: Ich bin nun seit dreissig Jahren in der Branche und habe noch nie einen so langwierigen Krisenzustand erlebt. Es gab immer Krisen. Nach der Pleite von Lehman Brothers, der Lockdown und so weiter. Das ging dann drei, vier Monate – und dann war die Nachfrage wieder zurück. Aktuell ist das nicht der Fall.

Vielleicht weil die Welt, wie wir sie kennen, gerade abgewickelt wird?
Ja – wir haben den Krieg in der Ukraine, den Krieg im Nahen Osten, Zölle …

Und doch machen Sie einen gut gelaunten Eindruck.
Weil ich weiss, dass der Trend in unserer Branche aufwärtsgeht. Die Grundtendenz ist positiv. Da bin ich 100 Prozent sicher. Schauen Sie sich nur mal den Aktienkurs von Hermès an.

100 Prozent ist ein starkes Statement.
Wir sind Menschen. Und Menschen sind Epikureer. Wir sind Geniesser und kaufen uns früher oder später die Tasche oder die Uhr, die wir haben wollen. Wir gehen ins Restaurant und gönnen uns eine gute Flasche Wein. Wir sind so. Plus: Immer mehr Menschen haben Zugang zu Luxusprodukten, die Vermögen und die Gehälter steigen. Ich bleibe daher bei den 100 Prozent. Käufe mögen aufgrund von Krisen verschoben werden. Aber sie werden früher oder später getätigt.

Guter Punkt. Das aber ist eine Branchenperspektive. Sie als Chef von Breitling müssen ja sicherstellen, dass die Kundin, die ihren Kauf aufschiebt, dann auch bei Ihnen kauft. Eine neue Uhr wie die Superocean Heritage muss nächstes Jahr noch ganz oben auf der Liste der Begehrlichkeiten stehen, damit sie sie kauft.
In unserer Industrie ist es wie in der Autoindustrie. Sie wechseln nicht einfach so von einer Marke zur anderen, wenn Sie die Produkte mögen und zufrieden sind mit dem Service, den Sie bekommen. Im Schnitt haben wir sechsmal Kontakt mit einem Kunden, bis er kauft. Und wir begleiten den Kunden auf dieser Reise, und dies sehr professionell. Wenn sich der Kunde wohlfühlt bei uns, wird er später auch unsere Uhr kaufen. Und nicht zur Konkurrenzmarke gehen. Wir verkaufen schliesslich keine Milch, sondern eine Lebensart. Wir haben heute, im Vergleich zu vor meiner Zeit, fast drei Viertel neue Kunden, die jetzt auf uns aufmerksam geworden sind.

Spontankäufe spielen keine Rolle?
Doch, auch. Bei Neuheiten. Die wollen zunächst alle, und dann geht die Nachfrage runter. Entscheidend ist, auf welchem Niveau sie sich stabilisiert.

Sie haben die Durchschnittspreise bei Breitling in den letzten Jahren deutlich erhöht.
Ja, die Durchschnittspreise sind deutlich gestiegen. Weil wir unsere Uhren deutlich besser ausstatten und unsere eigenen Werke einbauen. Wir sind nun bei über 7000 Franken.

Ist das in der Uhrenindustrie schon Luxus?
Ja, wir sind definitiv eine Luxusmarke. Aber nicht «high luxury».

Eine bewusste Bewegung aus der Mitte des Marktes in den oberen Bereich.
Ja. Aber höher gehen wir nicht.

Dafür tiefer. Mit Gallet, der zweiten Marke nach Universal, die Sie wiederbeleben.
Preis ist Image. Das muss konsistent sein mit den Inhalten. Und diese haben wir in den letzten Jahren so stark aufgewertet, dass wir nicht mehr im gleichen Segment sein können wie früher. Unsere Preise bewegen sich zwischen 5000 und 20’000 Franken. Und wir haben Kunden, die sich das in dieser Form nicht mehr leisten wollen oder können. Und wiederum andere Kunden haben Töchter oder Söhne, die ebenfalls Uhren mögen.

Georges Kern
Foto: MANUEL RICKENBACHER

Doch warum haben Sie Breitling nach oben positioniert, wenn Sie nun unten mit viel Aufwand und Markeneinführung wieder anbauen müssen?
Aufwand? Das ist kein Aufwand. Wir produzieren bei Breitling, wir arbeiten mit den gleichen Lieferanten zusammen und können Synergien und Skaleneffekte nutzen. Wir haben knapp 300 eigene Verkaufspunkte und werden mit ausgewählten Handelspartnern zusammenarbeiten. Warum soll ich 2:0 gewinnen, wenn ich auch 4:0 gewinnen kann?

