Darum gehts
- Einsprachen gegen Baugesuche nehmen zu
- Doris Fiala fordert kostenpflichtige Einsprachen zur Verhinderung von Verzögerungen
- Einsprachen schrecken heute Bauwillige gar ab, überhaupt zu bauen
- Bundesgericht urteilte noch 2017: Einsprache darf grundsätzlich nichts kosten
- Parlament will gesetzliche Grundlage ändern
Wohneigentümerinnen und -eigentümer in der Schweiz haben einen neuen Volkssport entdeckt: Gerade in Städten sprechen sie viel häufiger gegen Baugesuche ein als noch vor einigen Jahren. «Wir müssen zu mehr Pragmatismus zurückkehren und die Bürokratie vereinfachen», forderte Jens Vollmar (40) im Interview mit Blick. Er ist CEO von Implenia, dem grössten Schweizer Bauunternehmen.
Dafür macht sich nun auch die ehemalige FDP-Nationalrätin Doris Fiala (68) stark. «Einsprachen müssen etwas kosten, sonst werden sie oft nur ausgenutzt, damit Bauvorhaben verzögert werden können», sagt sie zu Blick.
Viele Einsprachen schrecken Bauwillige ab
Aktuell verhindert das Bundesrecht, dass Beschwerdeführern bei Bauprojekten die Verfahrenskosten auferlegt werden. Zumindest in einem ersten Schritt, wenn die Behörden über die Einsprachen urteilen. Das lade geradezu zu einem Baurekurs ein, ist Fiala überzeugt. Niemand sei bereit, etwas mehr Schattenwurf vom Nachbargrundstück in Kauf zu nehmen oder einen Teil der Aussicht einzubüssen. «Wir erleben in der Schweiz eine regelrechte Verhinderungspolitik, mit der teilweise auch der Bau von preisgünstigen Wohnungen vereitelt wird», führt sie aus.
Geht es vor Gericht, werden dem Unterlegenen bereits heute die Verfahrenskosten auferlegt. Fiala fragt sich deshalb, warum dies nicht bereits von Beginn an so sein sollte. Schliesslich beanspruchen die Bewilligungsverfahren immer mehr Zeit. In der Stadt Zürich dauert es im Schnitt fast ein Jahr bis zur Bewilligung, in Genf sogar anderthalb Jahre, wie eine Studie der Zürcher Kantonalbank vor zwei Jahren gezeigt hat.
In der Schweiz sind viele Tausend Wohnungen blockiert. Die Furcht vor Einsprachen wirkt auf Bauherren zudem abschreckend: Gemäss ZKB wird deshalb jährlich der Bau von mehreren Tausend Wohnungen erst gar nicht angegangen.
«Wer verliert, soll Verfahrenskosten tragen»
Das Recht zur Einsprache sei wichtig, so Fiala. «Wer einspricht und verliert, soll künftig aber die Verfahrenskosten tragen müssen.» Das könnte bei manchem Beschwerdeführer die Motivation dämpfen. Wie aus der Baubranche zu vernehmen ist, haben die Einsprachen auch zugenommen, weil die Nachbarn auf eine Entschädigungszahlung des Bauherrn spekulieren und dafür im Gegenzug den Rekurs zurückziehen. Doch auch das Raumplanungsgesetz spielt eine Rolle: Die stärkere Innenverdichtung erhöht das Konfliktpotenzial.
Fialas Forderung kommt nicht von ungefähr: Sie sitzt seit kurzem im Verwaltungsrat von Port Real Estate. Das Unternehmen will an attraktiven Lagen Immobilien entwickeln, also Verdichtungspotenzial ausschöpfen und von einer stärkeren Ausnutzung profitieren. Dabei soll mehr Wohnraum für die breite Mittelschicht entstehen. Investoren winken gemäss Firmenwebseite solide Wertsteigerungen und stabile Renditen. «Mit der älter werdenden Bevölkerung wird die Zuwanderung immer wichtiger. Deshalb müssen wir verdichten», sagt Fiala.
Anpassung wird geprüft
Die Gratiseinsprachen stehen auch in Bundesbern zur Debatte: Der Ständerat hat vor zwei Jahren ein Postulat an den Bundesrat überwiesen. Dieser muss prüfen, ob die gesetzliche Grundlage für ein massvolles Kostenrisiko bei Einsprachen geschaffen werden kann. Dann hätten die Kantone die Möglichkeit, die Gesetze anzupassen – so wie es einige bereits früher getan haben.
Doch das Bundesgericht kassierte diese Regelungen in einem Urteil ein. Es entschied 2017, dass dem Einsprecher die Verfahrenskosten bei der behördlichen Neuprüfung grundsätzlich nicht auferlegt werden dürfen. Er habe Anspruch auf rechtliches Gehör. Eine Ausnahme bilden offensichtlich missbräuchliche Rekurse. Doch Änderungen in der Rechtsprechung machen es heute beinahe unmöglich, Missbräuche nachzuweisen.