Sie haben dreihundert eigene Läden?
Rund hundert interne Boutiquen, rund zweihundert externe Breitling-Boutiquen.

Aber der Aufwand, eine neue Marke zu etablieren, ist beträchtlich. Die Marke Gallet kennen wohl nur ein paar Insider.
Das sehe ich anders. Wir hatten eine Vision, wie sich Breitling entwickeln sollte und wie wir einerseits unsere Infrastruktur nutzen und anderseits dem Handel ein breites interessantes Angebot aus einer Hand bieten können. Wir werden Gallet, mit ihrer eigenen Geschichte und ihrem starken Produktdesign, zwar als eigenständige Marke aufbauen, aber mit unseren vorhandenen Ressourcen und unserer Infrastruktur sowie über unsere vorhandenen Distributionskanäle und Boutiquen. Das wird funktionieren, da mache ich mir gar keine Sorgen.

Heute ist Breitling immer noch eine Männermarke. Wie wollen Sie mehr Frauen ansprechen?
Wir haben heute fast einen Sechstel Frauen als Kundinnen. Wir sind sehr viel weiblicher geworden. 14 Prozent mag nicht nach viel klingen, aber Sie müssen das in Zahlen, in Millionen sehen. Das ist relevant. Wir sind in diesem Segment massiv gewachsen in den letzten acht Jahren. Wir standen bei null Prozent Frauenanteil, als ich bei Breitling übernommen habe.

Liegt noch mehr drin?
Aber sicher!

Die nächste Wachstumsgeschichte, die Sie für einen baldigen Börsengang erzählen wollen?
Frauen mögen die Navitimer, sie mögen die Chronomat. Und wir haben vor zwei Wochen mit der neuen Superocean Heritage ein weiteres Modell lanciert, das Frauen ebenfalls anspricht. Das hat mit einem Börsengang nichts zu tun.

Georges Kern
Foto: MANUEL RICKENBACHER

Wann kommt nun ein Börsengang?
Ich habe mich schon oft zu diesem Thema geäussert: Diese Frage müssen Sie Partners Group stellen. Die Entscheidung liegt nicht bei mir.

Würde Sie ein solcher reizen?
Was mich reizen würde, ist nicht relevant. Es gibt viele Möglichkeiten nebst einem IPO.

Oder Georges Kern kauft das ganze Unternehmen?
Da muss ich Sie leider enttäuschen. (lacht)

Gibt es einen Werbeeffekt, wenn man eine Uhrenfirma an die Börse bringt?
Da fragen Sie den Falschen. Ich war einst bei einer Uhrenmarke, die war kotiert. Dort aber brachte der Börsengang nichts.

Das sagt auch Swatch-Chef Hayek. Er würde das Unternehmen am liebsten von der Börse nehmen.
Diese Option steht ihm frei.

Wie viele Zugewanderte aus der EU arbeiten bei Breitling?
Viele.

Ist die Zuwanderung ein Reservoir an Arbeitskräften?
Die Frage ist relevant, bei Breitling haben wir aber das Glück, dass sich für jede Stelle unglaublich viele Leute bewerben. Aber ich verstehe einen Maschinenbauer in St. Gallen, der Fachkräfte aus der EU braucht, weil er sie im Inland nicht findet. Die Schweiz hat immer mehr Pensionierte und braucht für das Wachstum qualifizierte ausländische Mitarbeitende.

Da liegen Sie ganz auf der Linie der Wirtschaft ...
Was die Schweiz aber nicht braucht, sind Leute, die ins Sozialsystem einwandern oder Wirtschaftsflüchtlinge sind. Der Asylstatus wird hier und da dafür missbraucht. Das Asylwesen stammt aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und von damals, als es durch den Kalten Krieg viele politisch verfolgte Menschen aus kommunistischen Ländern gab. Dass man ihnen einen Platz gab, versteht jeder. Heute ist die Situation eine ganz andere, und wir sollten das Recht haben, zu entscheiden, wen wir in die Schweiz hineinlassen – und wen nicht.

Georges Kern
Foto: MANUEL RICKENBACHER

Haben Sie viele Grenzgänger für Ihr Werk in La Chaux-de-Fonds?
Es ist zwar Usus in der jurassischen Uhrenindustrie, Grenzgänger zu beschäftigen. Wir aber haben relativ wenige.

Haben Sie geflüchtete Ukrainerinnen angestellt?
Ja.

Ging die Integration gut? Man hört, dass sie nicht die einfachsten Angestellten sind.
Von Problemen bei uns ist mir nichts bekannt. Ich unterstütze ukrainische Flüchtlingsfamilien auch persönlich.

Wie unterstützen Sie sie?
Mit Unterkünften.

Warum machen Sie das?
Diese Menschen tun mir leid, und ich hasse grundsätzlich Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Korruption. Alles, was da passiert, ist furchtbar.

Die Grünliberalen (GLP) kämpfen für subventionierte Kinderkrippen. Sie waren einst Parteimitglied und Sponsor der Partei. War das einer der Punkte, bei denen Sie Konflikte hatten?
(lacht) Man wird mir die GLP-Episode aufs Brot schmieren, solange ich bin.

Nervt Sie die Frage?
Ich stieg damals bei der Partei ein mit der Überzeugung, dass sich Ökonomie und Ökologie verbinden lassen. Wir machen diesbezüglich bei Breitling enorm viel.

Nämlich?
Wir haben unseren CO2-Ausstoss halbiert. Wir sparen viel Energie und setzen zudem nur erneuerbare Energie ein. Wir haben mehrere Tonnen Plastik in der Produktion und im Unternehmen reduziert. Wir betreiben das aber nicht ideologisch. Wir gendern auch nicht. Und wir rekrutieren auch nicht, weil eine Kandidatin eine Frau ist oder ein Kandidat ein Mann, sondern wir wählen die beste Person für eine Position aus. Dennoch fördern wir Frauen, etwa mit flexiblen Arbeitsmodellen. Wir wollen uns im Interesse aller aufstellen, sind aber keine Ideologen.

War die Hoffnung nicht naiv, dass Sie bei den Grünliberalen ideologiefrei mitwirken könnten?
Naiv war wohl die Annahme, dass sie auf mich hören würden ... (lacht)

... weil Sie Georges Kern sind?
(lacht) Sinnvoll wäre, wenn es mehr Politiker gäbe, die wissen, was es heisst, Geld zu verdienen. In Deutschland etwa gilt, dass, wer kein Job hat, besser zu den Grünen geht und dort Karriere macht. Ich glaube, zu wissen, wie Wirtschaft funktioniert und wie man sie am Laufen hält. Ich habe ein minimales Verständnis von Ökonomie und verwechsle nicht, was Cashflow und Gewinn sind, im Gegensatz zu anderen.

Unternehmer Simon Michel hat es in die Politik geschafft. Dito Magdalena Martullo-Blocher. Ebenso der Unternehmer und GLP-Präsident Jürg Grossen – und Sie nicht.
Die drei haben sich entschieden, für den Nationalrat zu kandidieren. Das habe ich nicht gemacht.

Warum nicht?
Ich bin mit meinen aktuellen Engagements bereits gut ausgelastet, auch ohne politisches Amt.

Sie hätten nicht in Zürich kandidieren müssen, sondern zum Beispiel hier in Solothurn. Martullo-Blocher hat ja auch nicht an der Zürcher Goldküste kandidiert.
Tatsächlich hat mich die GLP aus einem anderen Kanton angefragt, ob ich mich dort aufstellen würde. Ich hätte auch in Solothurn kandidieren können. Ich ziehe nicht um, nur um Nationalrat zu werden. Waren Sie schon je an einer Mitgliederversammlung einer Partei?

Ja. Was war Ihre Lektion daraus?
Naturgemäss kann sich jeder zu allem äussern. Der Entscheidungsprozess ist sehr langsam und komplex. Für jemanden, der seit dreissig Jahren CEO ist, war dies nicht so ergiebig, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Sie erscheinen aber als ein sehr politischer Mensch.
Ich habe Politikwissenschaft in Strassburg studiert. Ich war schon immer politisch interessiert. Danach kam in St. Gallen Betriebswirtschaft dazu.

Was planen Sie heute?
Ich arbeite zusammen mit dem IMD in Lausanne an einem Vorschlag für einen Schweizer Staatsfonds.

Mit welchem Ziel?
Dass die Schweiz mehr Geld verdient. Die Nationalbank hat eine Bilanzsumme von rund 855 Milliarden Schweizer Franken, die man sehr intelligent einsetzen könnte. Fast jedes reiche Land hat einen Staatsfonds – ausser der Schweiz.

Diese Idee scheiterte bereits.
Ja, wir wollen eine bessere vorstellen. Kann sein, dass wir wieder scheitern, aber wir müssen da vorwärtskommen. Der norwegische Staatsfonds ist der grösste Investor der Schweiz. Auch Singapur investiert viel über seinen Fonds. Bei Breitling sind verschiedene Staatsfonds privat investiert. Warum investiert kein Schweizer Staatsfonds bei Breitling?

Weil es ihn nicht gibt.
Eben. Aber warum nicht? Die Schweiz hat eine sehr solide Wirtschaft. Unsere Rohstoffe sind der solide Franken und die politische Sicherheit, doch wir nutzen beides nicht. Was ich dann nicht verstehe: Das Parlament streitet über Investitionen in Verteidigungsausgaben, die AHV oder das Gesundheitswesen. Die Erlöse aus einem Staatsfonds à la Norwegen könnten aussergewöhnliche Ausgaben und Investitionen in die Zukunft unseres Landes abdecken.

Wäre der Fonds in- oder ausländisch investiert?
Überall. Das ist die Krux der Politik: Wenn man einen Staatsfonds vorschlägt, kommen sogleich verpolitisierte Restriktionen zur Art der Investitionen und der Ausgaben. Aber ein solcher Fonds muss natürlich mit einer gewissen Freiheit operieren können, und dazu braucht es eine klare Governance.

Woher sollte die Einlage kommen?
Das werde ich erklären, wenn das Projekt reif ist. Was mich diesbezüglich stört, ist der Konservatismus in der Schweiz – wir sollten die Stärken und Potenziale unseres Landes besser nutzen.

Politik juckt Sie. Kommt da wirklich kein Kern 2.0?
Ich bin beispielsweise im Referendumskomitee gegen Mediensubventionen. Die Vorschläge des Parlaments mit Subventionen für Medienhäuser finde ich eine Frechheit.

EU-Vertragspaket: Werden Sie sich dagegen engagieren?
Das weiss ich noch nicht.

Sie sind nicht eindeutig dem Nein-Lager zuzuordnen wie das Gründertrio Ihres Hauptinvestors, der Partners Group.
Ich bin der grösste Europäer in diesem Raum, ich habe drei Pässe, ich habe in Frankreich studiert und gelebt. Aber ich teile die Euphorie eines Befürworters wie dem lieben Kollegen Simon Michel nicht. Er argumentiert Artikel für Artikel, warum das Vertragspaket gut für die Schweiz sein soll. Doch diese Sicht verpasst eine wesentliche Frage: Passen wir grundsätzlich überhaupt zusammen? Die Befürworter argumentieren, wie wenn man eine Frau heiratet und sie zuvor analysiert: Sie hat studiert, sie ist eine gute Köchin und eine gute Mutter. Haben Sie damals so argumentiert? Ich nicht. Sie haben wohl eher gesagt: Ich kann mir gut vorstellen, mit dieser Frau zu leben. Die Frage ist: Können wir, als Schweiz, die eine Basisdemokratie ist, mit der EU zusammenleben, ohne unsere freiheitliche politische Kultur aufzugeben? Ich habe da grosse Zweifel.

Sie romantisieren. Nicht jede Ehe entspringt einer Liebesheirat.
Ja, aber ich will eine Ehe ohne Scheidung. (lacht)

Georges Kern
Foto: MANUEL RICKENBACHER

Solche Abkommen sind Deals. Sie beenden sie, wenn sie Ihnen nicht passen.
Es gibt keinen einzigen wirtschaftlichen Indikator, bei dem die Schweiz nicht um ein x-Faches besser abschneiden würde als die EU. Wir haben viel mehr Themen im Griff als die EU. Die Schengen- und Dublin-Verträge zum Beispiel funktionieren nicht.

Ohne EU-Verträge wird früher oder später die Personenfreizügigkeit ausgesetzt werden. Wollen Sie wieder Grenzkontrollen?
Natürlich nicht. Aber wir müssen unsere Löhne und unser Lebensniveau schützen, die Einwanderung selbst bestimmen und unsere basisdemokratische freiheitliche Kultur wahren.

Sozialämter stellen keine Aufenthaltsbewilligungen aus. Der allergrösste Teil der Migration ist für die Wirtschaft. Nicht Beamte entscheiden darüber, sondern Unternehmen, indem sie EU-Bürgern einen Vertrag anbieten.
Die einzige Frage, die sich doch stellt, ist: Wird es der Schweiz mit dem EU-Vertragspaket morgen besser gehen?

Ihre Prognose?
Ich weiss es nicht. Meine Sorge ist, dass wir über das Vertragspaket potenziell eine politische Kultur ins Land lassen, die uns nicht entspricht. Die nicht mehr konsensbezogen beziehungsweise basisdemokratisch aufgestellt ist. Ansonsten werden wir auch in der Schweiz eine massive Spaltung der Gesellschaft erleben, wie wir es mittlerweile fast in jedem Land Europas beobachten können.

Was macht Herr Kern, wenn nicht Breitling und Politik?
Ich mache sehr vieles nebenher. Ich produziere Filme. Ich fahre sehr gerne Velo. Ich habe eine Familie und Kinder, die 26 und 27 Jahre alt sind. Meine Tochter ist Opernsängerin, mein Sohn studiert in den USA. Ich will nicht am Meer unter einer Palme liegen. Ab einem gewissen Alter macht man weniger Kompromisse und möchte nur noch das machen, was man wirklich will.

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